Udo Steinicke und Matthias Ruhmann veranlassen, dass ein verlassenes Lager „der Verbrennung zugeführt wird.“ Foto: Sascha Maier

Die Stadt macht ernst bei der Jagd nach Müllsündern in der Stadt und hat dafür nicht nur das Personal aufgestockt, sondern setzt vermehrt auf Detektivarbeit. Wir haben eine Streife in ihrem neuen Alltag begleitet.

Stuttgart - Müllsünder müssen sich warm anziehen. Denn was als Mülloffensive „Sauberes Stuttgart“ erst mal recht vage klingt, dahinter verbirgt sich eine Kampfansage. Der städtische Vollzugsdienst hat 12 neue Stellen geschaffen, um Müllsünder in zivil zu stellen, die Verursacher illegaler Müllkippen in Detektivarbeit zu ermitteln und die neuen „Müllsheriffs“ werden sogar im Kampfsport ausgebildet, falls sie auf allzu renitente Müllsünder treffen. Im Januar geht es in voller Mannstärke los. Auf Streife mit Udo Steinicke, Einsatzleiter des städtischen Vollzugdiensts, zeichnet sich ab, dass die Stadt ernst macht.

Steinicke fährt an einem Mittwochmorgen zusammen mit seinem Kollegen Matthias Ruhmann routinemäßig in einem Kleinbus mit der Aufschrift „Polizeibehörde“ herum. Außer dem „Behörden“-Zusatz würden die beiden in ihrer Kluft sofort als richtige Polizisten durchgehen: Sie tragen Schutzwesten über ihren Uniformen. Auch der Funkspruch, der reinkommt und ein illegales Lager auf der Karlshöhe meldet, lässt kaum erahnen, dass der städtische Vollzugsdienst mit weniger Befugnissen als die Polizei ausgestattet ist; er darf zwar Knöllchen verteilen, aber zum Beispiel niemanden festnehmen.

Beides wird an der Karlshöhe angekommen nicht nötig sein. Udo Steinicke und Matthias Ruhmann steigen an der gemeldeten Stelle in stabilem Schuhwerk durchs Geäst und spüren routiniert das Lager auf, das aus einer fachmännisch an einer Mauer angebrachten Plane, Euro-Paletten mit einer schimmligen Matratze drauf, Tabakresten und Tüten voller Klamotten und Krimskrams besteht. Es wirkt verlassen.

Detektivarbeit gegen Wiederholungstäter

Steinicke geht auf Nummer sicher: „Hallo, hallo, städtischer Vollzugsdienst, ist da jemand?“ Keine Antwort. Steinicke guckt unter die Plane, keiner da. Schnell wird das Lager noch auf persönliche und Wertgegenstände untersucht, dann fällt Steinicke das Urteil: „Hierbei handelt es sich wohl um aufgegebenes Gut, das jetzt der Verbrennung zugeführt wird.“ Um alles Weitere kümmere sich die Abfallwirtschaft Stuttgart (AWS).

Der Bauweise nach sei das Lager höchstwahrscheinlich von Roma errichtet worden. Da sonst nichts auf den Erbauer hinweist, ist die Sache für die Vollzugsbeamten erst mal abgehakt. „Wenn wir jetzt herausgefunden hätten, wer das war, hätte es Konsequenzen gegeben“, sagt Steinicke. Er erinnert sich an einen Fall vor rund zwei Wochen. Damals hätten sie im Kräherwald ein illegales Sperrmülllager gefunden. Schlecht für den Verursacher: Steinicke fand im Müll seine Schulzeugnisse. Der Vollzugsdienst machte ihn ausfindig, klingelte an der Tür und stellte ihn. Auf solche Detektivarbeit, sagt Steinicke, wird ab jetzt viel stärker gesetzt, um Wiederholungstäter zur Räson zu bringen.

Seit 27 Jahren arbeitet Udo Steinicke beim städtischen Vollzugsdienst und kämpft unter anderem gegen die Vermüllung der Stadt. So viele Mittel wie heute habe es während der gesamten Zeit nicht gegeben. Nicht nur personell und finanziell ist der städtische Vollzugsdienst mit bald 56 Mitarbeitern und einem städtischen Budget von zehn Millionen Euro extra im nächsten Doppelhaushalt allein für die Müllbekämpfung beispiellos gut ausgestattet. Auch taktisch gebe es weniger Beißhemmungen als früher.

Bloßstellung in der Öffentlichkeit als „pädagogische Maßnahme“

So sei es Teil des neuen Konzepts, auch in zivil auf Streife zu gehen. „Wenn dann zum Beispiel jemand seinen Kaffeebecher achtlos wegwirft, sind wir zur Stelle“, sagt Steinicke. Das heißt: Die Vollzugsbeamten geben sich als solche zu erkennen und egal, wie viel Trubel um die Szene ist, der Müllsünder wird aufgefordert, den Becher in einem Mülleimer zu entsorgen. „Ein Bußgeld ist da gar nicht unbedingt nötig, die pädagogische Maßnahme, bloßgestellt zu sein, erzielt den gewünschten Effekt“, glaubt Steinicke.

Doch sind so drastische Maßnahmen wirklich nötig? Insgesamt, schätzt Steinicke, gibt es im ganzen Stadtgebiet etwa 50 illegale Müllkippen, von ihm „Müll-Hotspots“ genannt. Gezählt hat das noch niemand, es soll aber künftig genauer Buch geführt werden. „Von dem Müll gehen häufig auch Gesundheitsgefahren aus. Von Lacken oder Farben etwa“, sagt er. Solche „Hotspots“ gebe es überall in Stuttgart, besonders betroffen seien die Bezirke Bad Cannstatt, Feuerbach und

Mitte.

Mittlerweile fahren Steinicke und Ruhmann zur Jakobschule im Leonhardsviertel in der Altstadt. Hier wird vielleicht etwas deutlicher, warum der städtische Vollzugsdienst seinen Job sehr ernst nimmt, sollte jemandem der neue Kurs etwas hart erscheinen. Denn achtlos weggeworfene Kaffeebecher sind an der Wächterstaffel, die als Schulweg dient, nicht das Problem. Sondern Drogenspritzen. Die Junkieszene dort beschäftigt seit Jahren nicht nur die Verwaltung, sondern auch die Elternschaft der Jakobschule, die Politik, die Gastronomen im Viertel.

Fixerbesteck in der Grünfläche

Tag für Tag läuft der städtische Vollzugsdienst hier Grünfläche um Grünfläche ab. Erneut sind Steinicke und Ruhmann froh über ihr festes Schuhwerk – wer weiß schon, was sich da im Laub an gefährlichen Gegenständen verbirgt. Etwas Silbernes blitzt auf. Steinicke zieht seine stichfesten Handschuhe an und holt vorsichtig einen Löffel hervor. „Fixerbesteck“, vermutet er. Eine dazugehörige Spritze finden die Mitarbeiter des Vollzugsdiensts heute nicht.

Weiter geht’s. Zurück zum Auto, die Müllsünder schlafen nicht. Ob Steinicke das nicht ein bisschen wie ein Kampf gegen Windmühlen sieht? „Manchmal schon“, sagt er. Ob die neuen Strategien gegen den Müll zünden und sich dann mehr Erfolgserlebnisse einstellen, werden die nächsten Monate zeigen.