Das Kultursministerium verspricht, den Schutz der Kitakinder vor Missbrauch zu verbessern. Foto: dpa

Erst ein Missbrauchsfall in einer evangelischen Kita in Heilbronn, dann der Verdacht sexuellen Missbrauchs in einem Kindergarten in Schwieberdingen: Das Kultusministerium holt jetzt den Rat von Experten ein.

Stuttgart - Zwei aktuelle Fälle des Verdachts, dass männliche Erzieher in Kitas Kinder sexuell missbraucht haben, hat das baden-württembergische Kultusministerium auf den Plan gerufen. Ende März war aufgeflogen, dass der Leiter eines evangelischen Kindergartens in Heilbronn ein Kind missbraucht und kinderpornografisches Material besessen haben soll. Am Dienstag ist ein ähnlich gelagerter Fall in Schwieberdingen (Kreis Ludwigsburg) bekannt geworden: Ein Erzieher wurde fristlos aus einem Bosch-Kindergarten entlassen wegen des Verdachts, in fünf Fällen Kinder missbraucht zu haben. Auf Anfrage unserer Zeitung kündigte eine Sprecherin des Kultusministeriums in Stuttgart an, dass es reagieren werde.

Geplant wird ein Frühwarnsystem

„Das Kultusministerium nimmt die aktuellen Fälle zum Anlass, um in der Arbeitsgemeinschaft Frühkindliche Bildung gemeinsam mit allen darin vertretenen Partnern über Maßnahmen zum Schutz gegen sexuellen Missbrauch zu beraten.“ Die Arbeitsgemeinschaft war eingerichtet worden, um einen regelmäßigen Austausch zwischen dem Ministerium, den Trägerverbänden der Kitas und dem Kommunalverband für Jugend und Soziales (KVJS) im Landesjugendamt zu gewährleisten.

Erst im vergangenen Dezember hat der für die KVJS zuständige Sozialminister Manne Lucha (Grüne) ein Kinderschutzkonzept unterzeichnet, das mit Hilfe von besserer Fortbildung in den Jugendämtern, neuer Regionalkonferenzen sowie eines Frühwarnsystems („Ampelsystem“) auf aktuelle Herausforderungen beim Kinderschutz reagieren soll – denn die Zahl der Verdachtsfälle steigt. Die 8784 Kindertagesstätten in Baden-Württemberg, die unter der Aufsicht des KVJS stehen, haben im vergangenen Jahr über 203 „meldungspflichtige Ereignisse“ berichtet. Davon entfielen zwar 99 auf bauliche Veränderungen, aber 104 Meldungen betrafen Vorfälle mit einer „von Mitarbeitern ausgehenden Gefahr für eine Beeinträchtigung des Kindeswohls“. Dies könne sexueller, körperlicher, aber auch verbaler oder seelischer Missbrauch sein, sagte die Sprecherin.

Die Spanne reiche von „mal hart festgehalten“ über „Mobbing“ bis hin zum sexuellen Missbrauch durch Erzieher. Es liege „eine deutliche Steigerung“ der Fallzahlen im Vergleich zum Vorjahr vor, wie sie einem Bericht entnehme, genau beziffern könne sie die konkrete Steigergung aber nicht. Worauf diese Zunahme zurückzuführen sei, das sei unbekannt. Möglich sei auch eine größere Sensibilisierung und eine neue Wahrnehmung von Vorfällen, die zu der Erhöhung geführt haben könnte.

Der Verdächtige hat sich im Kita-Alltag ganz normal verhalten

In Schwieberdingen sitzt der Schock über den Vorfall im Bosch-Kindergarten noch tief. Der wegen des mutmaßlichen sexuellen Missbrauchs von Kleinkindern beschuldigte 20-Jährige hat sich nach Worten seiner Vorgesetzten ganz normal im Kita-Alltag verhalten. „Weder auffällig noch unauffällig“, sagte die Leiterin des privaten Bosch-Kindergartens, Julia Uebachs, am Freitag. Der junge Mann soll sich an fünf in der Tagesstätte betreuten Kindern im Alter von ein und zwei Jahren vergangen haben.

Der Verdächtige schweigt zu den Vorwürfen. „Alle waren entsetzt“, sagte Uebachs über die Reaktionen der Eltern, die ihre Kinder in der Kita betreuen lassen. Etwa 80 Krippenkinder besuchten die Einrichtung. Der 20-Jährige habe im Schuljahr 2016/17 seine Ausbildung zum Erzieher in dem Haus begonnen, berichtete Uebachs. Bei seiner Arbeit sei er auch mit Kindern alleine gewesen, so wie es in anderen Kitas ebenfalls der Fall sei. Die Polizei sei am 14. März in das Haus gekommen und habe nach dem Mann gesucht. An dem Tag sei er aber zur Ausbildung in der Schule gewesen. „Ich habe ihn gesucht“, sagte Uebachs. Schließlich habe sie den 20-Jährigen auf der Straße getroffen. „Ich habe ihm die Schlüssel sofort abgenommen.“ Zu den Vorwürfen der Ermittler habe er sich damals nicht geäußert. Dem Mann sei sofort gekündigt worden.

Kinderpornografische Bilder auf Datenträgern des Mannes

Nach Polizeiangaben sind die Ermittler derzeit damit beschäftigt, Datenträger des Verdächtigen auszuwerten. Darauf sollen von dem Mann angefertigte kinderpornografische Bilder von fünf in der Tagesstätte betreuten Kindern sein. Der Mann wurde am vergangenen Freitag festgenommen.

Vor dem Hintergrund des Schwieberdinger Falls hat der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung mehr Personal und Geld für die Vorbeugung in den Kitas gefordert. „Wir setzen in der Prävention nicht alle Möglichkeiten ein, Kinder zu schützen. Der Schaden danach ist viel größer“, sagte Johannes-Wilhelm Rörig am Freitag. In den 55 000 Kitas in Deutschland gebe es längst nicht überall Schutzkonzepte.

Eine Sprecherin des Kultusministeriums in Stuttgart sagte, dass die Gesellschaft nach wie vor den Anteil der männlichen Erzieher in den Kitas erhöhen wolle, stehe „außer Frage“. Ähnlich äußerte sich Annegret Wipper vom Dachverband der kleinen freien Kita-Träger in Tübingen: „Es wäre falsch, alle Männer zu kriminalisieren.“ Sie könnten „sehr fähige Erzieher“ sein. Auch Frauen könnten im übrigen Missbrauch verüben: „Wir raten den Trägern, die Mitarbeiter zu schulen, damit sie erkennen, wann das Kindeswohl gefährdet ist.“ Bei Einstellungen von Erziehern müssten diese ein Führungszeugnis vorlegen, generell müssten Erzieher für das Thema „sensibilisiert werden“.