Vor 30 Jahren hat Titus Häussermann den Silberburg-Verlag gegründet Foto: Kai Fischer

An die Zukunft des gedruckten Buchs glaubt Titus Häussermann, der vor 30 Jahren den Silberburg-Verlag gegründet hat. „Das Lesen auf Papier wird von den meisten Buchfans als angenehmer empfunden“, sagt der Chef des größten Regionalverlags in Baden-Württemberg.

Stuttgart - Herr Häussermann, in 30 Jahren haben Sie 1500 Bücher verlegt. Wie viele davon haben Sie gelesen?
Manche vier- oder fünfmal in verschiedenen Stadien, andere habe ich nur überflogen. Verlagsarbeit ist Teamarbeit, und das gilt natürlich auch fürs Lesen und Prüfen der Manuskripte.
Auf welche Bücher sind Sie besonders stolz?
Die Verlegerei ist ein Seiltanz zwischen kulturellem Anspruch und Wirtschaftlichkeit. Wir sind vor allem auf diejenigen Bücher stolz, die beides erfüllen, die inhaltlich und gestalterisch etwas ganz Besonderes sind und dennoch Geld abgeworfen haben.
Welche Bücher waren das? Und bei welchen ärgern Sie sich, sie verlegt zu haben.
Autoren sind als Künstler und Kreative oft ebenso selbstbewusst wie empfindlich, und da ich niemandem auf den Schlips treten möchte, will ich keine Titel nennen.
Sie waren einst Schriftsetzer bei den Stuttgarter Nachrichten. Wann haben Sie beschlossen, Verleger zu werden?
Einmal einen Verlag zu betreiben war ein Jugendtraum von mir. Aber der Weg dorthin war verschlungen, und ich hätte mir ebenso gut vorstellen können, Journalist oder Fotograf zu werden. Der Entschluss, den Silberburg-Verlag zu gründen, fiel beim Studium an der Uni Stuttgart. Ich wollte mir selbst eine Zukunftsperspektive geben.
Wollten Sie der Welt etwas mitteilen?
Missionieren? Nein, das lag mir immer fern. Ich bin Schwabe und wollte einfach was Solides machen.
Warum heißt Ihr Verlag Silberburg-Verlag?
Der Name sollte einen Bezug zu Stuttgart und Baden-Württemberg haben und angenehm klingen. Die Silberburg am Fuß der Stuttgarter Karlshöhe, an die auch die Silberburgstraße erinnert, war Anfang des 19. Jahrhunderts ein Ausflugslokal vor den Toren der Stadt, benannt nach dem Wirt Lorenz Silber. Später hat sie der Museumsgesellschaft gehört und war der Treffpunkt für Stuttgarter Maler, Schriftsteller, Politiker, bis man sie 1938 abgebrochen hat.

In der regionalen Nische groß geworden

Sie haben in einem Keller im Stuttgarter Westen als Ein-Mann-Verlag angefangen. Was sagen Sie heute jungen Menschen, die einen Verlag gründen wollen?
Hast du dir das gut überlegt? Von Büchern zu leben war nie einfach und ist heute angesichts der gewachsenen Medienvielfalt noch schwerer. Andererseits sind Bücher ein faszinierendes Medium, kompakt, zeitüberdauernd, voller Überraschungen und durchaus zukunftsträchtig.
In der regionalen Nische sind Sie groß. Hat es Sie nicht gereizt, über Baden-Württemberg hinaus den Buchmarkt aufzumischen?
Alle derartigen Pläne haben die Geschäftsführer, nämlich meine Frau und ich, beim zweiten Mal Nachdenken fallengelassen. Wir bleiben lieber im Ländle Marktführer und liefern hier den Lesern spannende und vertrauenswürdige Bücher. Allerdings sind wir über die Regionalbuch AG, die wir mitgegründet haben, mit vielen Regionalverlagen aus anderen Gegenden Deutschlands vernetzt. Im übrigen ist unser Land kein Zwerg: Baden-Württemberg ist so groß wie die Niederlande und hat so viele Einwohner wie Portugal. Und dabei sensationelle Sehenswürdigkeiten und eine spannende Geschichte – das liefert täglich neuen Stoff.
Was heißt für Sie Heimat in der globalisierten Welt?
Heimat ist für mich da, wo meine Wurzeln sind. Und weil jeder mehrere Wurzeln hat, müsste man eigentlich von Heimaten sprechen. Die Straße, in der ich aufgewachsen bin, ist ebenso Heimat wie meine Heimatstadt oder mein Heimatland, meine Muttersprache, mein Dialekt, meine Familie, mein Freundeskreis. Nicht entweder – oder, sondern sowohl – als auch.
Dann können auch Flüchtlinge bei uns heimisch werden?
Flieht jemand aus Syrien zu uns, dann kann ihm Baden-Württemberg zur neuen Heimat werden, ohne dass er seine alte Heimat aufgeben müsste. Man kann seine Heimat auch auf Facebook oder in anderen virtuellen Welten finden. Teilweise vermitteln oder verstärken unsere Bücher das Heimatgefühl, teilweise helfen sie bei der Suche nach den eigenen Wurzeln. Aber nicht rückwärtsgewandt, sondern ganz klar im Heute.
Sie haben lange Zeit keine Krimis verlegen wollen. Irgendwann haben Sie mit den Regionalkrimis auch regionale Frauenbücher zum Verkaufsrenner gemacht. An welchem neuen Trend arbeiten Sie gerade?

