Absperrungen und schweres Gerät an der Tübinger Straße – sehr zum Ärger der Anwohner und Gewerbetreibenden. Foto: Leif Piechowski

Straßenverkehrsamt und Baubürgermeister schieben sich Schwarzen Peter zu – Händler: Umsatzverluste.

Stuttgart - Ein Schwerlaster rollt durch die Tübinger Straße und wirbelt Staub auf bis hoch in den dritten und vierten Stock der alten Gründerzeithäuser. Die geschäftige Straße im Süden der Stuttgarter Innenstadt ist derzeit von vier Baustellen geplagt, eine fünfte ist in unmittelbarer Nähe. Anwohner und Gewerbetreibende sind genervt.

Das Straßenverkehrsamt befürchtet eine ähnliche Situation an anderen Stellen in der Innenstadt und wünscht sich eine Koordinierungsstelle für Bauvorhaben. Doch Baubürgermeister Matthias Hahn winkt ab. „Geht nicht“, meint er. Er sieht die rechtlichen Voraussetzungen dafür nicht gegeben.

Für Karin Wagenfeld vom Straßenverkehrsamt ist das eine Ausrede. „Der Gemeinderat kann eine Regelung treffen, wenn er nur will“, meint die Ingenieurin. Konkret stellt sie sich vor, dass in Zukunft Sanktionen verhängt werden, wenn die Zeit zwischen Baugenehmigung und Baubeginn zu lange dauert.

Im Gerberviertel entsteht 250 Millionen Euro teures Quartier mit Wohnungen und Läden

„Das Caleido in der Tübinger Straße hat schon seit sieben oder acht Jahren eine Baugenehmigung“ sagt Wagenfeld. „Erst konnte es gar nicht schnell genug gehen, und dann ist erst einmal lange Zeit nichts passiert“, sagt sie. Das Caleido soll im nächsten Jahr fertig gestellt werden. Auf großen Plakaten wirbt der Bauherr mit dem Spruch „Raum für Weiterdenker“ für den dreieckigen Gebäudekomplex in den Büros, Wohnungen und Geschäfte einziehen sollen.

Die Baustelle fällt zeitlich zusammen mit den beiden anderen Projekten in unmittelbarer Nähe – dem neuen Gerberviertel und dem Erweiterungsbau der WGV-Versicherung. Im Gerberviertel entsteht auf 14.000 Quadratmetern ein 250 Millionen Euro teures Quartier mit Wohnungen und Läden. Auftraggeber ist die Württembergische Lebensversicherung. Die Laster für den Abtransport des Erdaushubs stehen auf der Paulinenbrücke Schlange und verlangsamen den Verkehrsfluss auf dem wichtigen City-Ring.

Die Auswirkungen sind enorm, weil zur gleichen Zeit ganz im Norden der Straße das städtische Projekt Shared Space umgesetzt wird, das einen Teil der Tübinger Straße in eine verkehrsberuhigte Zone umwandeln soll. Die Baustelle schließt sich nahtlos an eine Baustelle der EnBW an. Unter der Straße waren neue Strom-, Gas- und Fernmeldeleitungen verlegt worden. Nicht weit davon entsteht das Bürogebäude Pauline 21.

Keine Handhabe für Strafen gegen Bauverschlepper

„Der Verkehr ist massiv beeinträchtigt“, sagt Karin Wagenfeld. Doch für Sanktionen gegen Bauverschlepper sieht Bürgermeister Hahn keine Handhabe. „Stellen Sie sich vor, es liegt eine Baugenehmigung vor und wir sagen: Du darfst trotzdem nicht bauen, da hagelt es Klagen“, so Hahn. „Das Problem muss auf der Folgeebene behandelt werden“, sagt er und meint die Verkehrsführung durch das Straßenverkehrsamt. Doch dort ist man anderer Meinung.

„Demnächst müssen die Baustellen vom Helikopter aus beliefert werden“, sagt Karin Wagenfeld, nicht ohne Sarkasmus. Die Gründe für die Baustellenhäufung sind vielfältig. „Manche Bauherren warten, bis ein großer Teil der Fläche vermietet ist“, sagt Hahn und äußert Verständnis. „Stellen Sie sich vor, da springt ein großer Mieter ab, darauf muss man im Zweifelsfall schnell reagieren können“, sagt er. „Auch die Aufwertung eines Quartiers zieht andere Bauprojekte an“, sagt Karin Wagenfeld. „Vor allem Sanierungsgebiete, für die es Fördermittel gibt, ziehen Investoren an und damit die Baustellenhäufung“, sagt sie.

Auch in Lautenschlagerstraße und im Dorotheenviertel könnte es ungemütlich werden

Das droht auch im Hospitalviertel, das derzeit neu gestaltet wird. „Die Fördermittel für das Hospitalviertel müssen in diesem Jahr abgerufen werden“, so Wagenfeld. Auch in der Lautenschlagerstraße und im Dorotheenviertel könnte es in den nächsten Jahren ähnlich ungemütlich werden.

Anwohner und Gewerbetreibende an der Tübinger Straße sind mit ihren Nerven am Ende. „Krach und Schmutz beeinträchtigen unseren Umsatz ganz enorm“, sagt Hüseyin Cinar, der das Spaghettissimo, das Mäxle und das Hacienda betreibt. Staub und Lärm vertreiben ihm die Kunden in der wichtigen Mittagszeit. Immer wieder versperren die Baustellenfahrzeuge Gehsteige und Zufahrten. Das verstößt gegen die Auflagen des Straßenverkehrsamts, aber dort hat man nicht genug Personal zur Baustellenüberwachung. „Wir haben bereits damit gedroht, einzelnen Baufirmen die Genehmigung zu entziehen, aber das muss juristisch wasserdicht sein, und es trifft das Problem nicht im Kern“, sagt Karin Wagenfeld. „Der Gemeinderat muss endlich tätig werden.“