Staatsanwalt Bernard Südbeck (links) und Kriminalrat Martin Lammers. Foto: dpa

Staatsanwalt: Fakten sprechen gegen den Jugendlichen - Lena am Mittag beigesetzt.

Emden/Berlin - Dramatische Wende im Mordfall der elfjährigen Lena aus dem ostfriesischen Emden: Der am Dienstagabend festgenommene 17-Jährige ist wieder auf freiem Fuß. Der Jugendliche sei unschuldig, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft am Freitag mit. Er befinde sich in polizeilicher Obhut. Gefahndet werde nach wie vor nach einem jungen Mann in dunkler Kleidung. Unterdessen wurde das ermordete Mädchen auf dem städtischen Friedhof in Emden im engsten Familienkreis beigesetzt.

Oberstaatsanwalt Bernard Südbeck sagte, für die Sicherheit des aus der Untersuchungshaft entlassenen Jugendlichen sei gesorgt. Die Indizien, die anfangs gegen den Tatverdächtigen gesprochen hätten, seien durch Fakten widerlegt worden. Die 40-köpfige Mordkommission ermittele weiter mit Hochdruck und gehe allen Hinweisen nach. Zu Spekulationen über einen möglichen neuen Tatverdächtigen oder gar eine Festnahme wollte sich Südbeck nicht äußern.

Der Oberstaatsanwalt trat entschieden Vorwürfen einer vorschnellen Festnahme und Vorverurteilung des 17-Jährigen entgegen. Es habe am Mittwochabend dringender Tatverdacht bestanden, „es blieb uns zu diesem Zeitpunkt keine andere Wahl und dazu stehen wir auch“, sagte Südbeck zur Beantragung des Haftbefehls an diesem Abend. Polizei und Staatsanwaltschaft hätten „zu jeder Zeit richtig gehandelt“.

Kriminologe wirft Polizei gravierende Fehler vor

Zuvor war Kritik am Vorgehen der Beamten laut geworden. Die Verdachtsmomente gegen den Jugendlichen seien dürftig gewesen, trotzdem habe ihn die Polizei öffentlich in Handschellen vorgeführt, sagte der Kriminologe Christian Pfeiffer der dapd. Er sprach von gravierenden Fehlern.

Durch die Aufrufe zur Lynchjustiz in sozialen Netzwerken habe der junge Mann „den blanken Horror erlebt“, sagte der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Die Polizei habe damit rechnen müssen, dass sich der Name des 17-Jährigen über das Internet verbreite.

Eine aufgebrachte Menge von 50 Personen hatte sich am Dienstagabend vor dem Emder Polizeirevier versammelt, um es zu stürmen und den zu diesem Zeitpunkt Verdächtigen zu lynchen. Zu der Tat war vorher im sozialen Netzwerk Facebook aufgerufen worden. Südbeck kündigte an, diesem und anderen Hetzaufrufen entgegen zu treten und die Täter zu verfolgen.

Keine Toleranz für „Wild-West-Methoden“

Südbeck wehrte sich gegen den Vorwurf, den Jugendlichen mit der öffentlichen Festnahme vorgeführt zu haben. „Wir nehmen Festnahmen so vor, dass ein Tatverdächtiger nicht fliehen kann“, sagte er. Wie dies gewährleistet werden könne, werde immer im Einzelfall entschieden. Es sei sich an die Vorschriften gehalten worden. Pfeiffer hatte die öffentliche Festnahme als nicht mit der Unschuldsvermutung vereinbar kritisiert.

Die „volle Härte des Gesetzes“ für Aufrufe zur Selbstjustiz forderte der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut. Es dürfe nicht toleriert werden, dass „einige soziale Netzwerker glauben, in unserem Rechtsstaat Wild-West-Methoden wiederbeleben“ zu können.

Das ermordete Mädchen war am Mittag auf dem städtischen Friedhof in Emden im engsten Familienkreis beigesetzt worden. „Wir verlieren ein besonderes Mädchen, Lena wird uns fehlen“, sagte Pastor Manfred Meyer. Polizisten schirmten den Eingang zum Friedhof komplett ab, um der Familie einen Abschied in aller Ruhe ermöglichen zu können.