GDL-Chef Weselsky fordert, dass die Bahn-Infrastruktur vom Renditestreben befreit wird. Foto: dpa

Der GDL-Chef Claus Weselsky fordert in einem Interview, dass der Nachfolger Rüdiger Grubes durch Sachkompetenz, Charisma und Leidenschaft für die Schiene besticht. Die Infrastruktur müsse zusammengeführt und vom Renditestreben befreit werden.

Berlin - Der Chef der Lokführergewerkschaft GDL, Claus Weselsky, sieht als Grund für die Krise der Deutschen Bahn viele Versäumnisse der Regierung. Nach dem Grube-Rücktritt fordert der Gewerkschafter mit CDU-Parteibuch grundlegende Reformen: Die Schienen-Infrastruktur sollte vom Renditestreben befreit und in eine gemeinnützige Gesellschaft überführt werden, der Netzausbau nur noch nach objektiven Kriterien eines bundesweiten Taktfahrplans erfolgen.

Wie bewerten Sie den Rücktritt von Bahnchef Grube?
Die Umstände dieses Rücktritts sind bedauerlich und der Konzern vermittelt dabei ein geradezu chaotisches Bild. Nun gilt es aber, nach vorne zu schauen und endlich aus Fehlern zu lernen. Wir brauchen einen Bahnchef mit hoher Sachkompetenz, Charisma und Leidenschaft für die Schiene, keinen Erbsenzähler und keinen Träumer. Einen Fachmann, der weiß, dass vor allem eine intakte Infrastruktur für die Zukunft der Eisenbahn entscheidend ist und nicht weltweite Logistik-Unternehmen.
Die Bilanz Grubes ist umstritten. Ihre Meinung?
Grube trat 2009 mit dem Versprechen an, das wichtigste Geschäft der Bahn, nämlich den Schienenverkehr in Deutschland, wieder auf Vordermann zu bringen. Dieses Versprechen hat er nicht gehalten, das zeigt der desaströse Zustand unserer Infrastruktur. Auch nach fast acht Jahren Grube verhindern Langsam-Fahrstellen und Kapazitätsengpässe einen zuverlässigeren Bahnverkehr, die Pünktlichkeit sank auf Tiefstwerte. Trotz aller groß angekündigten Sanierungskonzepte der DB-Spitze hat die Schiene im Vergleich der Verkehrsträger immer mehr an Boden verloren.
Trifft Grube daran die alleinige Schuld?
Natürlich nicht. Im gesamten Bahnvorstand mangelt es seit Jahren an Kenntnis des komplexen Schienensystems. Vor allem aber fehlen klare Vorgaben des Bundes als Eigentümer des Konzerns und der Infrastruktur, wohin die Bahn eigentlich fahren soll. Man treibt teure Milliardenprojekte wie Stuttgart 21 um jeden Preis voran, vernachlässigt aber sträflich den Verkehr in der Fläche. Die Infrastruktur wird jedes Jahr mit Milliarden von Steuerzahler bezuschusst, soll aber gleichzeitig dem Konzern Gewinne bringen. Das ist doch widersinnig.
Was sollte sich ändern?
Die Politik muss die Weichen neu stellen. Der neue Bahnchef sollte dafür kämpfen, dass die Infrastruktur zusammengeführt und vom Renditestreben befreit wird. Es kann doch nicht sein, dass die Allgemeinheit das Schienennetz jedes Jahr mit vielen Milliarden Steuergeld finanziert und gleichzeitig hohe Gewinne aus der Netzsparte in die Konzernkassen fließen, obwohl es überall hohen Sanierungsbedarf gibt.
Wie könnte eine Bahnreform 2.0 aussehen?
Zuerst sollte die Infrastruktur zusammengeführt werden, die im Allgemeinen Eisenbahn-Gesetz (AEG) klar definiert ist, dazu gehören das Netz, die Bahnhöfe, die Energiebetriebe und Werkstätten. Für diese Sparten muss eine neue gemeinnützige Gesellschaft gegründet und die bisherige Gewinnerzielung beendet werden. Das Infrastruktur-Unternehmen könnte den Zugang zum Netz, zu Bahnhöfen, Bahnstrom und Wartung allen interessierten Bahn-Unternehmen fair, günstig und diskriminierungsfrei zur Verfügung stellen. Das ginge auch unter dem Dach der DB wie bisher, dafür braucht es keine strikte Abtrennung, wenn die Regeln klar sind.
Und die Finanzierung?
Der Unterhalt der Infrastruktur wird transparent und kostendeckend durch Staatszuschüsse und die Nutzungsentgelte der Bahnen finanziert. Die gemeinnützige, nur dem Allgemeinwohl verpflichtete Gesellschaft würde auch politisch neutral den Ausbau des Schienennetzes steuern. Nicht mehr politische Interessen und Einflussnahmen von Parteien dürfen die Realisierung von Milliardenprojekten bestimmen, sondern allein objektive Kriterien.
Welche Kriterien könnten das sein?
Da müssen wir nur in Nachbarländer wie die Schweiz mit ihrem vorbildlichen Bahnverkehr schauen. Entscheidend für jeden Ausbau und die Beseitigung von Engpässen muss sein, was dem Personen- und Güterverkehr am meisten nützt. Als Grundlage brauchen wir endlich einen integralen Taktfahrplan in Deutschland, der in der Fläche regelmäßige, schnelle Bahnverbindungen garantiert und bei dem die Bahn im Mittelpunkt aller Verkehrsplanungen steht. Nur so kann wirklich nachhaltige Mobilität der Zukunft funktionieren. Und jede weitere Milliardeninvestition in die Infrastruktur muss dann darauf abgeklopft werden, inwieweit sie diesen Taktfahrplänen nützt. Erst dann dürfen die knappen Finanzmittel dafür eingesetzt werden.
Wie groß sind die Chancen für solch eine Reform?
Die Neuausrichtung muss kommen, denn so kann es nicht weitergehen. Ohne bessere Weichenstellungen der Politik für die Schiene wird kein Bahnchef das Unternehmen wieder in die Spur bringen können. Auch bei den Regierungsparteien reift diese Erkenntnis. Im Bundestagswahlkampf wird die Verkehrspolitik zwar keine entscheidende Rolle spielen, aber durchaus gewichtig sein. Denn ein schlagkräftiger Schienenverkehr ist für die Bürger, die Wirtschaft und den Klimaschutz von größtem Interesse. Und da gibt es sehr viel Luft nach oben.
Seit Monaten verhandelt Ihre GDL mit der Bahn über einen neuen Tarifvertrag, inzwischen läuft die Schlichtung. Wann ist mit einem Abschluss zu rechnen?
Kein Kommentar. Beide Seiten haben sich zum Stillschweigen verpflichtet. Und daran halten wir uns.