Ein Favorit auf den Titel ist aus Sicht von Kim Renkema derzeit nicht auszumachen. Foto: Baumann

Die Meisterschaft ist das Ziel der Stuttgarter Volleyballerinnen, doch Sportdirektorin Kim Renkema macht sich vor dem ersten Viertelfinalduell in Straubing auch Sorgen: Es fehlte zuletzt zu oft an spielerischer Klasse, Konstanz und Siegeswillen.

Stuttgart - Jetzt wird es ernst für die Stuttgarter Volleyballerinnen. An diesem Mittwoch (19.30 Uhr) beginnt mit dem Auswärtsspiel bei Nawaro Straubing das Play-off-Viertelfinale für den Zweitplatzierten der Bundesliga-Hauptrunde – und damit der Kampf um den Titel. Sportdirektorin Kim Renkema sagt: „Wir wollen Meister werden.“

Frau Renkema, wie froh sind Sie, dass es in den Play-offs wieder bei null losgeht?

Theoretisch stimmt das.

Und praktisch?

Bleibt keine Zeit, um viel zu verändern. Doch die Mädels wissen auch so, dass wir uns Schwankungen wie in der Hauptrunde ab sofort nicht mehr leisten können.

Wie stark ist Nawaro Straubing?

Wir haben das Liga-Spiel dort 0:3 verloren, sind also gewarnt. Nur 80 Prozent zu geben wird auch diesmal nicht reichen.

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Sie haben in dieser Saison schon öfter die Einstellung und die Mentalität Ihres Teams kritisiert. Was passt da nicht zusammen?

Fakt ist, dass die Mannschaft sehr gut Volleyball spielen kann, und wenn es läuft, sind auch alle voll dabei. Wenn es aber schlecht läuft, fehlt uns eine Führungspersönlichkeit, die das Team aus dieser negativen Phase wieder rausholt. Wir schaffen es dann viel zu selten, uns in ein Spiel zurückzukämpfen.

War das ein Versäumnis bei der Zusammenstellung des Kaders?

Natürlich achten wir sehr auf den Charakter der Spielerinnen, die wir holen. Zugleich ist dies die schwierigste Aufgabe, wir haben ja keine eigene Scouting-Abteilung wie ein Fußball-Bundesligist. Man kann nicht immer vorhersagen, ob die Persönlichkeiten zusammenpassen, letztlich braucht es auch eine Art Eigendynamik in der Mannschaft.

Reicht der Teamgeist, um Meister zu werden?

Mit der Erwartungshaltung hier in Stuttgart tue ich mich echt schwer. Wir haben 2019 die Schale geholt, und nun glauben alle, dass uns dies jedes Jahr gelingt. Aber das ist nicht realistisch, in anderen Vereinen wird auch sehr gut und mit ähnlichen Etats gearbeitet.

Wer ist dann der Favorit?

Es gibt keinen, nur vier Kandidaten – den Dresdner SC, den SSC Schwerin, den SC Potsdam und uns. Wir wollen Meister werden, aber bis dahin liegt viel Arbeit vor uns.

„Kein Team ist in dieser Saison konstant“

Wie groß ist die Chance?

Ich gebe keine Prognose ab, klar ist aber: individuelle Klasse allein gewinnt keine Titel.

Ein großes Problem ist bisher die fehlende Konstanz Ihres Teams.

Richtig. Einige unserer Spielerinnen haben diese Saison noch nicht das Niveau gezeigt, das sie in Normalform bringen können. Die Hauptrunde hätten wir nicht mit einer Leistung wie beim 0:3 am Samstag gegen den SSC Schwerin abschließen dürfen.

Andererseits gab es zwei klare 3:0-Siege gegen Spitzenreiter Dresdner SC. Finden Sie eine Erklärung für diese Leistungsschwankungen?

Was die extrem krassen Unterschiede angeht, habe ich keine Antwort.

Wenigstens einen Ansatz?

Kein Team ist in dieser Saison konstant, auch nicht in der Männer-Bundesliga. Großen Einfluss hat sicher, nicht vor Zuschauern spielen zu können.

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Inwiefern?

Die Motivation von außen fehlt völlig, das Adrenalin muss komplett aus einem selbst kommen. Und zugleich hat jeder Auftritt in einer leeren Arena Testspielcharakter. Das ist wie ein Theaterstück ohne Zuschauer, da wäre es für die Schauspieler auch nicht leicht, immer volle Leistung zu bringen. Und besonders schwer ist es für die Teams, die normalerweise vor vollen Rängen antreten. Eine Volleyballerin spielt ja nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihr Publikum.

