Bundeskanzler Willy Brandt kniet am 7. Dezember 1970 vor dem Mahnmal zum Gedenken an den jüdischen Ghetto-Aufstand. Fot Foto: WDR

Von  der Hochzeitsreise  des Ehepaars Fuchs zur Städtepartnerschaft: Wie die Menschen in Mühlacker und Bassano aufeinander zugingen, ist ein Paradebeispiel für Völkerversöhnung.

Stuttgart - Was hatte das Jahr 1978 nicht alles zu bieten: Im Januar rollte der letzte in Deutschland produzierte Käfer vom Band; Reinhold Messner und Peter Habeler kletterten als erste Bergsteiger ohne Sauerstoffgerät auf den Mount Everest, und bei der Fußball-WM in Spanien erlitt Deutschland die Schmach von Cordoba gegen Österreich (2:3) und schied aus. Für die Stadt Mühlacker und ihre Bürger aber war das Jahr aus einem anderen Grund etwas ganz Besonderes: Am 27. Mai 1978 wurde eine Städtepartnerschaft mit Bassano del Grappa geschlossen.

Ein langer und steiniger Weg

Bis dahin war es ein langer, steiniger Weg – und vor allem das Verdienst von Frank Fuchs. Er gilt als Urvater der Städtepartnerschaft. Bereits als Jugendlicher hatte der 1923 im thüringischen Apolda geborene und 2008 nach langer Krankheit verstorbene Fuchs eine Vorliebe für Italien entwickelt. Auf dem Gymnasium lernte er lieber Italienisch statt Französisch. Und beim Afrika-Feldzug im Zweiten Weltkrieg, so erzählt es seine Frau Christa, haben die Italiener ihm das Leben gerettet. Ein einschneidendes Erlebnis. Eines, das ihn bei seinen Bemühungen um die deutsch-italienischen Beziehungen über all die Jahre angetrieben hat.

1956 führte Frank und Christa Fuchs ihre Hochzeitsreise nach Italien. In Bassano del Grappa machten sie Zwischenstation. „Hildegard Magenreuter, eine damalige Kollegin von mir, hatte dort Verwandte. Sie war aber noch nie dort gewesen“, sagt Christa Fuchs. Freunde mit in die Flitterwochen zu nehmen? Ungewöhnlich. Doch die Fuchsens hatten nichts dagegen, dass Magenreuter und eine weitere Bekannte sie auf dem Weg über die Alpen begleiteten. Eigentlich hatte das Ehepaar Fuchs geplant, nach nur einer Nacht in Bassano weiterzureisen. Doch die Gastfreundschaft der Familien Simioni und Parisotto war überwältigend. „Sie waren so offen, so herzlich“, erinnert sich Christa Fuchs, „am Ende sind wir dann die ganzen acht Tage dort geblieben.“ Es war der Beginn einer Freundschaft zwischen den Familien Parisotto und Fuchs.

Zwar war Frank Fuchs schon damals überzeugt, der Friede in Europa werde vor allem dadurch gesichert, dass sich die Völker kennen und verstehen. An eine Städtepartnerschaft dachte zu diesem Zeitpunkt jedoch niemand. Zu frisch waren die Wunden, die die Nationalsozialisten mit ihren Gräueltaten hinterlassen hatten.

„Eine Partnerschaft muss in der Bevölkerung verankert sein“

Als Orazio Parisotto, der Sohn der damaligen Gastgeber-Familie, 1975 mit einer Gruppe aus 20 bis 25 jungen Leuten einen Besuch im Europaparlament plante, kontaktierte er Fuchs: Auf dem Weg nach Frankreich wollten sie in Mühlacker übernachten, am liebsten kostenlos. Fuchs fragte beim damaligen Oberbürgermeister Gerhard Knapp an. Über den Stadtjugendring (SJR) fanden sich Familien, die Gäste aufnahmen. Völlig unerwartet schlossen sich der Gruppe der Bürgermeister und einige Stadträte Bassanos an. „Dadurch bekam der Besuch auf einmal offiziellen Charakter“, sagt Knapp.

