Pierre-Enric Steiger will bei einem Wahlsieg die verbliebenen AG-Anteile an Vereinsmitglieder verkaufen. Dietmar Allgaier und Jochen Haas, die beiden anderen Präsidentschaftskandidaten, äußern sich skeptisch – und es gibt weitere Kritikpunkte.
Noch lässt sich die VfB-Aktie nicht zeichnen, da sie nicht mehr als eine konkrete Absicht darstellt. Pierre-Enric Steiger hat aber schon mal einen Entwurf skizzieren lassen. Gerahmt hängt die exemplarische Schmuckaktie in seinem Büro – und das Papier mit dem Vereinswappen des VfB Stuttgart steht symbolisch für das Vorhaben des Präsidentschaftskandidaten. Steiger will die verbliebenen 3,9 Prozent an Anteilen der VfB AG an Mitglieder veräußern. Damit hat der 53-Jährige im Wahlkampf zum einen ein Alleinstellungsmerkmal und zum anderen das emotionalste Thema vor der Mitgliederversammlung am 22. März gesetzt.
Reiner Populismus, ruft nun ein Teil der VfB-Familie. Steiger wolle nur Stimmen auf der ideologischen Seite der Anhängerschaft sammeln, die stets nach mehr Mitsprache in der VfB AG schreit. Doch so einfach ist es nicht. Es gibt Fans, die dem Grundgedanken einer weiteren Beteiligung beim Fußball-Bundesligisten viel abgewinnen können.
Was sagen die Rivalen?
Der Präsident der Björn-Steiger-Stiftung kann jedenfalls für sich in Anspruch nehmen, bereits vor Monaten intensive Gespräche geführt zu haben, um die Stimmung beim Traditionsverein nach der Abwahl von Claus Vogt auszuloten. Begegnet ist ihm dabei immer wieder das Gefühl, dass sich zahlreiche Mitglieder seit der Ausgliederung des Profifußballs 2017 abgekoppelt sehen, sich mehr Beteiligung und Transparenz wünschen. Und bereits in seinem Wahlkampf 2021 (Niederlage gegen Vogt) ging es ihm um mehr Mitsprache in Richtung der AG.
Diese Sehnsucht hat Steiger jetzt in der VfB-Aktie gebündelt – als einen zentralen Teil seines umfassenden Positionspapiers („Der VfB gehört uns allen!“). „Dadurch wird eine symbolische und praktische Möglichkeit geschaffen, die Mitglieder stärker in die Strukturen und Prozesse der AG einzubinden“, schreibt Steiger zum möglichen Umgang mit den etwa 260 000 Einzelaktien (Nennwert ein Euro pro Aktie). Sie sollen nur an volljährige VfB-Mitglieder ausgegeben werden, und sie dürften nur in einer sehr begrenzten Anzahl erworben werden, um eine breite Streuung zu erreichen.
Skepsis äußern die beiden anderen Präsidentschaftskandidaten. Jochen Haas verweist auf den enormen Verwaltungsaufwand und die hohen Kosten: „Weder die VfB AG noch der VfB e. V. sind aufgestellt, um so ein Projekt aufzuziehen. Es ginge anfangs immerhin um bis zu 80 000 Einzeleinträge in das Aktienregister. Im Grunde bräuchte es eine Bank, um das Ganze zu koordinieren. Zudem stellen sich unter anderem auch Haftungsfragen“, sagt der Finanzexperte.
Dietmar Allgaier begrüßt zwar die Diskussion über die weitere Mitbestimmung, formuliert jedoch ebenfalls Bedenken. „Die Ausgabe von Aktien an Mitglieder mag auf den ersten Blick attraktiv erscheinen, würde aber viele rechtliche und regulatorische Hürden mit sich bringen, die Risiken bergen, deutliche Mehrkosten pro Jahr verursachen und einen hohen Verwaltungsaufwand erfordern. Für all das ist der VfB aktuell organisatorisch gar nicht aufgestellt. Wir müssten Hauptversammlungen mit 70 000 bis 80 000 Aktionären organisieren, jede Veränderung muss verwaltet und eingetragen werden, zum Beispiel bei Austritten, Rückgaben und so weiter, es müssten Aktienhandbücher geführt werden“, sagt der Interimspräsident.