„Solche Bilanzen sind nichtssagend“

Zudem haben Sie noch mitten in der Saison den Regisseur gewechselt. Als Giannis Athanasopoulos ging, stand Ihr Team mit fünf Siegen und 15:1 Sätzen auf Platz eins, unter Tore Aleksandersen gab es in elf Spielen drei 0:3-Niederlagen und am Ende Rang zwei. Trotzdem loben Sie die Entwicklung unter dem neuen Trainer. Können Sie uns das erklären?

Solche Bilanzen sind nichtssagend, sie interessieren mich überhaupt nicht. Die Trennung von Giannis Athanasopoulos hatte ja nichts mit dem Saisonstart zu tun, sondern war das Ende einer Entwicklung. Unter Tore Aleksandersen haben sich System und Strategie geändert, das Team lernt extrem viel Neues. Das braucht Zeit – zumal er ein völlig anderer Typ ist.

Wie meinen Sie das?

Giannis Athanasopoulos stand mitten im Team, er war sehr nett und vielen Spielerinnen freundschaftlich verbunden. Tore Aleksandersen steht oberhalb des Teams. Er sagt klar und deutlich, was er will. Das ist gut, so einen Trainer haben wir benötigt. Die Mannschaft entwickelt sich eindeutig weiter, auch wenn sie das nicht immer zeigen kann. Die mentalen Probleme sind leider nicht von heute auf morgen zu lösen.

Trotz der drei enttäuschenden und klaren Niederlagen gibt es bei Ihnen keine Zweifel?

Nein. Natürlich hätten wir freiwillig den Trainer nicht mitten in der Saison gewechselt. Aber so, wie es nun gekommen ist, war es gut, ich spüre viel frischen Wind. Diese Rückmeldung bekomme ich auch aus der Stamm-Sechs, unsere Kapitänin Krystal Rivers bleibt nicht zuletzt deshalb bei uns, weil sie sehr gerne mit dem Trainer arbeitet.

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Dennoch werden Sie für Ihre Entscheidung Kritik einstecken müssen, wenn es am Ende nicht zum Titel reichen sollte.

Das weiß ich. Für mich persönlich sagt die Bilanz dieser Saison allerdings nicht sonderlich viel aus, schließlich arbeitet Tore Aleksandersen mit einem Team, an dessen Zusammensetzung er nicht beteiligt war.

„So etwas stört mich einfach“

Zuletzt haben der Coach und Sie auf Unmutsäußerungen von Fans in den sozialen Medien geantwortet. Warum tun Sie das?

Normalerweise reagieren wir darauf nicht. Aber zuletzt gab es Kritik, die völlig daneben war und jeglicher Grundlage entbehrte. Das zu lesen, fällt einem schwer, ohne es zu kommentieren. Ich habe in den Fällen geantwortet, in denen es um mich persönlich ging. So etwas stört mich einfach.

Müssten Sie da nicht drüber stehen?

Wir sind auch nur Menschen, und wir bekommen kein Schmerzensgeld wie die Fußballer. Zudem finde ich, dass die Grundhaltung in Stuttgart schon sehr kritisch ist. Viel gelobt wird hier nicht, dies zu akzeptieren, fällt mir als Holländerin extrem schwer.

Haben Sie die hohen Erwartungen nicht ein Stück weit selbst geweckt?

Das mag schon sein. Es stimmt, dass ich sehr ehrgeizig bin und Verlieren nicht zu meinen Hobbys zählt – entsprechend versuche ich, mein Team zusammenzustellen. Sachliche Kritik ist auch völlig okay. Ich habe nur ein Problem, wenn Kritik unberechtigt ist, von Fake-Profilen oder von Leuten kommt, die keine Ahnung haben, was intern passiert.

„Einige Spielerinnen haben noch viel Luft nach oben“

Was müsste denn in den Play-offs passieren, damit Sie am Ende von einer erfolgreichen Saison sprechen?

Der Titel allein ist nicht der Maßstab, dafür ist die Konkurrenz zu stark.

Woran messen Sie Ihr Team dann?

Ich hoffe, dass meine Mannschaft ihr volles Potenzial zeigt, voller Kampfgeist und Siegeswille auftritt. Ich habe das Gefühl, dass uns dies bisher nicht oft genug gelungen ist – einige Spielerinnen haben jedenfalls noch viel Luft nach oben.