Zwei Mann, zehn Titel: Lewis Hamilton (links) und Sebastian Vettel dürfen wieder Gas geben. Foto: dpa/Rick Rycroft

Die Formel 1 nimmt wieder den Rennbetrieb auf, in Spielberg findet der erste Grand Prix des Jahres statt. Das wird ein Kraftakt. Doch Mercedes bleibt die Messlatte

Stuttgart - Der McLaren-Teamchef Andreas Seidl freut sich riesig auf den Start in die Formel-1-Saison am Sonntag. Endlich werden in Spielberg die Kisten ausgepackt und die Rennwagen abgestaubt. Gespannt ist Seidl aber auch auf den Zustand seiner Piloten Carlos Sainz und Lando Norris – gibt sich aber optimistisch. „Nach drei oder vier Runden in Österreich werden sie ihren Rost abgeschüttelt haben“, vermutet der Bayer.

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Ein bisschen Humor hilft weiter in diesem kuriosen Jahr. Die Frage, wo die Rennserie sportlich stehen geblieben ist, sie führt zurück zur letzten Testfahrt am 28. Februar in Barcelona. Danach gab es kein Kräftemessen mehr. Wäre das Barcelona-Tableau ein Richtwert für den ersten Vergleich der verkürzten Corona-Saison, dürfte sich der Mercedes-Pilot Valtteri Bottas freuen. Der war in Barcelona zuletzt am schnellsten unterwegs, gefolgt von Red-Bull-Mann Max Verstappen und Renault-Pilot Daniel Ricciardo. Charles Leclerc wurde im Ferrari Vierter, Lewis Hamilton im Mercedes Fünfter und Sebastian Vettel chauffierte seinen Ferrari nur auf den neunten Rang.

Seit Weihnachten eingefroren

Da die Interpretation von Testergebnissen auch mit Kaffeesatzleserei zu tun hat, sollte sich Bottas vor dem ersten Geisterrennen der Saison nicht zu früh freuen. Oft haben die Teams noch nicht alles gezeigt – und dann überrascht. Tatsächlich aber brachte die Corona-Krise den Formel-1-Betrieb zum Stillstand. Während des neunwöchigen Shutdowns durften die Teams ihre Autos nicht weiterentwickeln. Doch ganz ohne Veränderungen gehen die Rennställe natürlich nicht an den Start.

Der Mercedes W 11 von Hamilton und Bottas etwa wurde zwar wegen der langen Produktions- und Testzeiten einiger Komponenten schon um Weihnachten herum eingefroren – trotzdem ging danach die Arbeit heiter weiter. „Zu dem Zeitpunkt, als das Fahrzeug im März in Melbourne auf die Strecke gehen sollte, hatten wir bereits im Windkanal und in unseren Simulationen etwas mehr Performance gefunden“, sagt ein Mercedes-Mitarbeiter. Da wohl auch die anderen Teams noch Verbesserungen in der Pipeline haben, wird in Österreich ein munterer Wettbewerb erwartet. Alle werden so viel wie möglich aus ihren Autos herauskitzeln.

Dennoch sehen die Experten auch in Spielberg die üblichen Verdächtigen vorn. Mercedes wird demnach im umlackierten schwarzen Silberpfeil wieder die Messlatte sein. Auch bei Red Bull stehen die Zeichen auf Angriff, so will der ungeduldige Niederländer Verstappen endlich ernsthaft um den WM-Titel kämpfen. Einzig Ferrari stochert noch im Nebel herum und entpuppt sich als Wackelkandidat. Das war bei den Testfahrten erkennbar.

Update für Budapest

Und man sieht es an Vettels Rennwagen für Spielberg. „An diesem Wochenende wird das Auto in der Konfiguration fahren, die gegen Ende der Tests in Barcelona verwendet wurde“, sagt der Heppenheimer. Das würde allerdings nicht bedeuten, dass man in Maranello in den vergangenen sechs Wochen „Däumchen gedreht habe“, meint er noch. Die dürftigen Testergebnisse von Barcelona führten bei der Scuderia zu einem Umdenken im Hinblick auf die Aerodynamik. Ziel ist es jetzt, ein neues Update beim dritten Rennen in Ungarn zu bringen – und nicht schon in den ersten beiden Wettfahrten in Österreich. „Wir wissen, dass wir momentan nicht das schnellste Paket haben, aber das wussten wir schon vor Melbourne“, sagt der Ferrari-Teamchef Mattia Binotto, der Vettel während der Corona-Krise ohne Vertragsverlängerung abservierte.

Rotes durcheinander, silberfarbene Zurückhaltung, blaue Kampfansagen – die Branchengrößen bleiben ihren Linien im Großen und Ganzen also treu. Den so genannten „Best of the Rest“ wird möglicherweise wieder die traditionsreiche Marke McLaren anführen. Der Teamchef Seidl erwartet nach dem Start derweil extreme Belastungen, nicht nur für seine Truppe. „Wir werden die intensivste Saison aller Zeiten erleben“, sagt der 44 Jahre alte Passauer. Die Teams müssten sich auf einen „permanenten Balanceakt“ einstellen, um den dicht gedrängten Rennbetrieb und die nötige Weiterentwicklung der Autos in den Fabriken zu meistern, glaubt Seidl.

Schöne Reisen

Alte Erfahrungswerte können die Rennställe durch den Notfahrplan ohnehin in die Tonne stopfen. Es wird einige Unterschiede geben, weil auf einigen Strecken zu anderen Jahreszeiten gefahren wird – die Autos müssen an die Temperatur-Unterschiede angepasst werden. Auch stellen drei Rennen in drei Wochen eine große Herausforderung dar. Es gibt kaum Zeit, die Rennwagen zu warten, und die Teammitglieder sind noch länger als sonst von ihren Familien getrennt. Allerdings dürften Reisen nach Spielberg, Budapest oder Barcelona eine willkommene Abwechslung zum Homeoffice sein.