Kostümierte Besucherinnen und Besucher tanzen zusammen mit Darstellerinnen und Darstellern im Foyer der Staatsgalerie. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

In der Staatsgalerie haben Studierende Oskar Schlemmers Triadisches Ballett neu erfunden. Die Besucher sind fasziniert von dem Verhältnis zwischen Figur und Raum

Trippelnd bewegt sich die Gestalt mit dem Kugelkopf durch das Foyer der Staatsgalerie. Ein alter Bekannter. Der „Taucher“ aus Oskar Schlemmers Triadischem Ballett. Er ist eine jener sieben Figurinen, die zu den Publikumslieblingen im Museum zählen. Was aber macht er hier unten? Sollte er nicht eine Etage höher stehen? Auch der „Tänzer, türkisch“ (die Benennung bezieht sich auf Mozarts „Rondo alla turca“) hat offenbar den Drang verspürt, sich zu regen und schreitet vorsichtig, aber elegant durch den Raum. Fasziniert filmen Museumsbesucher das Geschehen via Smartphone.

Besondere Art der Präsentation

Natürlich stehen die Originale auch am Samstag an ihrem Platz in der aktuellen Sonderausstellung „Moved by Schlemmer“. Statisch, aber auf langsam rotierenden Scheiben. Die Idee, die Ballett-Charaktere so wenigstens ein wenig in Bewegung zu versetzen, stammt von Schlemmer selbst. Er hatte sie Ende der 1930er Jahre für eine geplante Ausstellung in den USA entwickelt. Diese Form der Präsentation wird den Bauhaus-Gestalten allemal besser gerecht, als die legendäre Präsentation auf 1,80 Meter hohen Säulen, die Joseph Beuys anno 1984 im Rahmen eines Ausstellungskonzepts veranlasste. Am stärksten wirken sie aber eben erst, wenn jemand drin steckt, in der „Drahtfigur“ oder im „Abstrakten“, den Schlemmer als „raumplastisch“ bezeichnete: ein Konglomerat farbiger und metallischer Plastiken, die sich im Raum bewegen.

Aktion als offenes Spiel

Erlebbar machen das Architekturstudierende der Hochschule Anhalt und das Bühnenstudio der Stiftung Bauhaus Dessau. Unter der Leitung von Torsten Blume haben sie sich intensiv mit dem Triadischen Ballett, dem Design, dem Verhältnis zwischen Figur und Raum und den Möglichkeiten der individuellen Erweiterung des Schlemmer-Kosmos befasst. „Es handelt sich ja nicht um ein abgeschlossenes Stück“, betont Blume, „Schlemmer selbst hat die Figurinen immer wieder verändert und Dinge neu arrangiert. Es ist ein offenes Spiel.“ Während die „Triadische Gymnastik“ am Nachmittag im Foyer improvisatorische Akzente setzt, präsentiert das „Triadische Salonstück“, das am Abend im Saal gezeigt wird, eine choreografierte Vision der Dessauer von Aktion und Interaktion der Figurinen. Ergänzt um zwei weitere wichtige Komponenten: Licht und Musik.

Eigene Experimente sind möglich

„Die menschliche Figur in Bewegung war eines der großen Themen für Oskar Schlemmer“, sagt Susanne Kaufmann-Valet, Kuratorin von „Moved by Schlemmer“. Das gelte auch für die Inszenierung auf der Bühne. Sie empfindet die temporäre Auferstehung der Triaden als aufregend, auch weil sie zeige, wie stark das künstlerische Konzept immer noch nachwirke. „Die Kostüme vermittelten dem Träger ein besonderes körperliches Empfinden“, sagt sie. Kaufmann-Valet hat es selbst ausprobiert. „Es ist ein bisschen, als würde man in einen zweiten Organismus steigen“, erklärt Torsten Blume. „Was mache ich, wenn ich keine Arme habe, wie der ,Taucher‘? Wie bewege ich mich in extremen Pumphosen?“ Die Auseinandersetzung mit dem Triadischen Ballett sei ein Stück weit angewandte Forschung gewesen. Eine Foto- und Verkleidungsecke mit Schlemmer-Accessoires lädt bereits nachmittags, aber auch nach der Performance ein, eigene Experimente anzustellen und Erfahrungen damit zu machen, wie sich Schlemmers Ästhetik anfühlt.

Schlemmers Schöpfung ist 100 Jahre alt

Ursprünglich hätten die Bauhaus-Tänzer den Park der Villa Reitzenstein beleben sollen: im Rahmen einer Filmvorführung zum 70-jährigen Bestehen Baden-Württembergs. Wetterbedingt hatte die Staatsgalerie kurzfristig Unterschlupf für die Veranstaltung geboten. Das Landes-Porträt „70 Jahre – 70 Köpfe“ läuft ebenfalls im Saal. Museumsdirektorin Christiane Lange freut sich, dass durch die Umstände eine Symbiose zwischen diesem runden Geburtstag und 100 Jahre Triadisches Ballett entstanden ist. Uraufgeführt wurde Schlemmers Schöpfung am 30. September 1922 im Württembergischen Landestheater.