Lange Nägel und Löwenmähne: Florence Griffith-Joyner jubelt über ihren Sieg im 100-Meter-Lauf bei den Olympischen Spielen in Seoul 1988. Foto: dpa

Sportbekleidung ist Teil der Mode geworden – aber im Sport spielt Mode keine Rolle mehr.
 

Stuttgart - Auf dem Sportplatz herrscht modische Monotonie. Die Athleten beugen sich dem Modediktat ihrer Sponsoren. Ende der 80er, Anfang der 90er waren die Leistungsträger zwar nicht besser - doch einige wenigstens bunter.

"Auf die Plätze!" Acht durchtrainierte Sprinter setzen sich in die Startblöcke. "Fertig!" Sie nehmen die Startposition ein - im Stadion herrscht Ruhe. "Los!" Tausende Kameras feuern ihre Blitzlichter auf die Bahn. Nach knapp zehn Sekunden sind 100 Meter gelaufen. Der Sieger jubelt, lässt sich feiern. Die anderen sind mit ihrer Niederlage allein. Eines haben sie aber gemein - alle tragen das gleiche Outfit. Vielfalt und Kreativität sind aus der Mode der Sportplätze verschwunden. Es herrscht Monotonie. Adidas und Nike geben die Linie vor.

Einst gab es Athleten, an die sich jeder erinnert. Nicht an ihre großen Siege. Man hat einfach nur ein Bild vor Augen - weil sie die Laufbahn in einen Laufsteg verwandelt haben. Für Florence Griffith Joyner, die bis heute amtierende Weltrekordlerin über 100 und 200 Meter, war Tartan gleich Catwalk.

Ein Hauch von Hollywood

"Sie erlöste die Leichtathletik endgültig von den Frotteehöschen mit Beinansatz. Allein dafür gebührt ihr ewiger Ruhm", schrieb der "Spiegel", als die Olympiasiegerin von 1988 zehn Jahre nach ihrem großen Triumph unerwartet starb. Flo-Jo, wie sie von ihren Fans genannt wurde, absolvierte ihre Rennen in bonbonfarbenen, eng anliegenden Latexanzügen. Ein Bein mit Stoff bedeckt, das andere nackt. Ihre Nägel ragten mehrere Zentimeter über die Fingerspitzen hinaus - jeder mit einem anderen Muster und mit Glitzersteinchen verziert. Als "der schillernde Sprintstar, der erstmals einen Hauch von Hollywood ins schwitzige Sportgeschäft brachte", wurde Flo-Jo von der US-Presse gefeiert.

Ihrem Vorbild folgte Sandra Farmer-Patrick. Die Hürdenläuferin holte Silber bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona. Ein Jahr später gewann die gebürtige Jamaikanerin im Dress der USA bei der Weltmeisterschaft in Stuttgart erneut Silber über 400 Meter Hürden.

Ginge es nur um diese Rennen, Sandra Farmer-Patrick wäre längst vergessen. Doch die Frau, die im neongelben, grünen und roten Röckchen über die Hürden flog, ist im Gedächtnis geblieben. Weil sie eine Individualistin war.

Sponsoren schuld an modischer Monotonie

Denkt man an die Sport-Arenen der späten 80er und frühen 90er Jahre und ihre modischen Paradiesvögel, muss ein Name zwangsläufig fallen - Andre Agassi. Heute braver Ehemann an der Seite von Steffi Graf, war Agassi damals für seine wilden, grellen Outfits und wallenden langen Haare bekannt. Er war der Vorzeige-Rebell des Tenniszirkus. Doch Agassi ließ es nicht damit bewenden, die Sportmode durch sein Auftreten umzukrempeln. Er übte wiederholt Kritik am heiligen Gral des weißen Sports - den offenen englischen Meisterschaften in Wimbledon. Die Kleiderordnung dort stieß dem Mann aus der Glitzerstadt Las Vegas unangenehm auf.

In Wimbledon darf nur antreten, wer vorwiegend in Weiß den Platz betritt. Konsequenterweise verzichtete Agassi in den Jahren 1988, 1989 und 1990 auf einen Start beim wichtigsten Turnier der Tenniswelt. Als er 1991 seine Absicht kundtat, nun doch in Wimbledon spielen zu wollen, trat er wochenlange Spekulationen los: "Was zieht er an?" war damals die wichtige Frage.

Nike und Adidas teilen sich die Stars

Zur ersten Runde trug Agassi ein weit geschnittenes Poloshirt, sein typisches Stirnband über den langen Haaren und eine kurze Hose aus Jeansstoff, unter der eine Radlerhose hervorblitzte - alles in strahlendem Weiß. Für einen Moment war dem Sport die Mode wichtiger geworden als der Sport selbst. Diskussionen und Paradiesvögel dieser Art sucht man heute auf den Plätzen und Laufbahnen der Welt vergebens. Abseits des Platzes treten viele Athleten als Modebotschafter ihrer Sponsoren, manchmal gar als Modeikone auf - siehe Fußballstar David Beckham. Doch auf dem Platz wird uniformierte Einheitskleidung getragen - entweder mit drei Streifen oder mit einem geschwungenen Haken.

Dass sich Adidas und Nike das Sponsoring von internationalen Sportstars und Mannschaften mittlerweile fast ausschließlich untereinander teilen, ist der maßgebliche Grund für die modische Monotonie. Das war schon mal anders: Ende der 80er Jahre sprang und sprintete US-Leichtathlet Carl Lewis im hellblauen Trikot des Santa Monica Track Clubs von Rekord zu Rekord. Ein Markenlogo suchte man auf seinem Outfit allerdings vergebens.

Zu den Olympischen Spielen 1988 traten Lewis und seine US-Kollegen in Trikots von Kappa an. Würde nicht der deutsche Fußballmeister aus Dortmund seit einem Jahr die italienische Marke wieder aufleben lassen, wäre sie niemand mehr ein Begriff. Italiens Sportler traten zu Olympia 1988 in Ellesse an. Brasiliens Fußballer wurden 1994 in den USA in Umbro-Trikots Weltmeister. Die Holländer trugen bei demselben Turnier Lotto-Outfits zur Schau, die Belgier waren in Diadora gekleidet. Und die deutsche Tennisgröße Boris Becker ballte Anfang der 90er in Fila gewandet seine Faust. Heute ist es mit der Marken- und Modevielfalt im Leistungssport vorbei. Vielleicht, weil keiner mehr anecken will. Hauptsächlich aber, weil die beiden großen Sportartikelhersteller den Markt beherrschen, hohe Gagen zahlen und langfristige Verträge abschließen.

Es ist ruhig geworden. Und langweilig. Schade.