Allein auf weiter Flur: Carlos Sainz verteidigte im Mini auch auf der achten Etappe der Rallye Dakar am Montag seine Führung. Carlos Sainz gilt in der Rallye als wahre Legende. Foto: AFP/Franck Fife

Carlos Sainz ist 57 Jahre alt, doch der Spanier denkt nicht daran, die Hände vom Lenkrad zu lassen. Warum die Rallye-Legende noch immer durch die Wüste jagt, wo er doch mit dem spanischen König eine Flasche Wein trinken könnte.

Wadi ad-Dawasir - Der alte Mann hat nicht genug. Er war Rallye-Weltmeister 1990 und 1992, er ist mit 26 WM-Laufsiegen zweitbester Pilot in der ewigen Rangliste hinter Sebastien Loeb, er siegte bei der Rallye Dakar 2010 in einem VW und 2018 in einem Peugeot 3008. Carlos Sainzgeht stramm auf die 60 zu, aber er kann seine Finger noch nicht vom Lenkrad lassen, geschweige denn den Fuß länger als ein paar Sekunden vom Gas nehmen. Vor zwei Jahren blickte der Spanier in einem verklärten Augenblick in die Zukunft. „Ich bin 55, mal sehen, was die Zukunft bringt, wenn ich mich von der Dakar erholt habe“, sagte er. Es war wohl eine rhetorische Frage, eine, mit der er vor den Reportern mit seinem fortgeschrittenen Alter und seiner Leistungsfähigkeit kokettieren wollte. Denn „El Matador“ kann die Arena noch nicht verlassen; eine Arena, die nur für ihn gemacht scheint: die staubigen Offroad-Pisten, die unberechenbaren Sanddünen, die gefährlichen Schotterstrecken, die schwierigen Steinwüsten.

2020 nimmt Sainz zum 13. Mal an der Marathon-Wettfahrt teil. Nein, er nimmt nicht nur teil. Er fährt der Konkurrenz voraus. Nach der achten Etappe liegt der 57-Jährige im Mini des hessischen X-Raid-Teams in Führung, 6:40 Minuten vor Toyota-Pilot Nasser Al-Attiyah. „Wir kommen gut klar mit der Navigation, das Auto funktioniert sehr gut“, sagt der Herrscher in der Wüste, „aber wir rechnen stets mit Angriff von Nasser. Der ist ein Wüstenspezialist.“ Sainz müsste sich in einem Alter, in dem kaum ein anderer seines Jahrgangs noch Profisport betreibt, nicht mehr durch Sand wühlen, im Cockpit schwitzen und irgendwo im Nirgendwo die Gesundheit riskieren – der Tod von Motorradpilot Paulo Goncalves am Sonntag bestätigte, dass es die Rallye nicht immer gut meint mit den Mutigen.

Eigentlich wollte Carlos Sainz seine Karriere 2004 beenden

Doch wie soll sich einer wie Sainz gegen den Reiz des Risikos wehren? Rallye ist fest in seiner DNA verankert – da kann der Geist sich noch so sträuben. 2004 sagte er vor dem WM-Rallye-Lauf in Spanien, nun sei „der richtige Augenblick aufzuhören, denn ich will mein Leben verändern“. Er nehme sich mehr Zeit für die Familie. Es war ein vorschneller Gedanke. 2005 bestritt der Matador zwei WM-Läufe, aus Dankbarkeit gegenüber seinem Ex-Arbeitgeber Citroën. Mitte des Jahres gab er bekannt, dass er bei Volkswagen unterschrieben habe und er 2006 im Touareg bei der Rallye Dakar starten werde. „Das ist das, wonach ich gesucht habe“, sagte er.

Gesucht und gefunden. Zwei Gesamtsiege, 35 Etappenerfolge sowie einige heftige Unfälle und unzählige kleine Pannen später zählt der Vater des Formel-1-Piloten Carlos Sainz junior wie einst in der Rallye-WM zum Establishment der Dakar. Er ist die graue Eminenz, nicht allein wegen seiner Haarfarbe. „Ich habe alles erlebt“, sagt er, „ich kenne die kleinen Teams, ich kenne die großen Werkteams. Ich bin Hecktriebler gefahren, ich habe Allradautos gelenkt.“ Er kennt die Hochgefühle wie bei seinem Triumph 2010, als er mit dem knappsten Vorsprung (2:12 Minuten) den Gesamtsieg holte; er kennt die schmerzhaften Momente, als er 2015 den Motorradpiloten Laurent Moulin anfuhr, der mit einem Beinbruch ausschied. Er kennt alles, und doch kann Carlos Sainz es nicht lassen.

Sainz hat sein Jahrzehnten Dauerkarten für Real Madrid

Dabei könnte sich der Madrilene es sich gemütlich machen, sein Leben mit Ehefrau Reyes Vasquez genießen, die er seit mehr als 30 Jahren kennt, mit der er seit 1992 Jahren verheiratet ist und mit der er die drei Kinder Bianca (26), Carlos junior (25) und Ana (21) hat – am nötigen Geld, an spannenden Beschäftigungen und am gesellschaftlichen Ansehen mangelt es nicht. Carlos Sainz lebt am Stadtrand seiner Geburtsstadt Madrid in einem hübschen Anwesen, er besitzt 85 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt einen feudalen Landsitz mit 450 Hektar Land („Das Haus liegt wunderbar im Wald und ist ein Gegenpart zu Madrid“), er vertreibt sich die Zeit mit seiner Weinkellerei, die 20 000 Flaschen pro Jahr produziert. Er ist bei seinem Lieblingsclub Real Madrid ein gern gesehener VIP-Gast, wo er im Bernabeu-Stadion seit Jahrzehnten zwei Dauerkarten besitzt. „Ich saß schon als kleiner Bub mit meinem Vater auf exakt denselben Plätzen“, erzählte Sainz einmal, der aus wohlhabenden Verhältnissen stammt.

Der Rennfahrer könnte sich sogar mit König Juan Carlos auf ein Glas Wein zum Parlieren treffen, er zählt zum Freundeskreis der Familie – der Monarch soll sich in Sainz’ Anfangsjahren als „Mister King“ beim Rallye-Team beschwert haben, warum Sainz schlechteres Material als der Teamkollege bekomme. Bei Erfolgen meldet sich Juan Carlos oft persönlich beim nimmermüden Untertanen, womöglich klingelt dessen Handy am Freitag, wenn die Rallye Dakar in Qiddiyah zu Ende gegangen ist. Dass sich „El Matador“ nach einem dritten Dakar-Erfolg wirklich aus der Rallye-Arena verabschieden könnte, darauf sollte niemand sein Vermögen setzen. Womöglich will der alte Mann noch mehr.