Ute Mackenstedt kennt keinen Ekel, sondern ist fasziniert von Schmarotzern wie der Hyalomma-Zecke. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Sie klingt, als wäre sie einem Horrorfilm entsprungen: Die Hyalomma ist groß und jagt ihre Opfer. Ute Mackenstedt nimmt nicht Reißaus, sondern den Schmarotzer genau unter die Lupe.

Stuttgart - Eine neu eingewanderte Zecke hat erstmals in Deutschland überwintert – davon geht Ute Mackenstedt von der Uni Hohenheim aus. Im Montagsgespräch erklärt sie, welche Indizien dafür sprechen.

Frau Mackenstedt,bekommen Sie derzeit interessante Post?

Ja, definitiv! Seit unserem Aufruf auf Facebook Anfang März, wo wir darum gebeten haben, dass Menschen uns auffällige Zecken einsenden, haben wir 1500 bis 1600 Zecken bekommen. Pro Tag kommen noch immer zwischen fünf und 15 Pakete. In den Paketen sitzen die Zecken meist etwas bedröppelt in Marmeladengläsern oder Cremedöschen. So bekommen wir auch die Hyalomma-Zecke. Das ist die einzige Möglichkeit, wie wir an sie herankommen, weil wir sie nicht so einsammeln können wie unseren Holzbock.

Wieso nicht?

Das hat etwas mit dem unterschiedlichen Verhalten der beiden Zecken zu tun. Der Holzbock ist blind, hockt auf dem Gras und wartet darauf, dass Sie vorbeikommen. Deshalb kann man ihn mit einer Zeckenfahne einfangen. Das ist ein Moltontuch, das man über Gräser zieht, und an dem die Zecken hängenbleiben.

Und Hyalomma?

Hyalomma macht das nicht. Sie ist eine sogenannte Jagdzecke: Sie sieht uns und läuft aktiv auf uns zu. Ihr Name beinhaltet das auch: Omma ist das Auge und hya bedeutet klar. Also: Das klare Auge. Wenn Hyalomma keinen Wirt sucht, verbirgt sie sich unter Steinen oder in Spalten, deshalb können wir sie nicht einsammeln. Ansonsten aber ist sie absolut lebhaft und sehr schnell unterwegs.

Wie viele der rund 1500 eingesandten Zecken waren tatsächlich Hyalomma?

Ein Kollege von mir, Gerhard Dobler in München, hat fünf Hyalomma zugeschickt bekommen, die alle auf einem Pferd gesessen haben – und wir sind bei drei Hyalomma. Das hört sich nach nicht viel an, aber ich denke, das fängt jetzt erst an. Denn wir wissen aus dem vergangenen Jahr, dass die meisten Hyalomma ab Juni, Anfang Juli bis in den September hinein zu uns gekommen sind. Deswegen waren wir auch überrascht, dass wir die ersten Exemplare in diesem Jahr schon Ende Mai eingeschickt bekommen haben. Das ist für uns ein Hinweis darauf, dass diese Zecken hier überwintert haben.

Wieso?

Die beiden Hyalomma-Arten, die wir bisher in Deutschland nachgewiesen haben, kommen aus Afrika und vom Balkan. Hyalomma-Larven gehen auf Vögel, saugen Blut, häuten sich auf diesem Vogel zur Nymphe, saugen wieder Blut – dann lassen sie sich abfallen. Das kann eben auch hier in Deutschland passieren. Und dann entscheidet es sich, was mit diesen Nymphen passiert. Können die sich zu einer erwachsenen Zecke weiterentwickeln? Das hängt von der Temperatur und vom Klima ab. Wir gehen davon aus, das früher auch solche Zecken nach Deutschland eingetragen worden sind, sie sich aber kaum einmal zu erwachsenen Zecken weiterzubilden konnten. Da wir aber im letzten Jahr diese lange heiße und trockene Phase hatten, hat das die Entwicklung zur erwachsenen Zecke beschleunigt. Einige sind in die Winterruhe gegangen – und an den warmen Tagen im Mai aktiv geworden. Da waren die Zugvögel noch gar nicht da.

