Ein eher antiquiertes Bild einer Hexe Foto: dpa

Tübingen: Die neue Hexenbewegung kämpft gegen die Klischees der Walpurgisnacht.

Tübingen - Hexen? Gibt es nur im Märchen. Und wenn sie nicht verbrannt wurden, fliegen sie höchstens noch als Bibi Blocksberg durchs Kinderprogramm. Trotzdem feiern einmal im Jahr Zehntausende auf dem Brocken im Harz die Walpurgisnacht. Alles nur Hokuspokus? Zu Besuch in einer Tübinger Hexenschule.

Teller, Tassen, Torte, drumherum zehn plaudernde Damen. Ein ganz normales Kaffeekränzchen, mitten in Tübingen. Bis die Frauen aufstehen, einen Kreis der Energie um sich ziehen, das Göttliche herbeirufen und danach die Hexengeschichte studieren. "So wie es moderne Hexen gibt, gibt es auch eine moderne Hexenverfolgung, deswegen muss man die Mechanismen kennen", sagt Renate Sieblitz-Obermeier, 53. Sie leitet die Hexenschule, in die sich das Kaffeekränzchen verwandelt hat.

Es gibt nicht einmal grobe Schätzungen, wie viele Menschen in Deutschland der neuen Hexenbewegung angehören. Denn nur wenige gehen damit so offen um wie Sieblitz-Obermeier, weil sie sonst als Spinner abgestempelt werden oder gar den Job verlieren. Wegen solcher Erfahrungen spricht sie von Hexenverfolgung. Und deswegen redet sie auch über ihre Hexerei. "Je weniger die Leute über uns wissen, umso tollere Dinge malen sie sich in ihrem Kopf aus." Mal sehen sie dann die bösartige bucklige Hexe der Grimm'schen Märchen, mal die rothaarige Frau, die mit dem Teufel ums Feuer tanzt und Sexorgien feiert.

Im Tübinger Einfamilienhaus, das die früh pensionierte Renate Sieblitz-Obermeier mit ihrem Mann bewohnt, passen nur die sechs Katzen zu den gängigen Hexenklischees. Dabei sind ihre Katzen noch nicht mal schwarz. Ihr Interesse für die naturspirituelle Wicca-Bewegung, die auch als Religion der Hexen bezeichnet wird, hat Sieblitz-Obermeier in den 80er Jahren in den USA entdeckt. Ohne sich selbst als "militante Emanze" zu bezeichnen, gefiel ihr der hohe Stellenwert der Frauen bei den Wiccas. "Die Frauenbewegung hat die Hexen damals wiederentdeckt, weil die Männer sie früher wegen ihrer Kenntnisse in Kräuterkunde fürchteten." Dieses Heilkundewissen ist einer der Gründe, aus dem zwischen den Jahren 1560 und 1680 bis zu 60000 Menschen als Hexen den Tod fanden. Jüngste Forschungen haben ergeben, dass jeder vierte davon ein Mann war.