Marksättigung bei den E-Book

Wir können keine Trends setzen, aber wir beobachten die gesellschaftlichen Entwicklungen sehr aufmerksam und versuchen, Trends möglichst früh zu erkennen. Welche das unserer Meinung nach sind? Entschuldigung: Wir wären schlechte Kaufleute, wenn wir das laut hinausposaunen würden.
Die Buchbranche musste im vergangenen Jahr im Publikumsmarkt einen Umsatzrückgang von 1,7 Prozent hinnehmen. Wie motivieren Sie sich, wenn Sie immer mehr arbeiten müssen und immer weniger Bücher verkaufen?
Die Zeiten sind in der Tat für Publikumsverlage nicht ganz einfach. Das Leben wird immer vielfältiger, und weil der gleich große Kuchen in immer mehr Stücke geteilt wird, werden die einzelnen Stücke kleiner. Die Bücherwelt ist eines dieser Stücke. Klar: Wer in der S-Bahn auf dem Smartphone seine Mails checkt, liest in dieser Zeit kein Buch. Ich habe den Ehrgeiz, dass, wenn er ein Buch zur Hand nimmt, das wenigstens ein Silberburg-Buch ist. Wir wollen Bücher machen, die man haben will – das motiviert.
Gedruckte Bücher, so glauben Pessimisten, werden künftig das sein, was heute die Schallplatte ist: ein Liebhaberprodukt in einem überschaubaren Markt. Hat Print gegen die Digitalisierung verloren?
Noch vor fünf Jahren hätte ich wahrscheinlich ja gesagt. Heute zögere ich. Das Lesen auf Papier wird von den meisten Leuten als angenehmer empfunden. Ich kann zum Beispiel bei Zeitungen und Zeitschriften leicht etwas anstreichen oder herausreißen, Bücher kann ich vererben oder weiterverkaufen. Ein Buch aus dem 19. Jahrhundert kann ich problemlos zur Hand nehmen und darin etwas nachschlagen. Die wichtigen Dateien aus unserem ersten Verlags-PC hingegen, einem 386er von 1989, haben wir damals auf Fünfeinviertel-Zoll-Floppys gesichert. Für die gibt es schon lang keine Laufwerke mehr.
Der Anteil der E-Books in Deutschland steigt nur leicht an. Wie erklären Sie sich, dass sich die Umsatz-Dynamik abschwächt?
Wenn Sie ein neues Medium einführen, sind am Anfang die Steigerungsraten höher als nach einer gewissen Marktsättigung. Und selbst wenn Sie in Euro und Cent Jahr für Jahr die gleiche Steigerung hätten, würden die Prozentzahlen sinken, weil der immer höhere Vorjahreswert die Basis für die prozentuale Veränderung bildet. Die Statistiken erfassen nur den Publikumsmarkt, während das E-Book bei wissenschaftlichen und Fachpublikationen längst eine große Rolle spielt. Und die Statistik erfasst keine illegalen Downloads. Wie dem auch sei: Die Buchbranche hat sich gewundert, dass der Knick in der Kurve so früh kam, bei knapp fünf Prozent Umsatz- und Absatzanteil. In den USA beträgt der E-Book-Anteil 30 Prozent.
Wie sieht es bei Ihnen aus?
Wir in unserem Verlag haben mit unseren rund 100 E-Books die Erfahrung gemacht, dass Unterhaltungsromane einschließlich Krimis gern digital gekauft und gelesen werden, alle anderen Sparten und Genres hingegen tun sich schwer.
Dank des Internets kann jeder Selbstgeschriebenes nach Belieben ins Netz stellen. Wie schätzen Sie den Markt für Self-Publishing ein?
Das ist qualitativ und wirtschaftlich wie der Unterschied zwischen einem You-Tube-Video und einem Kinofilm.
Zum Schluss noch Buchtipps vom Verleger. Nennen Sie uns zwei gute Bücher - eines aus Ihrem Verlag und eines von der Konkurrenz.
Ha, das ist die leichteste Frage. Ich empfehle zwei ältere Bücher, die mich beide bis heute faszinieren. Aus dem eigenen Verlag: „Eine Hand voll Staub“ von Lina Haag, erstmals erschienen 1947 und von uns 2004 wiederveröffentlicht. Lina Haags Mann Alfred war KPD-Abgeordneter im Stuttgarter Landtag; beide wurden von den Nazis jahrelang in verschiedenen Gefängnissen und Konzentrationslagern festgehalten. Nach ihrer Entlassung hat Lina Haag für die Freilassung ihres Mannes gekämpft und ist dabei bis zu Heinrich Himmler persönlich vorgedrungen. Das und ihre eigene Geschichte schildert sie in Form eines langen Liebesbriefs – wer das liest, vergisst es nicht mehr. Und von der Konkurrenz: „Entdeckung der mittelalterlichen Stadtplanung“ von Klaus Humpert und Martin Schenk, 2001 erschienen im Theiss-Verlag. Humpert schildert in dem Buch seine Entdeckung, dass viele mittelalterliche Städte nicht einfach gewachsen sind, sondern planvoll angelegt wurden.