Angst und Stress am Arbeitsplatz Foto: picture alliance / dpa/Marion Gröning/SZ

Der Verwaltungswissenschaftler Holger Pressel aus Stuttgart hat ein Buch über den Umgang mit Gewalt am Arbeitsplatz veröffentlicht. Und er nennt fünf krasse Beispiele: von Amok bis zum Stalking.

Stuttgart - Für den Verwaltungswissenschaftler Holger Pressel gehört zur Gewalt am Arbeitsplatz auch das Mobbing durch Vorgesetzte mit verbalen Drohungen, Kränkungen und Diskriminierungen. Er zitiert Psychologen, die die Demütigungen im Beruf als „Verletzungen der Seele“ bezeichnen, die Depressionen aber auch Rachegefühle auslösen könnten. Bei der Recherche für sein Buch ist Pressel auf einige krasse Fälle von Gewalt am Arbeitsplatz gestoßen – fünf Beispiele werden hier aufgeführt.

1. Stalking – und keiner nimmt die Altenpflegerin ernst

Der erste Fall ist vielleicht wegen seiner Unauffälligkeit so markant. Die Mitarbeiterin einer Pflegeberatung einer gesetzlichen Krankenkasse in Schwäbisch Gmünd wird von einem 50-jährigen, etwas „schmierig“ wirkenden Mann, in der Geschäftsstelle aufgesucht, es geht um seine pflegebedürftige Mutter. Allerdings stellt sich heraus, dass der Mann gar nicht bei dieser Kasse versichert ist und seine Mutter auch nicht pflegebedürftig. Über Monate hinweg wird die Kassenangestellte, eine ausgebildete Altenpflegerin – allabendlich – von dem Mann am Kundencenter abgepasst, beschattet und und auf dem Heimweg verfolgt. Von Kollegen wird die Sache nicht ernst genommen, so „schön“ sei sie auch nicht, dass man ihr nachstellen wolle, sagte eine Kollegin. Bei der Betroffenen löste das Stalking aber Ängste aus, sie fühlt sich stark belästigt, die Bemerkung der Kollegin kränkt sie nachhaltig.

2. Kollegenhass – ein Bankmanager rastet aus

Der Bankmitarbeiter M. kann einen Statusverlust nicht verkraften, seinen Titel als Leiter des Privatkundenmanagements hatte er an den Kollegen O. verloren und empfindet dies offenbar als tiefe Kränkung. Offenbar aus Rachelust geht M. anonym gegen O. vor. Er fälscht ein polizeiliches Schreiben und hängt dies an Litfaßsäulen im Wohngebiet von O. auf, wirft es in Briefkästen und klemmt es an Windschutzscheiben. In dem Schreiben wird vor O. gewarnt, dieser sei ein „vorbestrafter Kinderschänder“, die Bürger sollten auf ihre Kinder aufpassen. Später wirft M. von einer Autobahnbrücke Steine auf vorbeifahrende Autos. Die Sache endet mit einer Verurteilung.

3. Brutales Mobbing – ein Fall aus Frankreich

Der Fall endete Ende 2019 mit der Verurteilung von drei Managern des Unternehmens France Telecom in Frankreich zu Geld- und Haftstrafen. Über zwei Jahre hinweg hatten sie Mitarbeiter gezielt tyrannisiert und schikaniert, um möglichst viele von ihnen zum freiwilligen Ausscheiden aus dem Betrieb zu bewegen. 18 Beschäftigte begingen in der Zeit Suizid, darüber hinaus gab es 13 Suizidversuche. Von „Management durch Terror“ war vor Gericht die Rede.

4. Bodenleger droht Chef – und fliegt sofort

Auch verbale Drohungen und Beleidigungen am Arbeitsplatz können als psychische Gewalt aufgefasst werden. In der Bauabteilung der Stadt Mönchengladbach fühlte sich der Vorgesetzte F. durch den Arbeiter Sch. ständig bedroht und unter Druck gesetzt, so dass er seinen Abteilungsleiter zum klärenden Gespräch mit dem Aggressor bittet. Er fühle sich durch die Bedrohungen von Sch. belästigt und fürchte um seine Gesundheit, sagt F. Der Abteilungsleiter stellte den mit Bodenlegearbeiten beschäftigten Sch. zur Rede, woraufhin der seine Wut gegen den anwesenden F. artikuliert: „Ich hau dir vor die Fresse“, erklärte Sch. dem F. mehrfach. „Ich nehme es in Kauf, nach einer Schlägerei gekündigt zu werden, der kriegt von mir eine Schönheitsoperation, wenn ich dann die Kündigung kriege, ist mir das egal!“ Dem Mann wurde fristlos gekündigt, seine Klage dagegen blieb erfolglos. Ähnliche vor Gericht in Rudolstadt (Thüringen) verhandelte Todesdrohungen eines Jugendlichen gegen eine Erzieherin hatten als Klagegrund allerdings keinen Bestand.

5. Amoklauf in der US-Post – 14 Tote in Oklahoma

Das tragische Geschehen ist schon länger her, es löste in den USA beim FBI aber erstmals den Impuls aus, sich näher mit „Workplace Violence“ zu befassen und Analysen zu erstellen: Am 20. August 1986 lief der bei der US-Post in Teilzeit arbeitende Patrick H. Sherill ins Postgebäude von Edmond, Oklahoma, und tötete dort 14 Menschen, die meisten waren Kollegen von ihm. Danach erschoss er sich selbst. Später hieß es, Patrick H. Sherill hätte die Tat in aus Frust über seine angeblich bevorstehende Entlassung begangen. In den 80er und 90er Jahren häuften sich bei der US-Post die Tötungsdelikte unter Kollegen oder früheren Kollegen. Das FBI führte später eine Typologie der Gewalt am Arbeitsplatz ein, so gibt es die spontane „situative“ Gewalt (Ausraster im Wartezimmer) – auch „heiße Aggression“ genannt. Es gibt aber auch die zielgerichtete seit längerem geplante Gewalt (Rachezug), die „kalte Aggression“. Eine Gewaltprävention muss auf jede Gewaltform anders ausgelegt sein. Was die zielgerichtete Gewalt anbelangt ist eins sicher: ein möglicher Täter zeigt früh Auffälligkeiten, die als Warnung beachtet werden sollten.