Das Stuttgarter Traditionshaus Wittwer schließt sich mit Thalia zusammen. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Manuel Herder ist Mitinhaber von Thalia als größtem Buchhändler im deutschsprachigen Raum. Nach dem Zusammenschluss mit der Buchhandlung Wittwer hat er für den Schlossplatz schon einige Pläne.

Stuttgart - Die Unternehmerfamilie Wittwer hat die Nachfolgefrage ihres Traditionshauses am Schlossplatz gelöst – durch Zusammenschluss mit dem Großsortimenter Thalia. Dieser verspricht einige Invesitionen in technische Neuerungen.

Herr Herder, der Zusammenschluss von Wittwer und Thalia sorgt hier in Stuttgart für viel Aufsehen. Es ist davon auszugehen, dass vieles anders wird in dem Buchhaus am Schlossplatz. Was werden Sie alles ändern an diesem Standort?
Zunächst bleibt alles beim Alten. Das liegt vor allem daran, dass wir Wittwer für eine ganz ausgezeichnete Buchhandlung halten. Der Name Wittwer ist für mich der Inbegriff einer Buchhändlerfamilie par excellence, die in Stuttgart eine der interessantesten Buchhandlungen im deutschsprachigen Raum entwickelt hat. Darauf dürfen alle in Stuttgart stolz sein.
Die Größe der Buchhandlung und die Breite des Angebots bleibt also bestehen wie bisher?
Ja. Die gewachsene Tradition von Wittwer ist für uns bei Thalia sehr wichtig. Gerade, weil wir mit rund 300 Buchhandlungen der größte Buchhändler im deutschsprachigen Raum sind, ist für uns die lokale Verortung von großer Bedeutung. Wittwer bringt die gute Verwurzelung in Stuttgart, die lokale Kunden- und Sortimentskompetenz und eine Tradition von 150 Jahren mit. Thalia Effizienz, Managementfähigkeiten, Einkaufsvorteile und Digitalkompetenz. Natürlich wird man gemeinsam auch auf neue Ideen kommen und Dinge verändern. Ein Erfolgsmodell weiterentwickeln, dies wollen wir doch alle. Aber jetzt warten wir erst einmal die Entscheidung des Kartellamtes ab.
Und was gilt für die Beschäftigten bei Wittwer?
Wie schon bekanntgegeben, werden wir rund hundert Kolleginnen und Kollegen eine sichere Zukunft bieten. Wir bei Thalia sind fest davon überzeugt, dass der Buchhandel auch in Zukunft bestehen wird, deshalb investieren wir in Menschen und in neue Technologien. Wir setzen auf Buchhändler als Garant für interessante Lesekultur. Deshalb bilden wir auch gerne aus: Deutschlandweit haben wir über 500 Azubis, davon 40 in Baden-Württemberg, von denen 34 zum Buchhändler ausgebildet werden.
Große Buchsortimenter hatten in Stuttgart bisher einen schwierigen Stand. Was macht Thalia anders als die Konkurrenten?
Thalia ist ein klassisches Familienunternehmen, wie Wittwer auch. Zusammen mit dem geschäftsführenden Gesellschafter Michael Busch, dem langjährigen Thalia Inhaber Henning Kreke und dem Digitalunternehmer Leif Göritz, der auch unser Aufsichtsratsvorsitzender ist, gehöre ich zu den Inhabern. Aber Thalia hat auch ein sehr professionelles Management. Vor über 20 Jahren hat Herder seine Buchhandlungen an Thalia verkauft. Ich habe erlebt, mit welcher Professionalität und Verantwortung Thalia mit unseren Buchhandlungen und mit der regionalen Verwurzelung umgegangen ist. Seit zwei Jahren ist die Familie Herder nun bei Thalia beteiligt. Seither erlebe ich die professionelle Begeisterung bei Thalia für das Lesen und bin überzeugt davon, dass moderner Buchhandel gerade in einer großen Kulturmetropolen wie Stuttgart eine gute Zukunft haben wird.
Mit der regionalen Ausrichtung tun sich Großsortimenter in der Tat meist sehr schwer.
Die Herausforderung, für eine urbane Leserschaft im digitalen Zeitalter ein attraktives und zukunftsfähiges Angebot zu machen, begeistert mich. Deshalb wird Wittwer-Thalia das breite Sortiment bei gewohnter Qualität fortführen und weiterhin literarische Veranstaltungen anbieten. Deutschlandweit bietet Thalia im Jahresdurchschnitt etwa 3000 Veranstaltungen an, in Baden-Württemberg etwa 300. Und wir beteiligen uns hier in der Region an Reihen wie „Ludwigsburg liest“, der „Karlsruher Bücherschau“ und nicht zuletzt an den „Stuttgarter Buchwochen“.
Doch bei aller Pflege von Kontinuität und Tradition: Irgendwas muss Thalia ja anders machen, sonst wäre Wittwer ja wohl Wittwer geblieben.
