„Zeit“-Autor Harald Martenstein als Underground-Journalist Foto: Kat Kaufmann

Wir sprachen mit dem „Zeit“-Autor Harald Martenstein über seinen Roman „Schwarzes Gold aus Warnemünde“, den er gemeinsam mit Tom Peuckert geschrieben hat. Martenstein kommt immer wieder gern in die Stadt zurück, in der als Redakteur der „Stuttgarter Zeitung“ gearbeitet hat. Am Mittwoch liest er im Theaterhaus. Wir verlosen Karten.

Stuttgart - Herr Kollege Martenstein, wie schreibt man zu zweit ein Buch?
Das geht eigentlich nicht.
Trotzdem haben Sie und Tom Peuckert es getan?
Na ja, man muss sich die Arbeit aufteilen, also in unserem Fall die Kapitel. Dass wir dieses Buch zu zweit geschrieben haben, hängt mit dem Thema zusammen. „Schwarzes Gold aus Warnemünde“ handelt davon, dass es 2015 die beiden deutschen Staaten immer noch gibt. Ich hätte mich als lebenslanger Westdeutscher nicht getraut, ein DDR-Buch zu schreiben. Aber in der Doppelung, Ex-DDR-Bürger und Westdeutscher, ging’s.
Heraus kam eine deutsch-deutsche Satire.
Wir erzählen die Geschichte einer Ost-West-Freundschaft, bei der jeder den Verdacht hegt, dass der andere ihn ausspioniert. Alles fängt damit an, dass im Herbst 1989 Günter Schabowski auf der berühmten Pressekonferenz den legendären Zettel herauszieht. Allerdings verkündet er nicht den Fall der Mauer. Er sagt, ihm sei mitgeteilt worden, dass an der Ostseeküste die größten Erdölvorkommen der Welt entdeckt worden seien.
Wer ist auf die wunderbare Idee gekommen?
Tom Peuckert – als er im Bett lag und überlegte, was aus ihm geworden wäre, wenn es die DDR noch geben würde. Der nächste gedankliche Schritt war: Wie hätte das so kommen können? Die DDR war ja pleite. Das Öl behebt das Problem mit einem Schlag. Wir haben die Voraussetzungen für den Sozialismus geschaffen, es gibt Geld ohne Ende.
Das heißt, im Grunde habt ihr Gott gespielt.
Ja, fiktive Geschichtsromane sind kein unübliches Genre. Der berühmteste Roman dieser Art ist „Vaterland“ von Robert Harris. Er spielt in den sechziger Jahren und handelt davon, dass die Deutschen den Zweiten Weltkrieg gewonnen haben.
Eine Erkenntnis aus „Schwarzes Gold aus Warnemünde“ ist: Geld macht die Welt nicht gerechter, aber es hält den Laden am Laufen.
Die Tatsache, dass alle Leute im Geld schwimmen, macht sie nicht liebenswerter. In unserer DDR gibt es alles, was es bei uns auch gibt. Es gibt das Internet, das Nationalnetz heißt, Computer und den Turbo-Trabbi, der auch nach Westdeutschland verkauft wird. Im Roman sind die Westdeutschen Underdogs, die in den Osten gehen, um dort niedere Arbeit zu verrichten. Es hat Spaß gemacht, die DDR 2015 zu erfinden.
Worin besteht der Unterschied zwischen Ihrer und der real untergegangenen DDR?
Unsere DDR von 2015 ist ein großer Fake. Es gibt zwar Parteitage und die Blockparteien, zu denen nun auch die Grünen gehören. Die Ideologie wird nach wie vor gepredigt, aber es glaubt jetzt wirklich keiner mehr daran. Das ist ähnlich wie in China oder in den Golfstaaten. Unsere DDR ist allerdings klüger geworden. Es gibt nach wie vor die Stasi. Aber sie haben kapiert, dass es cleverer ist, erst zuzuschlagen, wenn es gefährlich wird.
