Die 37-jährige Angeklagte sitzt im Gerichtssaal und verbirgt ihr Gesicht hinter einem Aktendeckel im Prozess wegen Mordes an ihrem 80-jährigem Ex-Freund. Foto: dpa/Markus Scholz

Nach dem Tod seiner Frau lernt ein Rentner eine neue kennen, die nicht mal halb so alt wie er ist. Acht Jahre später bringt die Baden-Württembergerin ihn nach Überzeugung des Landgerichts Hamburg aus Habgier um. Warum hielt der Senior so lange an der Beziehung fest?

Hamburg - Es ist eine sehr ungleiche Beziehung - und sie endet tödlich: Wegen der Ermordung ihres 80 Jahre alten Lebensgefährten hat das Landgericht Hamburg eine 37-Jährige zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Die Strafkammer sei davon überzeugt, dass die Angeklagte den Mann in der Nacht zum 3. April 2020 durch einen gezielten Griff an den Hals getötet habe, sagte der Vorsitzende Richter Matthias Steinmann am Mittwoch (Az.: 602 Ks 5/20).

Angst vor Enterbung

Der 80-Jährige habe ihr kurz zuvor mitgeteilt, dass er sich von ihr trennen wolle und ihr die Kontovollmacht entzogen. Außerdem habe er seinen Wohnungsschlüssel von ihr zurückgefordert. Die 37-Jährige habe befürchtet, dass der Senior auch sein Testament ändern und sie als Alleinerbin streichen könnte. „Dieses Motiv erfüllt das Handlungsmerkmal der Habgier“, sagte Steinmann. Der Prozess sei ein Indizienprozess gewesen. Das Gericht habe aber keinen Zweifel an der Schuld der Angeklagten, die im Prozess geschwiegen und die Tat in ihrem letzten Wort bestritten habe.

Eine Gutachterin hatte der aus Baden-Württemberg stammenden Angeklagten eine Persönlichkeitsstörung bescheinigt. Diese habe jedoch bei der Tat keine Rolle gespielt. Die 37-Jährige sei voll schuldfähig. Mit dem Urteil entsprach das Gericht der Forderung der Staatsanwaltschaft. Der Verteidiger hatte Freispruch gefordert. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Angeklagte rang sichtlich um Fassung. Die schmächtige Frau mit Brille, halblangen braunen Haaren und einem hellen Stoffmantel bat um ein Beruhigungsmittel, wofür die Urteilsverkündung für eine Viertelstunde unterbrochen wurde.

Der Getötete war wohlhabend

Als Angestellter auf einer Werft hatte es der 80-Jährige zu bescheidenem Wohlstand gebracht, wie der Richter weiter ausführte. Mit seiner Frau war er 45 Jahre lang verheiratet. In den letzten Jahren vor ihrem Tod 2011 hatte er sich täglich um sie in einem Pflegeheim gekümmert. In der Einrichtung lernte er auch die Angeklagte kennen, die damals bei einem sozialen Dienst beschäftigt gewesen sei.

Ob sie eine Ausbildung oder auch nur einen Schulabschluss hat, konnte das Gericht nicht sicher feststellen. Als Kind hätten sich ihre Eltern scheiden lassen, sie sei bei der Mutter geblieben. Mit Mitte 20 habe die Angeklagte eine Geschlechtsumwandlung zur Frau machen lassen, einen anderen Namen angenommen und sei nach Hamburg-Bergedorf gezogen. Dort fand sie keinen Anschluss und keine Freunde, wie Steinmann sagte. Ihre Stelle in einer Seniorenwohnanlage habe sie verloren und von Hartz IV gelebt.

Freund: „sie oder ich“

Die Beziehung zwischen der Angeklagten und dem mehr als 40 Jahre älteren Mann begann nach Angaben des Richters 2012. Ende 2013 gaben sich beide umfangreiche gegenseitige Vollmachten. Der kinderlose Senior habe sie als Alleinerbin eingesetzt. Was die beiden zusammenhielt, konnte das Gericht nicht herausfinden. Vermutlich sei es um wechselseitige Versorgung gegangen. „Wenig deutet auf eine Beziehung mit tiefen Emotionen hin“, sagte Steinmann.

Während das Konto des Seniors fortan meist leer war, ließ die Angeklagte ihre Mietwohnung für 14 000 Euro renovieren. Der alte Mann geriet in Schulden. Anfangs halfen ihm noch seine Freunde, die auch seine Kameraden bei der Freiwilligen Feuerwehr gewesen waren. Als sie merkten, dass auch ihr Geld bei der Angeklagten landete, zogen sie die Reißleine. „Sie oder ich“, habe ihm sein bester Jugendfreund 2017 gesagt. Der Senior entschied sich für seine Partnerin. Diese habe allerdings kaum noch Interesse an ihm gezeigt.

Konto wurde leer geräumt

Als der 80-Jährige im vergangenen März mehrere Tage im Krankenhaus lag, habe ihn die Angeklagte nicht besucht. Nach seiner Entlassung habe er am 31. März etwas von seiner Rente am Geldautomaten abheben wollen. Doch das Konto war leer. Eine halbe Stunde vorher habe die 37-Jährige bereits 1900 Euro abgebucht gehabt. Der alte Mann habe vor dem Nichts gestanden und sei maßlos enttäuscht gewesen, sagte Steinmann. Da habe er seine Partnerin angerufen und „Klartext“ geredet.

Am 2. April habe ihn eine alte Nachbarin und gute Freundin besucht. Ihr erzählte er, dass er mit der 37-Jährigen Schluss gemacht habe und fügte nach Erinnerung der Zeugin hinzu: „Siehst du, man kann auch mit 80 was lernen!“ Als die Nachbarin ihm zwei Tage darauf erneut etwas zu essen bringen wollte, kam sie mit ihrem Zweitschlüssel nicht in die Wohnung. Das Schloss war mit Streichhölzern blockiert. Feuerwehr und Polizei fanden die Leiche. Rechtsmediziner stellten einen gewaltsamen Tod fest.

Geständnis vor einem Bekannten

Zwei Wochen später meldete sich ein Bekannter der Angeklagten bei der Polizei. Der 50-Jährige habe vor Gericht glaubhaft berichtet, dass die Angeklagte ihm gegenüber die Tat gestanden habe. Er sei danach schockiert gegangen und habe ihr in einer Sprachnachricht mitgeteilt: „Du hast mich zum Mitwisser gemacht. Hol dir Hilfe!“ Die Angeklagte wurde verhaftet. Nach dem Tod des 80-Jährigen hatte sie nach Angaben von Steinmann bereits einen Makler angerufen, um seine Wohnung im Wert von 400 000 Euro zu verkaufen.