Konrad Wittwer hat 2017, anlässlich des 150-jährigen Jubiläums des Hauses Wittwer erklärt, dass er mit 63 Jahren den Generationswechsel einleiten will. Er hat sich für Thalia entschieden. Für das Vertrauen sind wir ihm dankbar und betrachten es als Auszeichnung für Thalia, aber auch als Verpflichtung. Deshalb ist es unser gemeinsamer Wunsch, dass wir die Tradition des Hauses in Stuttgart weiter pflegen. Im Online-Bereich wird sich jedoch sehr viel Neues tun, denn dort wird der Wettbewerb von großen internationalen Mitspielern dominiert. Wer da mit einer kleinen Lösung antritt, hat schon verloren. Mit unserer durchdachten Verzahnung der verschiedenen Vertriebskanäle und Serviceangebote, bieten wir unseren Kunden ein hervorragendes Einkaufserlebnis. Beispielsweise die „Lieblingsbuchhändler“-Funktion in der Thalia- App: Damit haben wir einen Weg gefunden, die Beratungskompetenz unserer Buchhändler auch in den digitalen Kanal zu übertragen. Kunden können Buchhändler auswählen, denen sie folgen möchten. Wir bieten eBooks nicht nur digital, sondern auch flächendeckend in jeder Buchhandlung an. Mit unserem Online-Reservierungstool stellen wir 40 Prozent aller vor Ort verfügbaren Bestellungen binnen 60 Minuten in der Wunsch-Buchhandlung zur Verfügung. Neuerdings ist auch das mobile Bezahlen vor Ort möglich. Eines ist heute völlig klar und da darf kein Einzelhändler wegschauen: Kein Mensch muss heute noch in eine Innenstadt gehen. Alles geht online. Aber wir alle wollen doch, dass unsere Innenstädte lebendig bleiben und dass es dort attraktive Geschäfte gibt. Wittwer-Thalia wird einen wichtigen Beitrag für Stuttgart leisten und innerstädtische Lesekultur im digitalen Zeitalter attraktiv machen.
Wie stellen Sie sich also Ihre Kunden vor?
Nach wie vor gibt es die Leser, die möglichst ungestört schmökern wollen. Denen bieten wir unser breites Sortiment an. Dann gibt es jene, die Beratung wollen. Sie werden wie gehabt von den langjährigen Wittwer-Buchhändlern beraten. Es gibt jene, die nur ein bestelltes Buch abholen wollen. Für sie werden wir schon bald Neuerungen anbieten, die das Bestellen und Abholen einfacher und persönlicher machen. Und dann gibt es Leserinnen und Leser, die ein ganz bestimmtes Buch wollen. Unsere Aufgabe besteht darin, in der Verbindung einer tollen Buchhandlung in der Innenstadt mit einem leistungsfähigen Online-Angebot, den individuellen Kundenwünschen genau zu entsprechen.
Und wie verhandeln Sie mit den Verlagen?
Aufgrund seiner Größe hat Thalia natürlich einen gewissen Einkaufsvorteil. Dann verfügt Thalia über eine sehr effiziente Waren-Logistik, die dafür sorgt, dass nur selten ein wichtiges Buch in der Buchhandlung fehlt. Das wird auch für Wittwer-Thalia ein großer Vorteil sein. Thalia arbeitet eng mit den Verlagen zusammen. Sei es bei unserem gemeinsamen Engagement für den Erhalt der Ladenpreisbindung, um das Kulturgut Buch zu schützen oder bei Veranstaltungen mit Autoren.
Und was machen Sie in puncto Veranstaltungen? In Stuttgart gibt es in dieser Hinsicht etwa das Literaturhaus und die neue Stadtbücherei.
Wittwer ist in Stuttgart bestens vernetzt. Als Landeshauptstadt hat Stuttgart ein größeres Angebot an Kulturveranstaltungen als andere Städte. Für den Buchhandel ist das ein herrliches Umfeld, da gibt es viele Möglichkeiten zur Kooperation, etwa mit den hier vertretenen Medien und den verschiedenen Fördereinrichtungen. Wittwer hat das exzellent genutzt, daran knüpfen wir an.
Wann werden die Kunden erstmals konkret den Zusammenschluss Wittwer Thalia erleben?
Wir warten das Verfahren beim Kartellamt ab. Wenn im Herbst die Abende wieder länger werden, wollen Herr Wittwer und ich die Stuttgarter gerne zu einer Veranstaltung in die Buchhandlung einladen, um über die Zukunft zu sprechen. Ich freue mich schon auf die Zusammenarbeit mit Herrn Wittwer. Er ist ein herausragender Buchhändler, ein echter „Macher“, von dem ich noch viel lernen kann.
Wie sieht Ihres Erachtens nach eine Buchhandlung in den nächsten zehn oder 20 Jahren aus?
Einerseits genauso wie jetzt und andererseits doch ganz anders. Eine Buchhandlung benötigt weiterhin eine attraktive Lage, damit die Kunden einfach mal reinschauen können. Denn Lesen ist und bleibt in erster Linie eine Freizeitgestaltung. In diesen Geschäften wird es weiterhin viele schön präsentierte Bücher geben und wer will, kann sich per App auf sein Smartphone genau an die Stelle leiten lassen, an der er sein gewünschtes Buch findet. Die Buchhändler werden immer wichtiger. Die Möglichkeiten der Digitalisierung werden langfristig wieder zu mehr Neuerscheinungen führen, das erfordert kompetente Orientierungshilfe.
In den letzten Jahren sind doch aber weniger Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt herausgekommen. Muss man sich nicht eher auf einer kleiner werdenden Buchmarkt einstellen?
Ja, das wird in den nächsten Jahren erst mal so weiter gehen. Da haben wir alle dazu gelernt, ob Handel oder Verlage: Die Leser wollen ihre wenigen Lesestunden am Abend, am Wochenende oder im Urlaub in für sie lohnende Literatur investieren. Händler wie Verlage müssen hier lernen, kritisch zu bleiben und das Richtige anzubieten. In diesem Sinn wird Wittwer-Thalia die Tradition dieses Hauses als schöne und liebenswerte Buchhandlung und erste Buchhandelsadresse in Stuttgart in die Zukunft führen.