Was ist bequemer als eine Jogginghose? Foto: Adobe stock/Grace Lynn

Unbequeme Zeiten benötigen bequeme Kleidung. Die Jogginghose ist schon lange nicht mehr nur die Klamotte der Sportler und Rapper – auch wenn Modezar Karl Lagerfeld im Grab rotiert.

Stuttgart - Eltern zanken sich mit ihren Kindern, ob sie das angemessene Kleidungsstück für den Schulalltag ist und in mancher Beziehung steht sie für das Ende des gemeinsamen Sexuallebens. Kein anderes Kleidungsstück spaltet die Gesellschaft so sehr wie die Jogginghose. Sie wird gehasst und geliebt oder beides zugleich. Während Anhänger am 21. Januar den Tag der Jogginghose feiern, verhängen Gegner des bequemen Kleidungsstücks Verbote in Schulen und Cafés. Was macht dieses Stück Stoff so umstritten und lernen wir es gerade in der aktuellen Krise neu schätzen?

Beim Thema Jogginghose muss das Zitat des verstorbenen Modezaren Karl Lagerfeld fallen. Der war sich sicher, dass jeder, der eine Jogginghose trägt, die Kontrolle über sein Leben verloren hat. Demnach müsste aktuell ein Großteil der Deutschen ihr Leben nicht mehr im Griff haben. In gewisser Weise mag das sogar stimmen, ist es doch ein Virus, der derzeit unseren Alltag bestimmt. Daran ist allerdings nicht die Jogginghose Schuld. Ganz im Gegenteil. Als eine der wenigen Konstanten in diesen Krisenzeiten begleitet sie uns durch den Alltag. Ob beim Wohnungsputz, der Videokonferenz oder dem Gang zum Bäcker ums Eck – sie ist unser treuer Begleiter in dieser schweren Zeit.

100 Jahre Bequemlichkeit

Den Ursprung hat das bequeme Stück Stoff im Frankreich der 1920er. Der Gründer der französischen Supermarktkette Le Coq Sportif, Émile Camuset, entwarf vor rund 100 Jahren eine Hose aus dehnbarem Jersey und schuf so die erste Jogginghose. Diese sollte Sportlern ermöglichen, auch bei kühlen Temperaturen draußen aktiv zu sein. Erst in den 90ern kam zum funktionalen Sinn die Faktoren Coolness und Lifestyle hinzu. Mithilfe der amerikanischen Rap- und Hip-Hop-Szene entwickelte sich die Sportklamotte zum Alltagsoutfit und stand für Jugendlichkeit und ein lässiges Auftreten. Getragen wurde sie, wie es die großen Rapper – Snoop Dogg, Eminem und ihresgleichen – vormachten: möglichst weit und tief sitzend.

Seit Anfang des Jahres symbolisiert die Jogginghose nicht mehr nur eine Jugendkultur, sondern eine weltweite Krise. Das Corona-Virus zwingt uns vermehrt zuhause zu bleiben, gearbeitet wird wenn möglich am heimischen Schreibtisch. Partys, Opernbesuche, Teammeetings oder Familienfeiern sind tabu und Anzug und Kostüm somit in die hinteren Ecken des Kleiderschranks verbannt. Anstatt der morgendlichen Frage „Was ziehe ich heute an?“ stehen Arbeitnehmer vor ganz neuen Überlegungen: Sollte ich Emails aus dem Bett beantworten? Erst die Spülmaschine ausräumen und dann den Computer hochfahren? Und nicht zuletzt: Kann ich die Onlinekonferenz in der Jogginghose abhalten?

Der Trend ist Ton in Ton

Rositta Beck berät Unternehmen und Mitarbeitende in den Bereichen Büroorganisation und Kommunikation. Die Expertin hält die Jogginghose nicht für die richtige Kleidung im Homeoffice: „Im Homeoffice gibt es keinen Chef oder Kollegen als soziale Kontrolle. Deshalb verzichten viele auf Geschäftskleidung. Doch das Outfit prägt die Arbeitsatmosphäre mit.“ Ohne die gewohnte Arbeitskleidung fiele es noch schwerer, die Grenzen zwischen den Lebensbereichen zu ziehen. Beck empfiehlt daher, sich auch im Homeoffice wie im Büro zu kleiden: „Eine gepflegte Jeans und Hemd oder Bluse, reichen schon, um die eigene Produktivität zu steigern. Zum Outfit zählen auch die Frisur und Gesichtspflege.“ Vor allem dann, wenn sich noch andere Familienmitglieder daheim aufhielten, könne die Unterscheidung zwischen Arbeits- oder Freizeitmodus dank der entsprechenden Kleidung für die Familienmitglieder leichter fallen. So könne mithilfe der Wahl der Garderobe zwischen der beruflichen und privaten Rolle gewechselt werden.

Die Modebranche sieht das anders. Spätestens seit sich „Vogue“-Chefredakteurin Anna Wintour vor ein paar Tagen in roten Jogginghosen aus dem Homeoffice meldete, steht fest: Die Jogginghose ist nun auch von den Größen der Modewelt akzeptiert. Und das nicht nur im Homeoffice. Erst kürzlich schrieb das Modemagazin „Elle“: „Die Trainingshose ist auch abseits von Quarantäne ein Fashion-Trend, der sich sehen lassen kann, sofern man die Jogginghose richtig stylt.“ Der angemessene Stil, um sich vom Bett in das Wohnzimmer zu bewegen oder seinen Einkauf zu erledigen, sei eine Jogginghose mit passendem Sweatshirt. Denn: Damit würde die Eintönigkeit zuhause aufgrund der Ausgangsbeschränkungen interpretiert, die Bewegungsfreiheit für die Arbeit garantiert und sogar ein lässiger Look für einen Gang vor der Tür geschaffen. Wem das zu langweilig ist, zieht ein paar bunte Socken an und voilà, fertig ist der Look.