Mit Gemeinderatsmitgliedern und Mitarbeitern aus dem Rathaus organisierte der OB einen Empfang, ein gemeinsames Essen und eine Stadtrundfahrt. An einem Abend feierten die jungen Menschen beider Nationen zudem eine rauschende Party. „An diesem Wochenende im März 1975 ist der Funke übergesprungen“, sagt Knapp. Bei den Heranwachsenden. Aber auch bei den Offiziellen. Zum Abschied überreichte Parisotto dem OB eine Freundschaftsurkunde – eine nette Geste.

Im Sommer danach verbrachte Familie Knapp ihren Urlaub in Bassano. „Wir waren von der Stadt und den Leuten auf Anhieb sehr angetan“, erinnert sich der Alt-OB. Und so waren sich Knapp und sein italienisches Pendant Pietro Fabris einig, dass die bis dato lose Beziehung zwischen Mühlacker und Bassano in eine Städtepartnerschaft münden soll: „Eine solche Partnerschaft besteht aber nicht darin, dass sich ein paar Offizielle gegenseitig besuchen.“ Beiden sei klar gewesen, dass sie von den Kultur- und Sportvereinen getragen werden müsse: „Eine Partnerschaft muss in der Bevölkerung verankert sein“, sagt Knapp.

„Warum eine Partnerschaft mit einer deutschen Stadt?“

Die Menschen von dieser Idee zu begeistern war anfangs nicht einfach. Auf beiden Seiten gab es Vorbehalte und Ressentiments – Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs. Eine der grausamsten Taten: Am 26. September 1944 wurden 31 junge Bassanesen an Bäumen erhängt und 16 weitere erschossen. Gedenktafeln in der Viale dei Martiri, der Allee der Märtyrer, erinnern an die Opfer. Angesichts dieses Verbrechens seien vor allem ältere Bürger skeptisch gewesen und hätten die Deutschen auch mehr als 30 Jahre nach dem Krieg noch als Nazis und Militaristen gesehen, erzählt Fabris: „Viele haben mich gefragt: Warum ein Gemellaggio, eine Partnerschaft, mit einer deutschen Stadt?“

Die ersten deutschen Gäste wurden zwar herzlich aufgenommen, mussten sich aber auch kritische Fragen zur Vergangenheit gefallen lassen. Auch in Mühlacker waren die Meinungen geteilt. „Man musste viel reden und aufklären, teilweise haben die Diskussionen bis tief in die Nacht gedauert“, sagt Christa Fuchs. Nahezu immer mit dabei: ihr Mann. Frank Fuchs vermittelte als Dolmetscher und Visionär. Auch Pietro Fabris, der später als Senator nach Rom gewählt wurde, ließ sich nicht beirren. Er habe seinen Mitbürgern immer versucht mitzugeben, dass Völkerversöhnung und Völkerverständigung die Grundlage für Frieden und den europäischen Gedanken seien.

„Man hat sich mit der Zeit schätzen gelernt“

Die Mühen haben sich gelohnt. „Man hat sich mit der Zeit schätzen gelernt“, sagt Gerhard Knapp. Man versöhnte sich – und am 27. Mai 1978 unterzeichneten Knapp und Sergio Martinelli im bassanesischen Rathaus die Partnerschaftsurkunde. Mehr als 3000 Menschen bejubelten den historischen Moment auf dem Freiheitsplatz, der Piazza Libertà. Seither wird die Partnerschaft von den Verwaltungen, Vereinen, Schulen und Privatpersonen mit Leben gefüllt. Viele Familien fuhren und fahren zusammen in den Urlaub. „Die Partnerschaft wird vor allem von Privatleuten getragen“, sagt Herta Gutmann, die Vorsitzende von Mühlackers Partnerschaftskomitees. Das Interesse an gegenseitigen Besuchen sei nach wie vor groß – besonders bei großen Anlässen wie dem Straßenfest in Mühlacker oder der Fiera Franca, einem Herbstmarkt in Bassano.

Die Feste und die privaten Beziehungen schweißen die Menschen zusammen. Es wird miteinander gesprochen, gegessen, gelacht. In Zeiten, in denen sich viele junge Erwachsene in erster Linie um sich selbst kümmern und soziale Kontakte allenfalls mit dem Smartphone pflegen, wird es allerdings schwieriger, Nachwuchs für die Sache zu begeistern. Doch Knapp bleibt optimistisch: „Es wird immer Menschen geben, die sich dafür interessieren. Nur wer weiß, wie sein Nachbar lebt, kann ihn auch verstehen.“