„Fahrverbote sind ein wirksames Mittel“, sagt Mobilitätsforscher Wolfgang Gruel im Interview. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

HDM-Professor Wolfgang Gruel hält Fahrverbote in Stuttgart für unausweichlich. Im Interview erklärt der Mobilitätsforscher, wie Zukunftstechnologien den Verkehr und die Feinstaub-Belastung in der Landeshauptstadt verringern könnten.

Stuttgart - Wenn man die Luft in Stuttgart verbessern will, dann muss der Verkehr weniger werden, sagt Wolfgang Gruel im Interview. Wir haben den Professor von der Hochschule der Medien auf der Republica in Berlin getroffen und mit dem Mobilitätsexperten über Maßnahmen gegen den Verkehrsinfarkt gesprochen.

Herr Gruel, Stuttgart gilt als Feinstaub-Hochburg. Wie könnte es gelingen, die Luft in der Stadt zu verbessern?

Gegen Feinstaub helfen Elektromotoren. Um die Luft zu verbessern, müssen wir aber auch den Verkehr reduzieren und Alternativen zu den aktuellen Verkehrsmitteln anbieten. Fahrverbote sind ein wirksames Mittel, aber unpopulär. Auch Tempo 40 und weniger Spuren auf den Hauptstraßen helfen dabei, den Verkehr zu verringern.

Im Video: Was ist Feinstaub eigentlich genau? Wo liegt der Unterschied zwischen Feinstaub und Stickoxiden? Sehen Sie die zehn wichtigsten Fakten im Video:

Wie können Carsharing und Zukunftstechnologien wie autonomes Fahren den Verkehr verbessern?

Wir haben damals am Massachusetts Institute of Technology ein Modell dazu entwickelt. Wir haben herausgefunden, dass es den Verkehr nicht verringert, wenn wir Carsharing und autonome Autos in die Städte bringen. Die Anzahl der gefahrenen Kilometer bleibt gleich. Denn es ist erst einmal egal, ob ich mich mit dem eigenen oder einem Carsharing-Auto fortbewege. Mit autonomen Autos wird der Verkehr auf den Straßen vermutlich explodieren. Wir haben festgestellt, dass fast alle Leute deutlich längere Wege im Auto zurücklegen würden, weil sie im Fahrzeug dann auch Filme schauen und arbeiten können. Das wäre ein Rückschritt.

Und welche Methoden helfen dann gegen zu viel Verkehr auf den Straßen?

Unser Modell hat gezeigt, dass zwei Dinge helfen: Mehr Leute pro Strecke müssen in einem Fahrzeug fahren und Verkehrsmittel müssen vernetzt werden. Eine S-Bahn ist beispielsweise sehr gut darin, viele Leute von einem ganz bestimmten Ort zu einem anderen zu bringen. Die Bahn ist aber total schlecht auf der ersten und letzten Meile, also auf dem Weg von der Wohnung zur S-Bahnstation. Für diese Kurzstrecken brauchen wir noch Lösungsmöglichkeiten, bei denen Shuttles und autonome Technologien eine wichtige Rolle spielen können.

Wie können Pendler von solchen Ideen überzeugt werden?

Solche Modelle lassen sich nur mit attraktiven Alternativen zum eigenen Auto und mit Druck umsetzen. In Stuttgart haben wir ja leider keine schönen Erfahrungen mit freiwilligem Verzicht gemacht. Es funktioniert nicht, die Pendler freundlich darum zu bitten, das Auto stehen zu lassen. Der Feinstaub-Alarm bringt uns nicht weiter. Manchmal dreht sich das ja sogar ins Gegenteil um. Autofahrer finden den Alarm super, weil sie denken, dass sie an diesen Tagen freie Fahrt haben.

Sind Fahrverbote als Druckmittel unumgänglich?

Fahrverbote sind ein effektives Mittel. Wenn kein Auto fährt, dann gibt es auch keine Luftverschmutzung. Wenn wir tatsächlich bessere Luft und weniger Verkehr wollen, dann muss die Stadt handeln und darf keine Feigenblatt-Maßnahmen vorschieben. Über dieses Ziel sind sich die Bürger in der Innenstadt vermutlich einig, Pendler von außerhalb finden das vielleicht nicht so gut. Das tut im ersten Moment weh. Aber Fahrverbote sind eine gute Chance, neue Wege auszuprobieren. Damit hätten wir vielleicht sogar die Möglichkeit, Vorreiter einer neuen Verkehrspolitik zu werden.

Wie lange müssen wir noch auf den ersten autonomen Bus in Stuttgart warten?

Das lässt sich nicht seriös voraussagen.

US-Autokonzerne wie Tesla scheinen deutschen Unternehmen wie Daimler, Porsche und BWM immer einen Schritt voraus zu sein, wenn es um autonomes Fahren geht. Warum ist das so?

Sicherheit ist wichtig, ganz klar. Uns Deutschen steht das Sicherheitsdenken aber ganz oft im Weg. Wir wollen zu 100 Prozent sichere Systeme bauen, obwohl wir wissen, dass es auch heute keine absolute Sicherheit gibt. Schließlich nehmen wir jedes Jahr Tausende Verkehrstote in Kauf. Die US-Amerikaner denken da ein bisschen anders und probieren einfach mal aus. Das fehlt hier. Wenn Tesla-Chef Elon Musk sagt, er wolle zum Mars fliegen, dann halten das hier viele für eine bescheuerte Idee. Aber er probiert einfach aus, wie weit er kommt. Davon können wir viel lernen.

Zur Person:

Foto: privat
Wolfgang Gruel lehrt als Professor an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Sein Forschungsgebiet ist die Mobilität der Zukunft. Gruel hatte zuvor unter anderem als Wissenschaftler am Massachusetts Institute of Technology und für die Daimler-Tochter Car2Go gearbeitet.