Oper mit Schicksalsfäden – das Ergebnis einer gemeinschaftlichen Strick- und Häkelarbeit. Foto: Staatsoper Stuttgart

Oper und Stricken – darauf wär man nicht gekommen. Dem Großen Haus gelingt es jedoch immer häufiger, unterschiedlichste Dinge miteinander zu verknüpfen. Das Publikum zieht – und strickt – mit.

Mit dem Strickzeug in die Oper – soweit ist es gekommen! Auch wenn es nicht die Oper direkt ist, sondern nur der gegenüberliegende Württembergische Kunstverein, so scheinen doch Welten aufeinanderzutreffen. Allerdings nur wenn man die Legende von der Hochkultur weiter strickt, die keine Berührungspunkte besitze mit der Welt da draußen. Damit räumen die Württembergischen Staatstheater und insbesondere die Staatsoper seit längerem auf. Im Rahmen ihres Frühjahrsfestivals mit dem Titel „Stricken am Mythos“ war die interessierte Öffentlichkeit am Donnerstagabend zum gemeinsamen Stricken eingeladen. Eine schöne, bodennahe Idee des Dramaturgenteams um Sabine Frank, Julia Schmitt, Dimitri Kunyayv und Miron Hakenbeck, die auf diese Weise allerlei Verknüpfungen herstellen wollen – besonders auch mit ihrem Publikum.

Ein vergängliches Gemeinschaftswerk

Dieses folgt der Aufforderung gerne, wenn auch fast nur der weibliche Teil. Etwa 50 Frauen finden sich im Kunstvereins-Gebäude ein, um gemeinsam einen „Schicksalsfaden“ herzustellen – drunter tut die Oper es dann doch nicht. Die Idee knüpft an eine Szene aus dem jüngst aufgeführten Ring der Nibelungen von Richard Wagner an, in der die drei Nornen – weibliche Wesen aus der Mythologie – ein Schicksalsseil weben. Elke Haupt, leidenschaftliche Strickerin und Häklerin aus Leinfelden-Echterdingen, hat die Szene in einem Häkelteppich festgehalten. Später am Abend wird dieser am Mittelbalkon der Oper aufgehängt als Ausgangspunkt der gestrickten Schicksalsfäden, die um die Säulen herum führen. Ein Gemeinschaftswerk für einen Tag.

Die Kulturgeschichte des Strickens wird ausgebreitet

Dieses Mitmachprojekt – es ist ein Spiel mit Fäden und Worten. Ausdruck einer neuen Naturverbundenheit, die der Staatsoper wichtig ist. Handarbeit und Kopfarbeit, so eine Botschaft, gehen zusammen. Zu jeder Stunde treten die Dramaturgen ans Mikrofon und berichten aus der Kulturgeschichte des Strickens. Interessiert blickt das strickende Publikum auf einen modernen Strickstrumpf eines alten Ägypters und erfährt von den Strickgilden des Mittelalters, zu denen Frauen nicht zugelassen waren. Stricken und Häkeln als Männersache – oha!

Der einzige häkelnde Junge an diesem Abend ist Carl aus Leinfelden-Echterdingen, der mit seiner Mutter, Yvonne Przechera, an der Stricksession teilnimmt. Und das am Vorabend seines 15. Geburtstags! Er nimmt’s so locker, wie die Maschen aussehen, die er produziert. „Macht Spaß“, sagt er. Handarbeit hat in der Familie Tradition. Seine Mutter lobt die Oper dafür, dass sie dem Stricken eine Bühne bietet.

Der Intendant hält ausnahmsweise nicht die Fäden in der Hand

Das freut den Intendanten Viktor Schoner, der die Fäden ausnahmsweise einmal nicht in der Hand hält und das vierstündige Strick- und Häkel-Happening als Betrachter genießt. Mitgestrickt hätten dafür wohl gerne Teile des Opernchors, in dem sich eine Strick-Community gebildet hat – wenn sie an diesem Abend nicht gleichzeitig auf der anderen Seite des Eckensees die Johannes-Passion singen würden. Doch auch ohne ihre Mitwirkung heißt es irgendwann: „Die Wolle geht aus!“, was für Dramaturg Hakenbeck das Zeichen ist, im nächsten Strickladen weitere Knäuel zu beschaffen. Was tut man nicht alles für einen möglichst langen Schicksalsfaden.