Szene aus „M0by Dick“ im Kammertheater Foto: Julian Marbach

Herman Melvilles Roman „Moby Dick“ wird am Kammertheater Stuttgart mit reduzierten Mitteln zum Bühnenereignis.

Stuttgart - Ahab kniet, weiß geschminkt und in einem weißen Staubmantel, den er zuvor zeitweilig mit einem Zylinder getragen hat, am vorderen Rand der Bühne. Eine Marionetten-Möwe setzt sich, wie zum Trost, auf seine Schulter. Der Kampf mit Moby Dick hat sein Ende gefunden.

Er ist der prominenteste Wal neben jenen Artgenossen, die Jona und Pinocchio verschluckt haben. Und die Geschichte seiner Verfolgung durch den Kapitän Ahab zählt zu den bekanntesten Romanen der Weltliteratur. Das verdankt sich den zahlreichen Bearbeitungen für Kinder und Jugendliche und auch einer erfolgreichen Verfilmung. In einer Zeit, in der manche vergessen, dass es eigens für das Theater verfasste dramatische Texte gibt, wählten der Regisseur Jan-Christoph Gockel und die Dramaturgin Katrin Spira für die Bühnenfassung „nach dem Roman von Herman Melville“ aus den 135 Kapiteln von „Moby Dick“ nicht bloß jene aus, die schon im Original vorwiegend aus Dialogen bestehen. Sie fanden auch für längere Passagen des Ich-Erzählers theatergerechte Umsetzungen. Und wie am Abend zuvor im Schauspielhaus gegenüber das Evangelium bei der Biennale in Venedig oder im Panoptikum eines Vergnügungsparks, nur eben nicht im Theater angekommen schien, so bietet sich Melvilles hochkomplexer Roman im Kammertheater als gelungene Bemühung an, der gefahr des nur Hörspielhaften durch einen sinnfälligen visuellen Kontrapunkt zu den Worten zu entgehen. Jan-Christoph Gockel verbindet mit Kay Voges der Eklektizismus der Bühnenmittel, aber während der Regisseur des „1. Evangeliums“ auf multimedialen Aufwand setzt, baut die Inszenierung von „Moby Dick“ auf Reduktion. Das erfreut nicht nur die Buchhaltung.

Julia Kurzweg hat aus Brettern einen Schiffsrumpf entworfen, der die halbe Spielfläche bedeckt. Wo er mit der Mannschaft an Bord hin und her schwankt und die Lichtregie das Ihre dazu beiträgt, lässt sich sehr bühnenwirksam ein veritabler Sturm auf See imaginieren: Theaterzauber der feinen Art. Später bläst eine tragbare Windmaschine Kunstschnee ins Publikum und dem Souffleur den beeindruckenden Bart auseinander.

Vom Krieg des Menschen gegen die Natur

Wenn Ahab von Prometheus spricht, der Menschen gemacht hat, kommen Puppen ins Spiel, deren Körper Skeletten gleichen und deren Köpfe jenen der Schauspieler nachgebildet sind. Das entspricht einer gegenwärtigen Mode, erhält aber durch den Prometheus-Mythos eine gewisse Plausibilität. Konsequent ist das allerdings nicht. So sieht man auch eine Szene als Puppenspiel, in der Ahab in seiner Kajüte vor vergilbten Seekarten steht. Tiefere Bedeutung oder nur ein Effekt?

Drastisch, weil an einem Menschen und nicht an einem Wal, informiert die Aufführung über die blutige Realität des Walfangs. Dies ist einer der aktuellen Aspekte von „Moby Dick“: der Krieg des Menschen gegen die Natur.

Das 42. Kapitel von Melvilles Roman heißt „The Whiteness of the Whale“. Die Stuttgarter Inszenierung legt kurz vor dem Ende Ismaels Gedanken in abgewandelter Form dem Farbigen Queequeg in den Mund. Sie geraten zu einer Anklage der Weißen und des Kolonialismus – und zu einem Bekenntnistext für die Critical Whiteness Studies unserer Tage.

Frauen kommen in dieser Männerwelt nicht vor

Den von der Idee der Rache besessenen Ahab spielt schlurfend und schlenkernd, mit einem ständigen Zucken um die Mundwinkel und meilenweit von Gregory Peck entfernt Wolfgang Michalek. Als Schiffsbesatzung tummeln sich Christian Schneeweiß, Robert Kuchenbuch, Felix Mühlen, Komi Mizrajim Togbonou und Michael Pietsch, der auch die Puppen gebaut hat, fast durchweg begleitet von dem Multiinstrumentalisten Matthias Grübel. Frauen kommen in dieser Männerwelt nicht vor. Der Grundsatz von Ahab, dem „rasenden Irrsinn selbst“, lautet: „Was ich gewagt habe, habe ich gewollt, und was ich gewollt habe, werde ich vollenden.“

Als Romanadaption gehört dieser Theaterabend zur gelungenen Sorte. Vollständig wäre das Glück, wenn das Programmheft verriete, auf wessen Übersetzung sich die Bearbeitung stützt.

Nächste Aufführungen am 22., 24., 26., 29., 31.1.