Allgaier bringt eine Alternative ins Spiel. „Eine andere Möglichkeit ist die eines Genossenschaftsmodells für Mitglieder, die nicht nur die noch zur Verfügung stehenden Anteile an der VfB AG bündeln, sondern auch langfristige Zukunftsthemen wie die dringend notwendigen Infrastrukturprojekte von Verein und AG steuern könnte. Anders als eine einmalige Aktienausgabe bietet eine Genossenschaft eine nachhaltige Finanzierungs- und Beteiligungsmöglichkeit, die flexibel gestaltet werden kann“, sagt der Ludwigsburger Landrat. Im Aufsichtsrat der VfB AG, dessen Vorsitz Allgaier innehat, hat man sich darüber schon unterhalten.
Was macht der AG-Vorstand?
Doch für Steiger bleibt es eine Abwägungsfrage, „ob man hier Geld einsparen will oder lieber den Mitgliedern das Gefühl vermitteln mag, sie sind wieder ein Teil des Ganzen, und dadurch den Zusammenhalt stärkt.“ Für ihn ist die Sache klar, trotz der Einwände. Zu den 75,1 Prozent an Anteilen, die der Verein für Bewegungsspiele mindestens hält, sollen die Mitglieder eine neue Möglichkeit der Identifikation erhalten.
Zur Wahrheit gehört jedoch ebenso, dass zurzeit der AG-Vorstand mit Alexander Wehrle an der Spitze über das Mandat verfügt, einen neuen Investor zu finden. Es soll wieder ein strategischer Partner sein – wie die beiden Automobilhersteller Mercedes und Porsche sowie der Sportausrüster Jako. Ein viertes Unternehmen aus der Region gilt als ideal, erste Gespräche sind gelaufen. Auch das sogenannte Mittelstandsbündnis mit drei, vier kleineren Unternehmen aus der Region gibt es noch als Option.
„Natürlich gibt es unterschiedliche Herangehensweisen. Eine davon ist, die verbleibenden Anteile an einen weiteren Investor zu veräußern. Ich schlage eine andere Lösung vor. Die Beteiligung der Mitglieder an der AG. Auch wenn noch nicht alle Details diskutiert worden sind, so kann ich mir vorstellen, dass jedes Mitglied zwei Aktien zum Paketpreis von 189,30 Euro erwerben kann. Dies entspricht einem Gesamtwert von über 24,5 Millionen Euro, damit wird auch dem Argument der gestiegenen Bewertungsgrundlage des VfB Stuttgart entsprochen“, erklärt Steiger.
Die Zeit für einen Aktienverkauf drängt allerdings nicht, wie Wehrle mehrfach betont hat. Denn der VfB ist dank des Württembergischen Weltmarkenbündnisses finanziell gut aufgestellt, und der Wert der VfB-Aktie steigt. Zum Porsche-Einstieg im Sommer 2023 lag der Verkaufspreis bei 60 Euro pro Aktie, was für die 3,9 Prozent an Anteilen etwa 16 Millionen Euro eingebracht hätte. Aktuell würden es wohl mehr als 20 Millionen Euro sein. Zudem zeigt die Praxis, dass die Anteilseigner in der Regel Sponsorenpakete obendraufsetzen, gemeinsam mit dem VfB Marketingaktivitäten angehen und die Internationalisierung vorantreiben.
Schon allein daran wird deutlich, dass es auf AG-Seite Vorbehalte gegen Steigers Idee gibt. Der Initiator lässt sich jedoch nicht beirren. Im Vorfeld hat er sich sowohl mit AG-Leuten als auch mit Investorenvertretern ausgetauscht. Begeisterung ist ihm nicht entgegengeschwappt, aber er hat auch keine grundlegende Ablehnung verspürt.
Vielmehr spiegelte sich Überraschung in den Gesichtern der Mercedes- und Porsche-Vertreter – obwohl oder gerade weil sie Hauptversammlungen mit Kleinaktionären aus der Wirtschaft kennen. Diesbezüglich werden für den Stuttgarter Fußballbetrieb bereits Schreckensszenarien aufgezeigt. Steiger bleibt mit Blick auf die potenzielle Schmuckaktie an seiner Wand jedoch gelassen: „Ich würde es auf jeden Fall begrüßen, wenn bis zur Mitgliederversammlung hier keine unumkehrbaren Entscheidungen getroffen werden, die einen Aktienverkauf an Mitglieder ausschließen werden.“