Sie sind tätowiert, tragen auffällige Klamotten, sehen gut aus und präsentieren sich gerne selbst:Sportler. Von David Beckham bis Lewis Hamilton – heute sind sie wahre Stilikonen. Früher war das anders.
Stuttgart - Haare, breite Kotletten, lässige Kleidung und der Besitzer einer Disco: Der ehemalige Fußballer Günter Netzer wurde nicht nur wegen seiner sportlichen Leistungen gefeiert. Er war einer der ersten Popstars im Sport – sogar mit eigenem Bravo-Starschnitt.
Ein Popstar, der in der heutigen Zeit in der Masse der extrovertierten Sportwelt und wohl auch in seiner eigenen Mannschaft untergehen würde. Körperfüllende Tätowierungen, ausgefallene Frisuren und extravagante Mode sind für die Profisportler von heute das, was lange Haare und Pelzmäntel für die Netzers von einst waren.
Auffallen ist keinesfalls ein Phänomen der Neuzeit: Der American-Football-Spieler Joe Namath trug in den 1960ern weiße Pelzmäntel am Spielfeldrand und fiel damit so auf, dass er den Spitznamen „Broadway Joe“ bekam. Tennisspielerin Chris Evert sorgte in den 70ern mit kurzen Röcken und bunten Bändern im Haar für Aufsehen. Basketballlegende Michael Jordan inspirierte Nike sogar für eine ganze Schuhkollektion. Seine „Air Jordans“ sind bis heute Verkaufsschlager. Ob Namath, Evert oder Jordan, sie sind Beispiele für Ausnahmen und Einzelfälle, die aus der sonst so einheitlichen Masse der Sportler herausragten. Sie waren Vorboten dessen, was in dem Fußballstar David Beckham den Höhepunkt erreichte.
Prägend für den Begriff Metrosexualität
David Beckham hat eine ganze Generation geprägt – nicht nur sportlich. Der gebürtige Londoner begann seine Karriere bei Tottenham Hotspurs und wurde bei Manchester United und Real Madrid zum Star. Aber nicht nur seine Leistung auf dem Platz machte ihn weltberühmt. Beckham verstand es durch sein Aussehen aufzufallen und war damit einer der ersten Sportler, der weit über die Grenzen seines Landes zu einem Idol wurde. Seine ständig wechselnden Frisuren fanden zahlreiche Nachahmer. Er prägte den Begriff der Metrosexualität wie kein anderer – und dass in der sonst so männlichen Welt des Sports und besonders des Fußballs.
Der Sportsoziologe Hans-Jürgen Schulke hat für die sogenannte „Beckhamisierung“ eine einfache Erklärung: „Seit den 90er-Jahren wächst die massive, mediale Dominanz im Sport und besonders im Fußball. Auch die zunehmende Emotionalisierung der besten Sportler sorgt dafür, dass sie zu weltweiten Ikonen werden.“ Ausgelöst wurde das große mediale Interesse an einzelnen Sportlern und nicht mehr an der ganzen Mannschaft durch David Beckham. Mit seinen Frisuren, seiner Kleidung und seiner berühmten Ehefrau Victoria, dem ehemaligen Spice-Girl, stach er heraus und war damit Stammgast in den Medien.
Eine weitere Besonderheit Beckhams: seine Tätowierungen. In den letzten 15 Jahren ließ er sich weit über 30 davon stechen, die heute den gesamten Körper des ehemaligen Fußballers zieren. Vom Namen seiner Tochter Harper über religiöse Symbole bis hin zu seiner Rückennummer sieben war auch hier Beckham Vorreiter. Er machte die Tattoos modern.
„Tätowierungen sind neben Frisuren, lackierten Fingernägeln oder Bodybuilding eine Form der Selbstinszenierung und stark vom Geschlecht, der Religion, der sozialen Schicht und auch von der Sportart abhängig“, sagt Schulke. Gerade in den 90er Jahren seien Tattoos, die in ihrem Ursprung als Stammesritus und bei Gefangenen oder Seeleuten nichts mit Ästhetik zu tun hatten, zum Trend geworden. Waren David Beckham im Fußball und Stefan Kretzschmar im deutschen Handball vor über 20 Jahren noch absolute Exoten, sind es heute die Untätowierten wie Cristiano Ronaldo oder Andrés Iniesta, die aus der Reihe fallen.
