Ein Polizist steht im Mai 2015 in Nürtingen vor einer Schule, in der ein Mädchen in der Toilette überfallen und gefesselt wurde. Foto: dpa

In einer Schultoilette hat ein 27-Jähriger im Mai ein Mädchen mit Klebeband gefesselt und versucht sie zu entführen. Am Mittwoch steht er deswegen vor dem Landgericht in Stuttgart. Angeblich kenne er sein Motiv selbst nicht.

Stuttgart - Ein 27-Jähriger hat für die versuchte Entführung einer 15-Jährigen aus einem Gymnasium in Nürtingen vor Gericht um Entschuldigung gebeten - er schweigt jedoch beharrlich zu seinem Motiv. Womöglich kenne sein Mandant das Motiv selbst nicht, sagte der Anwalt des 27-Jährigen am Mittwoch zum Auftakt des Prozesses am Stuttgarter Landgericht. Wollte er ein Lösegeld erpressen? Wollte er das Mädchen quälen? Missbrauchen? Töten? Die Vorsitzende Richterin Cornelie Eßlinger-Graf legte dem Mann „dringend ans Herz“, sein Schweigen zu brechen. „Wenn man nicht weiß, was mit ihnen los ist, kann man ihnen auch nicht helfen.“ „Jeder will wissen, was Sie mit dem Mädchen machen wollten“, so die Vorsitzende Richterin am Mittwoch in Stuttgart. Er solle in sich gehen, ob er sich nicht doch öffnen wolle.

Menschenraub und gefährliche Körperverletzung

Die Anklage lautet unter anderem auf Menschenraub und gefährliche Körperverletzung. Für den Prozess sind acht Termine vorgesehen, 43 Zeugen sind geladen.

Das Opfer sagte am Mittwoch aus. Der Täter habe nicht gesagt, was er mit ihr vor hatte, sagte die heute 16-Jährige am Mittwoch vor dem Stuttgarter Landgericht. Das 1,60 Meter große und knapp 50 Kilo schwere Mädchen schilderte, wie der ihr unbekannte Mann sie in der Schultoilette überwältigte, mit Klebeband fesselte und versuchte, sie in einer Tasche fortzuschleppen. Er habe sie - halb in der Tasche steckend - bis zum Haupteingang des Gymnasiums geschleppt, sei dann aber umgekehrt. „Da hat er wohl gemerkt, dass es eine dumme Idee war.“ Das Erlebte lasse sie bis heute nicht los. Sie mache nichts allein und schlafe seit einiger Zeit wieder bei ihren Eltern, weil sie allein nachts hochschreckt.

5. Mai 2015: Laut Anklage schließt sich der 27-Jährige gegen 12.15 Uhr in der Damentoilette eines Gymnasiums in Nürtingen ein. Er hat Klebeband und eine große Reisetasche dabei. Der Mann greift die Schülerin - ein Zufallsopfer - an, fesselt sie am ganzen Körper mit Klebeband. Sie droht zu ersticken, schafft sich aber ein kleines Luftloch. Der 27-Jährige packt sein Opfer in die Reisetasche und versucht sie wegzuschleppen. An der Treppe dreht er um, weil die Tasche doch zu schwer ist, und lässt das Mädchen dann gefesselt in der Toilette liegen. Am Abend stellt er sich der Polizei und gibt an, betrunken gewesen zu sein.

Alkoholprobleme ziehen sich wie ein roter Faden durch den Lebenslauf des Angeklagten, der in Stuttgart aufgewachsen ist. Schon mit 14 Jahren habe er mit dem Trinken begonnen, berichtete er am Mittwoch. Seine Eltern trennten sich, nach dem Abitur wollte er zur Bundeswehr und Pilot werden. Als das nicht klappte, studierte er kurz in Regensburg VWL, machte dann doch eine Ausbildung im Hotelgewerbe, testete einen Job, den ihm sein Vater vermittelte, und wollte dann Landschaftsarchitektur in Nürtingen studieren.

Er lebte weitgehend isoliert und habe „keine Perspektive mehr gesehen“, berichtete er am Mittwoch vor Gericht. 2009 fuhr er ohne Führerschein im Auto seines Vaters nach Italien und dort absichtlich vor einen Brückenpfeiler. Nach dem Selbstmordversuch landete er in der Psychiatrie. Bei der Entlassung aus einer Entgiftung wird ihm später die Nachsorge empfohlen - doch „er dachte, er hätte es im Griff“, sagte sein Anwalt. Mehrere Versuche, in Tübingen Stadtplanung zu studieren, scheiterten „irgendwie an Prüfungen“, wie er sagte - vor allem aber wohl am Alkohol.