Heißt das, dass die Hyalomma hier eine Population bilden konnte?

Das wird die nächste spannende Frage sein. Sie brauchen für den Aufbau einer Population Männchen und Weibchen. Wenn Sie ein Weibchen in Bayern und ein Männchen in Schleswig-Holstein haben, das passt nicht.

Wie war das bei dem Pferd, auf dem fünf Hyalomma gefunden wurden?

Das waren alles Männchen. Aber die Frage ist, ob wir so viele Hyalomma-Zecken bekommen werden, dass Männchen und Weibchen sich finden und Weibchen wirklich Eier legen könnten. Das wissen wir nicht – aber wir beobachten es. Und ich denke, es ist sehr sinnvoll, es im Blick zu behalten.

Warum?

Es geht nicht darum, dass wir einen Hype starten oder uns wichtigmachen wollen, sondern wir müssen solche Sachen beobachten, weil Hyalomma bestimmte Krankheiten übertragen kann.

Welche Krankheiten etwa?

Wir können bisher nur sagen, welche Krankheiten sie in den Ländern, in denen sie heimisch ist, überträgt. Das ist zum einen das Krim-Kongo-Hämorrhagische-Fieber, das ist eine Viruserkrankung, gegen die es keinen Impfstoff gibt. Zudem gibt es das Arabisch Hämorrhagische Fieber. Beide Erkrankungen sind mit starken Blutungsneigungen und hohem Fieber verbunden – und an beiden Erkrankungen kann man sterben. Allerdings haben wir in den Zecken, die wir gefunden haben, diese Erreger nicht nachgewiesen. Dafür haben wir ein Bakterium entdeckt, das auch auf den Menschen übertragen werden kann. Es ist einer der Erreger des tropischen Zeckenfleckfiebers.

Also spielt hier nur das Fleckfieber eine Rolle?

Nun, die Gefahr ist die: Wenn irgendwann viele Hyalomma-Zecken hier leben sollten, und jemand mit dem Krim-Kongo-Hämorraghischen-Fieber nach Deutschland kommt und von einer Hyalomma gestochen wird, dann hat diese Zecke die Fähigkeit, die Erreger weiterzugeben. Das ist nicht eine Aussage, die ich aus einer Wolke destilliert habe, sondern das ist bei vielen Krankheiten genauso gewesen: Es waren die Vektoren da – und irgendwann sind die Krankheitserreger hinterhergekommen.

Haben Zecken eigentlich einen Nutzen?

Das ist eine anthropozentrische Frage, nach dem Motto: Ihh, das ist ekelig. Aber die Zecke ist einfach eine biologische Art, die es gibt. Und das schon seit 100 Millionen Jahren. Die hat schon an den Dinos Blut gesaugt und sie macht seitdem nichts Anderes. Die Zecke ist ein Erfolgsmodell. Sie hat sich kaum verändert, das weiß man aus Bernsteinfunden. Zudem schädigen Zecken ihre Wirte eigentlich nicht. Sie nehmen zwar Blut auf, aber bei uns spielt das nicht so die Rolle, sie können uns nicht blutleer saugen.

Sie haben einen anderen Blick auf Zecken als der ‚normale‘ Mensch – wie kommt man auf die Idee, sich mit Parasiten zu beschäftigen?

Ich habe Biologie studiert und mich erst mit allem Möglichen beschäftigt. Dann bin ich zur Parasitologie gekommen. Was mich daran so fasziniert, ist die Interaktion zwischen dem Parasiten und dem Wirt. Da gibt es unglaubliche Anpassungserscheinungen: Der Parasit muss den Wirt kennenlernen und Möglichkeiten finden, wie er ihn austrickst – aber er darf ihn nicht töten, sonst entzieht er sich seiner Lebensgrundlage.

Welche Zecken kamen noch mit der Post?

Die Auwaldzecke etwa. Wir haben gerade erst ein neues Forschungsprojekt besprochen, in welchem wir diese Zecken auf Krankheitserreger untersuchen wollen. Deshalb: Bitte weiter einschicken!