Unter Roger Norringtons Leitung eroberte das RSO ein Alleinstellungsmerkmal, das sich

Unter Roger Norringtons Leitung eroberte das RSO ein Alleinstellungsmerkmal, das sich gut verkaufte. Der neue Mann auf der Position des Chefdirigenten steht im nächsten Jahr für einen Generations- und einen ästhetischen Positionswechsel.

Von Susanne Benda

Die Karriere des Stéphane Denève (39) ist eine steile Kurve nach oben. Im fünften Jahr ist der Franzose jetzt Chefdirigent des Royal Scottish National Orchestra, seine Biografie führt mehr als 30 Kollektive auf, die er als Gast dirigierte, und wo immer er war, sind Musiker und Manager des Lobes voll. Nur in Deutschland ist Denève noch ein (nahezu) unbeschriebenes Blatt. Ab 2011 soll sich das ändern: Dann, gab der SWR am Mittwoch bekannt, wird der offenbar ausgesprochen charismatisch wirkende Mann, der schon mit zahllosen Stars der Klassikszene zusammen musizierte, als neuer Chefdirigent des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart Sir Roger Norrington beerben.

Dabei verdankt sich die Entscheidung für Stéphane Denève mehr dem Zufall als Kalkül: Für den Auftritt des RSO bei den Russ- Meisterkonzerten im vergangenen Oktober suchte man nach einer Absage einen Einspringer - und fand ihn in Denève, den man ohnehin einmal als Gast hatte verpflichten wollen. "In diesem einen Konzert", sagt jetzt der Manager der Radiosinfoniker, Felix Fischer, "war alles da, was andere Dirigenten, die wir im Blick hatten und ausprobierten, selbst in zwei Konzerten nicht hinbekamen. Viele von ihnen hatten nur eine Schablone, in die dann alles hineingepresst wurde - bei Stéphane Denève hat man dagegen gespürt, dass er gemeinsam mit den Musikern eine Vision entwickeln kann."

Die Musiker selbst begeistern sich nicht nur, sondern betrieben selbst die Verpflichtung ihres neuen Chefs mit einem "einmütigen klaren Votum". So jedenfalls formuliert es der RSO-Cellist und Orchestervorstand Fionn Bockemühl - und ergänzt: "Wir waren nicht an einem Punkt, an dem man in Panik verfällt, weil noch kein Dirigent gefunden ist, sondern haben ohne Druck entschieden." Stéphane Denève, beginnt er dann zu schwärmen, arbeite "sehr fokussiert, effektiv und inspirierend", und zudem habe er "sehr genaue Vorstellungen davon, wie das Orchester klingen soll. Er sucht nach zarten Tönen und investiert viel Zeit und Energie, um eine optimale Klangbalance zu erreichen."

Acht bis zehn Wochen Präsenz sollen Denève in seinen voraussichtlich auf drei bis fünf Jahre befristeten Vertrag geschrieben werden - laut Bockemühl reicht das für vier bis fünf Abonnementkonzerte; dies sei, sagt Manager Fischer, "mehr als bei Norrington" - und biete Zeit genug, um ein neues Profil des Orchesters zu schaffen und zu schärfen; das Repertoire soll sich im Bereich der romantischen Musik, aber auch in Richtung des 20. Jahrhunderts weiten.

Sein altes Profil - historisch informiertes Musizieren auf modernen Instrumenten - wird das RSO dann ablegen. "Wir sind", erklärt Felix Fischer diesen ästhetischen Richtungswechsel, "nicht angetreten mit dem Ziel, einen Nachfolger für Norrington zu finden, der den ,Stuttgart Sound" fortschreibt, sondern wollten eine charismatische Persönlichkeit finden - eben eine solche, wie das Orchester sie mit Gelmetti, Prêtre, Celibidache und mit Norrington hatte. Sie alle hatten eine Vision." Unter den Dirigenten, die Norringtons Stil hätten fortschreiben können, war, nachdem sich Thomas Hengelbrock beim NDR-Sinfonieorchester verpflichtet hatte, zuletzt keiner mehr, dem man zutraute, aus dem Schatten seines Vorgängers herauszutreten.

Der Orchestervorstand freut sich jetzt auf einen Dirigenten mit "sehr umfangreichem Repertoire", und er freut sich auch, "dass wir uns nicht verkaufen mussten, um einen großen Namen zu fischen, sondern dass Stéphane Denève selbst ein großes Interesse hat, nach Stuttgart zu kommen". Im Übrigen, sagt Bockemühl, führe der Neue am Pult doch ein bisschen fort, was man mit Roger Norrington verbinde, denn "er ist originell, und er hat eine sehr eigene Art, auf Menschen zuzugehen und das Publikum anzusprechen. Wir sind gespannt, welche unorthodoxen Vermittlungsideen sich Denève für Stuttgart ausdenkt. Der Stadt kann seine Frische nur guttun."