Zeit, aufzuhören: Andrea Wollmann war aber gern in Sillenbuch. Foto: Caroline Holowiecki

Andrea Wollmann will nicht, dass die jungen Leute irgendwann denken: „Was will die Oma jetzt von mir?“ Auch deshalb verlässt sie nach fast 15 Jahren die Mobile Jugendarbeit in Stuttgart-Sillenbuch. Im Interview blickt sie zurück – und nach vorn.

Sillenbuch - Für Sillenbuch ist es ein großer Verlust. Andrea Wollmann verlässt nach fast 15 Jahren Ende des Monats die Mobile Jugendarbeit. Im Interview erklärt die 52-Jährige, wer sie zu Tränen rührt, warum die Zeit reif war, zu gehen, und wie es an der Bernsteinstraße künftig weitergehen wird.

Sie verlassen die Mobile Jugendarbeit nach 14,5 Jahren. Fällt Ihnen das schwer?
Und wie! Ganz, ganz fürchterlich. Ich bekomme sehr emotionale Nachrichten von Jugendlichen und Kooperationspartnern, die wahnsinnig traurig sind. Anfang der Woche habe ich eine Whatsapp an alle Jugendlichen losgelassen, die ich in meinem Verteiler habe. Da kommen jetzt Reaktionen an, die mir wirklich ganz extrem die Tränen in die Augen treiben.
Trauern Sie auch um die Tätigkeit an sich?
Das Arbeitsfeld ist fantastisch. Ich bin so überzeugt von diesem Arbeitsansatz hier, weil wir so viel gestalten können, weil wir hier so viele Möglichkeiten haben, individuell mit Jugendlichen zu arbeiten und uns genau auf die Bedürfnisse einzulassen, die sie mitbringen. Ich glaube, kein Feld der Jugendarbeit kann so vielseitig und so punktgenau auf aktuelle Bedarfe reagierend arbeiten.
Welche Bedarfe sind das?
Alles, was Jugendliche mitbringen. Das können schulische Probleme sein, Bewerbungen schreiben, Gewalt in der Familie, Suchtproblematik in jeder Hinsicht. Wir sind Generalisten. Wir fühlen uns zunächst mal für alles zuständig und schauen, wie können wir helfen, und wenn wir sehen, da ist eine Facheinrichtung nötig, dann vermitteln wir und begleiten, wenn nötig, auch hin.
Was macht Ihren Erfolg aus?
Wir haben Vertrauen geschaffen. Wir haben die Mobile Jugendarbeit im Stadtbezirk wirklich etabliert und zu etwas gemacht, was die Jugendlichen untereinander weiterempfehlen. Es kommen teilweise Jugendliche aus anderen Stadtbezirken zu uns, es spricht sich rum. Und ich denke, wir haben hier in Sillenbuch einen wirklich breiten Rückhalt. Das ist schon beispielhaft.
Wo hakt es momentan am meisten?
Bei der Arbeitssituation junger Erwachsener. Wir haben viele, die aufgrund ihres Schulabschlusses keine Ausbildung gefunden haben und sich jetzt von einem befristeten Arbeitsverhältnis zum nächsten hangeln, die aber nie eine Perspektive entwickeln. Die wohnen bei ihren Eltern, kommen da auch nicht raus, da ist das Thema Familiengründung so weit weg, obwohl die alle den Wunsch haben. Diese Politik der großen Firmen, ganz viele Leute über Zeitarbeitsfirmen einzustellen, das ist etwas, das beschäftigt uns sehr, weil die Jugendlichen immer wieder hier aufschlagen, Bewerbungen schreiben und nicht genommen werden. Da kommen die nicht raus aus dieser Mühle, und das nagt natürlich am Selbstwertgefühl. Wir sind dann diejenigen, die immer wieder sagen: Hey, du hast so viele Fähigkeiten, irgendwann wird jemand kommen, der das erkennt.
Wie motivieren Sie sich selbst?
Es gibt immer Erfolgserlebnisse. Wenn plötzlich einer kommt, mit dem hat man 80 Bewerbungen geschrieben, und die 81. ist es dann, da freut man sich gemeinsam. Dann denkt man: Ja, das ist es wert. Die Mühe lohnt sich, man muss nur einen sehr langen Atem haben.
Einen langen Atem muss die Mobile Jugendarbeit auch bei der eigenen Finanzierung haben. Es gab in der Vergangenheit wegen der hohen Miete Probleme. Ist das gelöst?
Ja! Der neue Doppelhaushalt beinhaltet, dass es einen festen Zuschuss zu den Mietkosten gibt von städtischer Seite. Das macht unsere Situation auf jeden Fall wesentlich leichter.
Nun kommen neue Herausforderungen. Neben Ihnen verlässt Simon Fregin nach sechs Jahren die Mobile Jugendarbeit. Haben Sie Angst, dass die Jugendlichen wegbleiben?
Wir haben ehemalige Jugendliche, die jetzt schon 26, 27 sind, aber trotzdem immer mal wieder hier aufschlagen, wenn sie einen Rat brauchen. Da werden wohl schon welche wegfallen, das sind aber Leute, die brauchen uns im Grunde nicht mehr. Dazu kommt, dass die Kollegin Sonja Lengerer auch schon seit neun Jahren hier ist. Die hat hier einen festen Stand. Die große Clique, die jetzt quasi täglich bei uns im Haus ist, das ist sowieso ihre. Ich mache mir keine Sorgen, dass es hier plötzlich menschenentleert ist. Es wird allerdings einen Engpass geben in der Einzelfallhilfe, weil wir natürlich regelmäßige Fälle zurücklassen.
Wie geht es an der Bernsteinstraße weiter?
Es sind viele Bewerbungen eingegangen. Das wird sehr flexibel gehandhabt. Ich mache 60 Prozent Mobile Jugendarbeit und 25 Prozent am Geschwister-Scholl-Gymnasium, Simon 50:50. Jetzt ist die Gelegenheit, noch mal zu mischen. Dann kommen jetzt noch 25 Prozent an der Werkrealschule für die Vorbereitungsklassen hinzu. Es ist ein Pool von verschiedenen Stellenprozenten, und man kann schauen, welche Interessen haben die Bewerber. Im Mobilen-Alltag und bei Sonja Lengerer als rein Mobiler-Mitarbeiterin wird aber nichts umgewürfelt. Das können wir auch den Jugendlichen nicht antun. Wir brauchen etwas Stabiles.
Sie bleiben dem Bezirk ja auch erhalten...
Aber in anderer Funktion. Ich bin dann die Frau vom Amt. Das müssen die Jugendlichen auch erst mal sortiert bekommen. Das Beratungszentrum Möhringen des Jugendamtes, für das ich arbeiten werde, ist auch zuständig für Sillenbuch, Plieningen und Birkach. Das sind jetzt schon meine Kooperationspartner. Ich glaube, dass ich noch viel dazulernen kann. Deswegen war das jetzt der Zeitpunkt. Noch bin ich jung genug, um mich auf ein neues Abenteuer einzulassen. Mobile Jugendarbeit ist nichts, was man bis zur Rente macht. Die Jugendliche sollen beim Streetwork nicht denken: Was will die Oma jetzt von mir? Dann fühle ich mich nicht mehr authentisch.