Deshalb lässt man Sie und Peuckert als Untergrund-Journalisten gewähren.
Klar. Im Grunde ist das wie in China. Da werden auch manchmal systemkritische Filme erlaubt. Und ein Jahr später andere verboten. Willkür gehört zum System.
Im Roman tauchen etliche Polit-Promis auf. Gregor Gysi macht Karriere, Sahra Wagenknecht nicht. Warum?
Frau Wagenknecht wird durch ihre Ideale behindert, also dadurch, dass sie an das Zeug glaubt. Ein korruptes, marodes Land wie diese reiche DDR hat für Idealistinnen keinen Platz. Wagenknecht gründet eine Yoga-Schule in Prenzlauer Berg und vereint den Glauben an den Sozialismus und den Sonnengruß. Eine wichtige Figur ist die Ex-Eiskunstläuferin Katarina Witt, die das DDR- Dschungelcamp moderiert. Das Camp befindet sich in Kuba. In die Sendung werden Dissidenten und ideologisch unzuverlässige Leute geschickt, zur Bewährung.
Die Karriere von Frau Merkel verläuft auch anders als bekannt.
Sie muss eine Zeit lang ins Gefängnis und geht dann in die USA. Das Buch spielt übrigens auch mit journalistischen Tonlagen. Bei Merkel habe ich mich an Alexander Osang orientiert, der ein paar preisgekrönte, sehr gute Porträts über Merkel geschrieben hat. Ich hab’ bei ihm sogar ein paar Sätze geklaut – eine Hommage. Ein anderes Kapitel habe ich versucht, im Stil von Matthias Matussek zu schreiben. So ist das Buch auch eine Leistungsschau des deutschen Journalismus.
Hat sich einer der Promis bei Ihnen gemeldet?
Ich habe aus dem Buch bei einer Stiftung gelesen, die sich der Erforschung des DDR-Unrechts zur Aufgabe gestellt hat. Dort traf ich den Pfarrer Rainer Eppelmann, ein sehr sympathischer Herr. Der kommt in unserem Buch als gebrochene Existenz vor. Er ist bei uns nach wie vor Pfarrer, hat ein dickes Auto, ist aber kreuzunglücklich. Eppelmann hat über die Figur gelacht und gesagt, er sei froh, dass es anders gekommen sei.
Das Buch ruft nach einer Verfilmung.
Das habe ich schon öfter gehört. Das Problem ist, dass es wohl recht aufwendig wäre, das Ganze zu produzieren, mit all den DDR-Handys und ultraschicken Trabbis.
Also ein Fall für Hollywood.
Ich denke da an Roland Emmerich.
Wer würde bei einer Verfilmung Gysi spielen?
Robert Duvall ist vielleicht etwas zu alt. Es müsste eine Figur sein, die sympathisch ist, aber auch dieses Schlawinerhafte transportiert, jemand wie Christoph Waltz.
Und Frau Merkel?
Ich würde mich nur darauf festlegen wollen, dass es nichts für Veronica Ferres ist.
Und Martenstein?
Da stelle ich mir Johnny Depp vor.
Gestatten Sie KNITZ eine ketzerische Frage: Wie konnten Sie als vielbeschäftigter Kolumnist nebenher einen Roman schreiben?
Es war ja nur ein halber. Ich glaub’, wenn man eine Ausgangsidee hat, die einem gefällt, gerät man in einen Flow. Wenn ich Rückenwind spüre, komme ich gut voran.

Wir verlosen für die Martenstein-Lesung im Theaterhaus am Mittwoch, 7. Oktober, 20.15 Uhr, jeweils fünfmal zwei Karten. Schreiben Sie an: verlosung@stn.zgs.de oder an die Stuttgarter Nachrichten, Postfach 10 44 52, 70039 Stuttgart. Telefonnummer nicht vergessen!