Zum Prozessauftakt versteckt sich der 55-jährige Angeklagte unter seiner Kapuze. Foto: Roberto Bulgrin

Weil sie sich scheiden lassen und mit den gemeinsamen Töchtern ausziehen wollte, soll ein 55-Jähriger in Ostfildern seine 34 Jahre alte Frau erschossen haben. Vor dem Landgericht wird ihm jetzt wegen Mordes der Prozess gemacht.

Ostfildern - Faktisch hatte sich die Frau von dem Angeklagten längst getrennt. Die 34-Jährige wollte sich scheiden lassen und beanspruchte das Sorgerecht für die gemeinsamen Töchter. Doch weil sie noch keine neue Bleibe für sich und die sechs und acht Jahre alten Kinder gefunden hatte, wohnte sie weiterhin mit dem 55-Jährigen in der Wohnung in Ostfildern-Kemnat. Das wurde ihr zum Verhängnis. Im August 2021 soll die Frau ihre Bemühungen, sich auch räumlich zu trennen, intensiviert haben. „Der Angeklagte hat ihr daraufhin jedes weitere Lebensrecht abgesprochen“, so formulierte es der Oberstaatsanwalt zum Prozessauftakt am Dienstag. Der Ehemann soll sich illegal eine Waffe beschafft haben. Am späten Abend des 7. August habe sich für den Angeklagten die Gelegenheit ergeben, seinen Tötungsplan umzusetzen, heißt es in der Anklage. Demnach soll der Ehemann bei einem Streit die geladene Pistole zunächst am Körper versteckt haben, um dann seiner Frau rechts und links in die Brust zu schießen. Die junge Mutter sackte auf dem Sofa zusammen und verblutete wenig später in der Wohnung. Einiges spricht dafür, dass der 55-Jährige die Tat geplant hatte und sich absetzen wollte. Laut der Staatsanwaltschaft lagen am Tatabend ein gepackter Koffer, Medikamente, Pässe und Impfpässe von ihm und den Mädchen sowie 5800 Euro Bargeld bereit.

Alkohol und Anabolika

Zum Tathergang äußerte sich der Angeklagte, der in Untersuchungshaft sitzt, am ersten Prozesstag vor der 19. Strafkammer nicht. Sein Verteidiger kündigte aber an, dass er am nächsten Verhandlungstag eine Stellungnahme seines Mandanten verlesen werde. Die Anklage wirft diesem Mord vor. Offenbar hatte es in der Ehe schon länger gekriselt. Ende 2020 hatte die junge Frau ihren Mann mehrfach wegen tätlicher und verbaler Angriffe bei der Polizei angezeigt. Für den Mann ist es die zweite Ehe. Aus erster Ehe und weiteren Beziehungen hat er insgesamt noch vier erwachsene Söhne.

Vor dem Landgericht berichtete er aus seiner brüchigen Biografie. Als Junge brach er die Schule ab, später die Ausbildung – Stress mit der Stiefmutter, Ärger mit dem Bruder. Gelegenheitsjobs auf der Baustelle, immer wieder Arbeitslosigkeit. Seine Mutter starb früh, der Vater kam bei einem Autounfall ums Leben. 2005 war der Angeklagte von Herfurth in den Kreis Esslingen gezogen. Hier lernte er seine Frau kennen, die er nach der Geburt der ersten Tochter 2013 heiratete. Mit ihr machte er sich als Bauunternehmer selbstständig, der Betrieb musste aber 2010 Insolvenz anmelden. Nach einer Herzattacke 2016 lebten er und seine Familie von Hartz IV und Gelegenheitsjobs, die er sich schwarz bezahlen ließ. Auf Nachfragen räumte der schmal wirkende 55-Jährige ein, zuletzt viel Alkohol getrunken zu haben – bis kurz vor der Tat eine halbe bis ganze Flasche Whiskey täglich. Seit 2019 habe er sich Anabolika zum Muskelaufbau und zur Gewichtsabnahme gespritzt. Wegen der Ehekrise habe er psychische Probleme gehabt. Abgelenkt habe er sich im Fitnessstudio, aber das hatte im Lockdown schließen müssen. „Da gab es schon Stimmungsschwankungen bei mir“, sagte er. Auch in der Untersuchungshaft wird der 55-Jährige psychologisch betreut. „Ich komme mit der Tat nicht klar“, sagte er und kämpfte mit den Tränen.

Vater hat sich kaum um die Kinder gekümmert

Wie er sich sein weiteres Leben vorstelle?, wollte der Richter von ihm wissen. „Ich will für meine Mädels da sein“, antwortete er schluchzend. Während der Ehe habe er sich aber wenig um die Kinder gekümmert. „Da stand die Mama im Vordergrund“, sagte der Mann, der sie erschossen haben soll, mit zitternder Stimme. Der Prozess wird am 28. Februar fortgesetzt.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Familiendrama in Ostfildern