Die Angehörigen wohnen nahe des Hospitals und waschen die Wäsche der Patienten Foto:  

Die Radiologin Anna Gerlach aus Möhringen hat einen Monat freiwillig in einem Hospital in Tansania gearbeitet. Dort reisen oft ganze Familien gemeinsam an, um ihre Angehörigen im Krankenhaus zu versorgen.

Möhringen - In Afrika ticken die Uhren anders – und die Menschen auch. „Hatte jemand einen Unfall, wird erst mal abgewartet. Wird es von allein besser? Stirbt er rasch? Dann ist es eben so. Lebt er weiter, dann macht man sich auf den Weg ins Krankenhaus“, erzählt Anna Gerlach. Und dieses sei im Normalfall viele Stunden über holperige Pisten entfernt. Die 70-Jährige aus Möhringen spricht aus Erfahrung, sie hat von Ende Februar bis Ende März im Consolata-Hospital in Ikonda, Tansania, gearbeitet.

Die Radiologin ist seit zehn Jahren im Ruhestand, 26 Jahre lang war sie im Katharinenhospital tätig. Eine befreundete Radiologin berichtete ihr von deren Tochter, die vor ihrem Ausbildungsstart als medizinisch-technische Radiologieassistentin in den 2000 Einwohner großen Ort ging. Der Computertomograf (CT) in dem Krankenhaus dort, das von der Consolata-Ordensgemeinschaft getragen wird, war neu, und nur unter Schwierigkeiten brachten sie das Gerät zum Laufen. „Eigentlich müsste da mal ein Radiologe vor Ort sein, hat meine Freundin zu mir gesagt“, erzählt Gerlach. Gesagt, getan: „Allein die Anreise dauerte drei Tage“, berichtet sie.

Unterwegs übernachtete die Medizinerin in Missionshäusern der Consolata-Ordensgemeinschaft, die auch als Turiner Missionare bekannt sind. Italienisch kann Anna Gerlach nicht, und schon gar nicht die Landessprache Swahili. „Ich war die einzige Deutsche und schlug mit mich Englisch durch“, erzählt sie. Das klappte vor allem mit den Ärzten im Krankenhaus gut, denn die medizinischen Begriffe sind ähnlich.

Kind hat Schlüssel verschluckt

Ihr Arbeitsalltag im Consolata-Hospital war mit dem in einem deutschen Krankenhaus nicht zu vergleichen. Zwar ist das Hospital recht gut ausgestattet, da es privat geführt und durch Spenden getragen wird. In der Radiologieabteilung sei aber wenig los: „Ich habe im Schnitt vielleicht eine Computertomografie am Tag gemacht“, erzählt Gerlach. Im Deutschland laufen diese Geräte oft Tag und Nacht. Hauptsächlich habe sie Ultraschall-Untersuchungen vorgenommen, davon etwa 40 bis 50 pro Tag. „Die Patienten müssen für die Untersuchungen bezahlen“, erzählt sie. Ein Ultraschall zum Beispiel kostet 2,50 Euro. Ist das für die zumeist arme Bevölkerung finanziell zu stemmen? „Ja. Und ich finde das auch richtig. Mit Geschenken gehen sie um, dass einem die Haare zu Berge stehen. Nur, wenn etwas Geld kostet, wird es wertgeschätzt.“

Auch sonst ist vieles anders dort. Die Angehörigen der Patienten wohnen in der Nähe des Hospitals. Sie waschen die Wäsche ihres Familienmitglieds, bringen denjenigen zur Toilette, zu Untersuchungen und kochen für ihn – in Deutschland unvorstellbar. „Das ist so Tradition dort. Man geht gemeinsam ins Krankenhaus“, sagt Gerlach. Bis die Familien mit dem Patienten im Hospital ankommen, haben sie oft eine abenteuerliche Anreise hinter sich. Mancherorts gibt es zwar staatliche Krankenhäuser, die näher sind. „Dort gibt es aber viel Korruption. Man muss den Pförtner bezahlen, um hineinzukommen, die Schwester, um den Arzt zu sehen, und den Arzt, damit er etwas tut“, beschreibt sie. Im Consolata-Hospital könne man sicher sein, dass man überhaupt einen Mediziner zu Gesicht bekomme. Zudem habe die Einrichtung einen guten Ruf. „Eine Familie kam sogar aus Sansibar, weil ihr Kind einen großen Schlüssel verschluckt hatte. Den mussten wir rausoperieren.“

Immer sonntags hatte Anna Gerlach frei. Diese Zeit nutzte sie, um in den Gottesdienst zu gehen oder Spaziergänge zu machen. „Ansonsten gibt es da nicht viel anderes zu tun.“ Beeindruckt habe sie auf einem dieser Ausflüge eine Gruppe von Frauen, die am Straßenrand bunte Bänder in Blumenkränze flochten, sangen und feierten. „Ich dachte, es wäre ein Fest. Auf dem Rückweg sah ich, dass es eine Beerdigung war“, erzählt die 70-Jährige. Auf die Frage, warum es dabei nicht traurig zugeht, bekam sie die Antwort: „Die Verstorbene war alt, sie hatte ein gutes Leben. Warum sollen wir traurig sein? Wir feiern ihr Leben.“ Für Gerlach ist die Reise ein großer Gewinn gewesen, wie sie sagt. „Es ist ein einfaches Leben dort, ohne diese Hektik, die hier herrscht. Man konzentriert sich auf das Wesentliche.“ In Afrika, da ticken die Uhren eben anders, und die Menschen auch.