Bülent Caliskan will bald bei der 24-Stunden-Deutschlandfahrt antreten. Foto: privat

Bülent Caliskan hat mithilfe des Rennrads und Freunden aus der Radbande Murr neue Kraft und Lebensinhalte gefunden. Zuvor hatte er mit der Gesundheit zu kämpfen und stand kurz vor dem Burnout.

Cornelia Ohst

Murr - Dass er sich einmal als Protagonist einer Erfolgsgeschichte würde betrachten können, das hätte Bülent Caliskan im Winter 2018 noch alles andere als für möglich gehalten. Der Mann, der in der Gemeinde Murr lebt, hatte zu dieser Zeit nämlich einen ganzen Sack voller gesundheitlicher Probleme. Überlastet von seinen vielen Aufgaben als Selbstständiger, lebte er eher gegen seinen Körper als mit ihm. „Ich wog damals 97 Kilogramm, hatte schlechte Blutwerte und mein Arzt sprach mir gegenüber nicht nur von Leberverfettung, sondern auch von Burnout“, erzählt Caliskan.

Um mit dem Stress subjektiv besser umgehen zu können, sei auch Alkoholkonsum eines der Laster gewesen, die seine Gesundheit attackiert haben, reiht er in der Erinnerung einen schädlichen Faktor seiner damaligen Lebensweise an den anderen. Dass er zudem geraucht und fast ausschließlich Fast Food zu sich genommen habe, kommt kleinlaut hinterher. „Ich hatte einfach keine Zeit“, sagt der heutige Radbegeisterte, der damals auch noch unter Tinnitus litt. „Und wenn mein Mobiltelefon nur klingelte, bekam ich Schweißausbrüche.“

Die 180-Grad-Wende kam mit der Radbande

„So sah mein Leben vor wenigen Jahren aus“, konstatiert der Murrer sachlich – und ein Leuchten in den Augen verrät, dass es heute komplett anders um ihn steht. „Daran ist die Radbande schuld“, sagt er mit einem breiten Grinsen im Gesicht, und lässt Worte der Dankbarkeit hinterher fließen. „Diese Leute haben mir das Leben gerettet, indem sie mich motiviert und einfach mitgezogen haben“, erklärt der Rennradler, der Anfang des Jahres 2019 den Versuch gestartet hatte, sich der in Murr gegründeten Gemeinschaft von Rennradfahrern anzuschließen – nachdem ihm der Arzt geraten hatte, dringend etwas für die Fitness zu tun. „Im Fitnessstudio hatte ich jedoch keinerlei Spaß und es deshalb rasch aufgegeben“, sagt Caliskan und erinnert sich stattdessen daran, wie er von Adrian Gieseler, genannt Adi, der die Gruppe von Radsportbegeisterten einst ins Leben gerufen hatte, gefragt wurde: „Was ist dein Ziel, wo willst du hin?“

Die Radbanditen lassen niemanden zurück

„Ich hatte überhaupt keinen Plan, wusste nur, so geht es mit mir nicht weiter“, gesteht der Radsportler, der sich zum Start erst einmal eine teure Ausrüstung geleistet hatte. „Ich sah wie ein stylischer, jedoch übergewichtiger Amateur aus, hatte aber keine Ahnung, was da auf mich zukommt. So bin ich dann mitgefahren und habe versucht, den Anschluss zu halten“. Manchmal jedoch vergebens: Frustriert und erschöpft sei der Anfänger zu Beginn öfter mal umgedreht. Doch dann hätten Radfreunde geholfen, „mich sogar den Berg hochzuschieben“.

„Bei einer der Ausfahrten musste ich mich sogar mal übergeben! Einer der Radler ist dann umgedreht und hat sich zu mir ins Gras gehockt“, erinnert sich der Betroffene. Doch die quälenden Erfahrungen dauerten glücklicherweise nicht allzu lange an. Stattdessen packte ihn der Ehrgeiz, mit der bunt zusammengewürfelten Gruppe, die bei ihren Ausfahrten meist zwei Leistungsstufen im Angebot hat, mithalten zu können. „Die Leute sind so sympathisch. Es hat einfach Spaß gemacht, weil die so freundschaftlich drauf sind“, sagt der Murrer.

„Heutzutage kann es gar nicht hart genug sein“

Bald schon hatte er sich dann auch im Fahren steiler Abschnitte versucht. Mit diversen Radbanditen unternahm er sogar Kurzurlaube in die Alpen und lernte deren Pässe mit dem Rennrad zu bezwingen, „obwohl ich das Prinzip anfangs überhaupt nicht verstanden habe“, wie Bülent Caliskan schmunzelnd hinzufügt. Auch war er im August 2021 mit von der Partie, als es galt, von Murr aus in die Toskana zu radeln, um bei einem Gedenktag in Sant’Anna di Stazzema dabei zu sein.

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Der sportliche Wandel ließ nicht lange auf sich warten: „Heutzutage kann es gar nicht hart genug sein“, sagt der aktive Rennradler, der inzwischen vier Räder in seinem Büro stehen hat, darunter ein Gravel-Bike und auch eines zum Bahnradfahren. Außerdem weist die Garderoben-Wand eine ganze Palette an Radklamotten auf – um für jedes Wetter gewappnet zu sein. „Da kann ich auch mal spontan aufs Rad steigen“, sagt Caliskan, der sich zudem an einer für ihn neuen Ernährungsform orientiert.

Das nächste Ziel ist die Teilnahme an Wettbewerben

Denn die Murrer Radbande hat sich die gesunde und tierfreie Ernährung ebenfalls auf die Fahnen geschrieben. „Für mich bedeutet das: kaum Softgetränke mehr, wenig Zucker und Schokolade, weniger tierische Kost.“ Dass die Coronapandemie vereitelt habe, an diversen Wettbewerben teilnehmen zu können, das ärgert den Radler dann aber doch. „Immerhin bin ich beim ,Tannheimer‘ mitgefahren, wenn auch nur privat mit ein paar Radbanditen“, sagt er grinsend und hofft nun darauf, dass er bald zur 24-Stunden-Deutschlandfahrt antreten kann. Bis dahin trainiert er im Winter verbissen auf dem Holzbahnoval in Niefern-Öschelbronn.

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