Die Rüstung der Moderne
Weshalb gerade Sportler sich massenweise unter die Nadel legen, ist selbst für den Sportsoziologen noch nicht ganz eindeutig zu erklären: „Gerade unter Fußballern ist es wohl einfach ein Trend, weil es eben alle machen. Damit passen sie sich einerseits an das Kollektiv an, andererseits hat der Sportler so aber auch die Möglichkeit, sich durch die Motivwahl und bestimmte Botschaften zu individualisieren.“
Tattoos als reine Abgrenzung? Am Beispiel des Turners Marcel Nguyen zeigt sich ein weiterer Aspekt. Er trägt über seine gesamte Brust den Schriftzug „Pain is temporary, pride is forever“ (Der Schmerz ist vergänglich, der Stolz bleibt). Unüblich in seiner Sportart – und bei Wettkämpfen nicht unbedingt gerne gesehen. Vielleicht kann ein Tattoo gerade deswegen mehr sein als nur Mode. Wer sich großflächige Tattoos stechen lässt, muss Schmerzen ertragen, Kraft und Durchhaltevermögen beweisen. Es ist wohl die Rüstung der Moderne – vergleichbar mit den Gladiatoren im Circus Maximus. Aber nicht nur das. „Ein weiterer Grund ist sicher auch der Zeitfaktor. Heute haben wir und vor allem Profisportler einfach mehr Freizeit und auch mehr Geld zur Verfügung als noch vor ein paar Jahrzehnten“, glaubt Schulke.
Auf das Gewand kommt es an
Nicht nur die Haut selbst, sondern auch das „Gewand“ wird in Szene gesetzt. Gerade im Hinblick auf Mode holen Sportler kräftig auf und machen sogar etablierten und gut gekleideten Schauspielern wie George Clooney Konkurrenz. Vorbei sind die Zeiten der ausgewaschenen Sportklamotten, heute tragen sogar die Trainer an der Seitenlinie feinsten Zwirn. Es ist kein Wunder, dass der ehemalige Bayern-Trainer Pep Guardiola vom Männermagazin „GQ“ auf Platz 34 der bestgekleideten Männern der Welt gewählt wurde. Verwunderlich ist auch nicht, dass der Modegeschmack der Sportgrößen eine breite Masse zu interessieren scheint. Die Internetseiten von „Styleball“ oder „Fußballer die den Swag aufdrehen“ beschäftigen sich mit dem, was der Sportler von heute so trägt.
Back to Netzer?
Er trägt nicht nur Designermarken, sondern wird selbst zur Marke. Formel-1-Fahrer Lewis Hamilton hat in einem „GQ“-Interview gesagt: „Ich mag es, anders zu sein und mit meinem Look anzuecken.“ Ob mit der eigenen Modelinie, wie etwa die Fußballer Zlatan Ibrahimovic und Marco Reus, ob als Werbeträger für Unternehmen oder als Freunde ausgefallener Optik – Sportler sind längst ihre eigene Marke geworden.
Davon profitieren auch die Unternehmen. „Massenmedien machen Sportler zu Stars, daher wird mit ihnen gerne geworben. Popularität, Ausstrahlung und auch das Unangepasst-Sein eignen sich da besonders. Mit einzelnen Sportlern geht das besser als mit Clubs oder Mannschaften“, sagt Schulke. Doch gibt es auch Gegenbeispiele. Früher standen Fritz Walter oder Uwe Seeler für Bescheidenheit. Heute sind es Spieler wie Toni Kroos, die laut Schulke als „Stars ohne Eigenschaften „bezeichnet werden, weil sie so gewöhnlich sind.
Was aber kommt, wenn alle Auffälligkeiten nicht mehr ausreichen, um aufzufallen? Vielleicht geht es ja wieder „Back to Netzer“: lange Haare, schickes Auto – und eine ganz gepflegte Disco.