Wie fühlt sich der Stoff an, und hat er einen angenehmen Geruch? Wer nicht sehen kann, hat eigene Kriterien für schöne Kleidung. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Auch blinde und sehbehinderte Menschen wollen sich schön kleiden: Die Filiale von Galeria Kaufhof am Hauptbahnhof hilft dabei mit einer Modenschau der besonderen Art.

Stuttgart - Hier staksen keine Models mit Riesenschritten über den Laufsteg und die Preise für die Kleidungstücke liegen nicht im vier-, sondern im zweistelligen Bereich. Bei dieser Modenschau in der Damenabteilung der Galeria-Kaufhof-Filiale am Hauptbahnhof ist alles anders: Die Models sind Puppen und das Publikum kommt mit Hunden und Stöcken, tastet den Verschluss einer Bluse ab, befühlt den Verlauf eines Hosenbeins vom Knöchel bis zum Schenkel oder streichelt über das wildlederähnliche Material eines Mantels. Alle 60 Besucherinnen sind blind oder stark sehbehindert, und die meisten sind seit Jahren Stammgäste bei der Modenschau speziell für ihre Bedürfnisse.

Weit gereiste Besucherinnen

Zu Beginn der Herbst-Winter-Saison lädt die Kaufhausleitung in Zusammenarbeit mit dem Blinden- und Sehbehindertenverband Württemberg e. V. mit rund 1250 Mitgliedern zu diesem Event ein und die Besucherinnen werden mit Saft und Sekt sowie mit Kaffee und Kuchen verwöhnt. „Die Leute erfahren durch unseren Newsletter von dem Termin“, erklärt Gertrud Vaas vom Verband. Sie selbst ist treue Modenschaubesucherin und erzählt, dass sie sich mit einer weichen Strickjacke angefreundet hat und diese kaufen wird. Wie viele andere auch, hat sie einen längeren Anfahrtsweg, denn die Besucherinnen kommen aus dem ganzen Land: Aus Freiburg, vom Bodensee, aus Ulm und eine ist aus Frankfurt/Main angereist – aus Neugier, denn sie ist in Hessen in einer Selbsthilfeorganisation aktiv und will in Frankfurt einen Nachahmer für die Modenschau finden, die Galeria Kaufhof nun schon zum elften Mal veranstaltet hat.

Mode für besondere Bedürfnisse

„Wir wollen die Leute gut aussehen lassen“, sagt Thomas Benedetti von der Geschäftsleitung. Die Modewelt und die Designer haben entdeckt, dass auch Menschen mit einem Handicap nicht ausschließlich in Funktionskleidung gewandet sein wollen. So gibt es seit zehn Jahren in Berlin und Moskau das Label Bezgraniz – zu Deutsch: ohne Grenzen. 2014 wurde erstmals auf der Fashion-Week in Moskau Mode von Behinderten für Behinderte gezeigt. „Mode ist eine Möglichkeit, Individualität auszudrücken“ – das gelte für alle Menschen, betont die Nürnberger Designerin und Maßschneiderin Eva Brenner, die selbst im Rollstuhl sitzt. „Wir machen Kleidung für Menschen mit besonderen Bedürfnissen, und die können von Mensch zu Mensch sehr verschieden sein.“ Diese unterschiedlichen Bedürfnisse gilt es bei Verschlüssen, beim Schnitt und beim Material zu beachten.

Trachten sind tabu

Bei der Modenschau von Galeria Kaufhof gibt es keine Designerstücke, sondern Modelle bekannter Marken. Die Mitarbeiterinnen der Damenabteilung haben sie zusammen mit Gertrud Vaas und Regine Siegel, die die Frauengruppe im Blindenverband leitet, ausgewählt. Sportliches, Klassisches und auch Ausgehmode. „Wir haben mal gefragt, ob Trachten gewünscht werden und haben eine klare Absage bekommen“, berichtet Benedetti. Wer nicht sehen kann, kommt mit komplizierten Schnürungen und kleinen Knöpfchen nicht zurecht.

Auf Initiative des Goethe-Instituts in Paris haben Studierende an Mode- und Kunsthochschulen zusammen mit Selbsthilfeorganisationen erforscht, wie Mode sein muss, die nicht visuell wahrgenommen werden kann, sondern sich über andere Sinneseindrücke erschließt. Wichtig sind der Geruch der Materialien, ob das Gewebe raschelt und wie es sich anfühlt. „Die blinden Menschen nehmen Farben durch Assoziationen wahr“, weiß Benedetti. „Braun wird mit Schokolade in Verbindung gebracht, Blau mit Wasser.“ In dieser Saison ist „Beere“ eine Modefarbe – damit lassen sich gut Vorlieben oder Abneigungen verbinden.

Begleitung für den Bummel

„Grau, Schwarz und Altrosa sind meine Lieblingsfarben“, gibt Lore Krause preis. Sie ist aus Ulm angereist, um bei der Modenschau „ein bisschen zu bummeln“. Die Umhängetasche, für die sie sich interessiert, erweist sich letztlich als ungeeignet. „Ich mag es, wenn es mehrere Innenfächer gibt und ich sie quer über die Schulter tragen kann, damit ich die Hände frei habe. Das ist auch sicherer“, erklärt sie der Kaufhof-Mitarbeiterin. Jede Besucherin kann sich auf Wunsch von einer der Mitarbeiterinnen herumführen und sich erklären lassen, wie die Kleidungsstücke aussehen, die die Modepuppen tragen. Auch beim Anprobieren können sich die Kundinnen helfen lassen. Das ganze Jahr über bietet das Kaufhaus blinden Kundinnen und Kunden nach vorheriger Anmeldung diesen speziellen Service an. Auf Wunsch können sie sich an der S-Bahn, am Zug oder an der Straßenbahn von einem Kaufhof-Mitarbeiter abholen lassen. Georg Nadj vom Blinden- und Sehbehindertenverband nahm dieses Angebot schon öfters in Anspruch: „Ich melde mich an und werde am Eingang abholt und durch die Abteilungen geführt, in denen ich etwas kaufen will.“

Gestickte Waschanleitung

Bei der Modenschau hängt an jedem Kleidungsstück ein Schild, auf dem die Pflegeanleitung steht, denn Waschen ist eine Herausforderung, wenn man blind ist – und wer sagt einem, ob die eingeschmuggelte rote Socke die weiße Wäsche verfärben wird? Die Berliner Modedesignerin Christine Wolf fand für dieses Problem eine schmucke Lösung. Ihr Kollektion „Mode zum Begreifen“ hat sie in Braille-Schrift mit Perlen bestickt: Das Motiv ist der Name der Farbe und die Waschanleitung.