Der Wettbewerb der Architekten ist entschieden – zwei Münchner Büros dürfen für das frühere IBM-Areal in Stuttgart die Planung machen. Besonders markant: ein 450 Meter langer Gebäuderiegel mit Wohnungen, der den Lärm von der Autobahn dämpft.
Stuttgart - Dicht bebaute Viertel, großzügige Freiflächen dazwischen und ein rund 450 Meter langer Gebäudekomplex, der als Lärmschutz fungiert: So soll der sogenannte Eiermann-Campus in Stuttgart-Vaihingen bebaut werden. Mit diesem Vorschlag haben die Münchener Büros Steidle Architekten und Realgrün Landschaftsarchitekten den städtebaulichen Wettbewerb für sich entschieden.
Am Montag votierte das Preisgericht mit 16:1 Stimmen sehr klar für dieses Modell. Nur ein CDU-Stadtrat stimmte dagegen. Am Dienstagabend lobten Städtebaubürgermeister Peter Pätzold (Grüne), der Investor Mathias Düsterdick von der Düsseldorfer Gerch-Group sowie der Jury-Vorsitzende Markus Müller, Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg, den gekürten Vorschlag in den höchsten Tönen.
Gegen den Lärm waren Lösungen gefragt
Dieser Campus werde nun endlich wachgeküsst, meinte Pätzold. Es zeichne sich ein modernes Stadtquartier ab, das als Ganzes funktionsfähig sei. Der bewohnbare Lärmschutzriegel, wegen der gewundenen Form „Schleifenhaus“ genannt, sei „wahrlich herausragend“. Das siegreiche Architekturbüro habe damit auf innovative Weise „einen Problemlöser in ein Gestaltungselement umgewandelt“.
Der Lärm vom benachbarten Autobahnkreuz Stuttgart nämlich ist auf dem früheren Areal von IBM Deutschland unüberhörbar. Dass man die Neubauten so gut wie möglich abschirmen muss, war immer klar. Steidle Architekten nahmen sich dafür einen schmalen, 450 Meter langen Gebäudekomplex vor, der sich zwischen den Autobahnen einerseits und vier Kulturdenkmalen andererseits durchschlängelt. Der Schall von den Fernstraßen soll am Schleifenhaus auf eine Glaswand treffen, hinter der Laubengänge verlaufen mit Zugängen zu den Wohnungen. Im Inneren des Gebäudekomplexes sollen – zum Beispiel für Studenten und Senioren – Wohnräume entstehen, die zum Zentrum des Areals ausgerichtet sind. Außerdem vielleicht Gästezimmer eines Boardinghauses. Dieser Kunstgriff schaffe „einen Mehrwert für die gesamten Flächen“ hinter dem Lärmschutzriegel, sagte Pätzold.
Viertel mit betont städtischer Anmutung
Für das Areal, wegen heute denkmalgeschützter Bauten nach Entwürfen von Egon Eiermann auch Eiermann-Campus genannt, schlugen die Architekten außerdem einen Verbund von baulich verdichteten Vierteln mit betont städtischer Anmutung vor. Diese Quartiere sollen nach außen jeweils recht geschlossen wirken, innen aber Aufenthaltsflächen und Plätze bieten. Zentral zwischen Kulturdenkmalen und Neubauten sind ein parkartiger Platz mit See und ein vielleicht 50 Meter hohes Punkthaus mit Apartments vorgesehen. Johann Spengler vom Siegerbüro hob bei der Vorstellung des Entwurfs gerade dies hervor: „die einmalige Chance, vielseitig nutzbare Freiräume und gleichzeitig urbane Dichte entstehen zu lassen“. Die Flächen könnten flexibel genutzt werden, nicht nur für Wohnungen. Von insgesamt etwa 220 000 Quadratmeter neuen Nutz- und Nebenflächen sind momentan 74 Prozent für Wohnen gedacht, der Rest für Gewerbe. Bei der Zahl der Wohnungen wollen sich Architekten und Investor nicht festlegen – deutlich über 1000, vielleicht bis zu 2000 Einheiten könnten es werden. Mit einem konsequenten Mobilitätskonzept könne man ein zukunftsorientiertes, eigenständiges Gebiet entwickeln und eine Ikone der Architekturgeschichte, nämlich die Bauten von Egon Eiermann, bewahren, meinte Architekt Spengler.
Konsequentes Mobilitätskonzept soll Autoverkehr dämpfen
Investor Düsterdick scheint beglückt
Das geschäftsführende Vorstandsmitglied der Gerch-Group ist nachgerade glücklich über das Wettbewerbsergebnis, obwohl der städtebauliche Grobentwurf nicht einfach umzusetzen sein wird. In diesem Entwurf sieht Düsterdick eine hervorragende Grundlage für das weitere Bebauungsplanverfahren und für die Entwicklung dieses Projekts, das er „Garden Campus Vaihingen“ genannt hat.
Alle Beteiligten betonten, dass besonders das sechsgeschossige Schleifenhaus in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung sein werde. Das liegt daran, dass es auf knappem Raum variierende Breiten haben muss, zu Deutschlands vielleicht meistbefahrenem Autobahnkreuz hin aber ein Zeichen setzen und das Quartier markieren soll. Und schließlich sollen durch die Gebäude hindurch die Kulturdenkmale durchschimmern. Das geht nur mit transparenten Treppenhäusern, die zugleich das Innere gliedern helfen. Mit dem Bau verbinden sich auch noch andere anspruchsvolle Aufgaben, etwa bezüglich Brandschutz und Sonnenbestrahlung der Fassaden. „Wir bewegen uns auf dünnem Eis, aber wir wissen, was auf uns zukommt. Wir haben entsprechende Erfahrungen“, sagte Spengler.
Investitionsvolumen von rund 750 Millionen Euro
Für den Investor verspricht die Sache teuer zu werden. Das innovative Schleifenhaus erspare immerhin aber den Bau einer sechs Meter hohen Lärmschutzwand, heißt es. Insgesamt rechnet Düsterdick mit Gesamtinvestitionen auf dem Areal in der Größenordnung von 750 Millionen Euro einschließlich Sanierung der leerstehenden Kulturdenkmale. Um das wahr zu machen, muss der Denkmalschutz geringere Abstände zu den Eiermann-Bauten gutheißen. Auch die Auslichtung der „Spontanvegetation“ (Johann Spengler) wird dafür notwendig sein. „Ich sehe das Schleifenhaus noch nicht gebaut“, schränkte Müller ein. Bei der ersten Wettbewerbsrunde hatte sich abgezeichnet, dass auf dem seit Jahren brach liegenden Areal künftig rund 6000 Menschen wohnen und arbeiten dürften. Demzufolge müsste man mit rund 4000 Busfahrgästen pro Tag rechnen, wenn das Gelände durch Busverkehr und nicht durch die Schiene erschlossen werden sollte, hatte Verkehrsplaner Arne Seyboth am Dienstagmorgen im Umwelt- und Technik-Ausschuss gesagt. Die immer wieder diskutierte Gondelbahn zwischen Eiermann-Campus, Vaihinger Bahnhof und Synergiepark Möhringen/Vaihingen nannte er städtebaulich problematisch. Er ging auf Distanz dazu. Für Investor Düsterdick dagegen ist die Seilbahn eine Vision und auch „ein Riesenwunsch“, weil sie eine Besonderheit wäre und die Verkehrserschließung verbessern würde.