Der Diözese Rottenburg-Stuttgart sind 94 Missbrauchsopfer seit 1945 bekannt. Foto: dpa

Eine Kommission der Diözese Rottenburg-Stuttgart legt Bericht zu sexuellen Missbrauch vor.

Stuttgart - Die Diözese Rottenburg-Stuttgart hat seit 2002 Missbrauchsvorwürfe gegen 54 Priester und andere kirchliche Mitarbeiter überprüft. Zwei Pfarrer wurden aus dem kirchlichen Dienst entlassen. In den meisten Fällen ging es um Vorfälle aus den Jahren 1960 bis 1990.

Vor gut einem Jahr kam der Stein ins Rollen: Nachdem der Leiter des Berliner Canisius-Kollegs bekanntgemacht hatte, dass es an dem kirchlichen Gymnasium mehrere Missbrauchsfälle durch Ordensleute gegeben hatte, trauten sich auch anderswo Männer und Frauen, über Missbrauch durch Geistliche und andere kirchlichen Mitarbeiter zu sprechen. In der Diözese Rottenburg-Stuttgart hätten sich von Februar bis August 2010 deutlich mehr Betroffene gemeldet als in den acht Jahren zuvor, berichtete Robert Antretter, Vorsitzender der Kommission sexueller Missbrauch, am Donnerstag bei der Vorlage des Untersuchungsberichts in Stuttgart. Bischof Gebhard Fürst hatte die Kommission bereits 2002 eingerichtet, nachdem Missbrauchsvorfälle die katholische Kirche in den USA erschüttert hatten.

Dem Bericht zufolge sind der Diözese seit 1945 insgesamt 94 Missbrauchsopfer bekannt. 50 Männer und 20 Frauen hätten sich zwischen Oktober 2002 und März 2011 zu erkennen gegeben. Den meisten sei es darum gegangen, "sich endlich die Last von der Seele reden zu können", sagte Antretter. In den wenigsten Fällen hätten die Betroffenen finanzielle Entschädigung gefordert. Dennoch werde sich die Diözese der Deutschen Bischofskonferenz anschließen, die Opfern ein pauschales Schmerzensgeld von 5000 Euro bezahlen will. Bisher sei elf Personen bei der Finanzierung einer Therapie geholfen worden.

Beschuldigte sind gestorben

Die Kommission hat sich seit 2002 mit Vorwürfen gegen 54 Personen befasst. Die meisten Vorfälle datierten aus den Jahren 1960 bis 1990, sagte Antretter. 22 Beschuldigte seien bereits verstorben. 39 Fälle habe die Kommission mittlerweile abgeschlossen, 15 Verfahren seien noch offen. Auf Anordnung des Bischofs mussten vier Beschuldigte sofort nach Bekanntwerden der Vorwürfe ihre pastoralen Aufgaben ruhen lassen. In einem Fall sei diese Entscheidung aufgehoben worden. Zwei Beschuldigte hätten von sich aus darum gebeten, von diesen Aufgaben entbunden zu werden. Zwei Priester wurden aus dem kirchlichen Dienst entlassen, sechs Priester erhielten Ermahnungen mit Auflagen, etwa, Distanz zu Kindern zu halten. Neun Beschuldigungen müssten "nach heutigen Erkenntnissen als unbegründet gelten", so Antretter.

"Ich schäme mich für die Täter in unserer Kirche und auch in unserer Gesellschaft", sagte Bischof Fürst. Er bitte die Opfer "persönlich und im Namen der Diözese um Vergebung". Der "absolut überwiegende Teil der Priester und Diakone arbeite jedoch "mit überdurchschnittlichem Einsatz und in persönlicher Integrität" und verdiene es nicht, "einem Generalverdacht ausgesetzt zu werden".

Um Kinder und Jugendliche besser zu schützen, hat die Diözese kürzlich ein neues Gesetz verabschiedet. Haupt- und Ehrenamtliche in der Kinder- und Jugendarbeit sollen besser informiert werden und künftig ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen, sagte Paul Hildebrand, Leiter der Hauptabteilung Pastorales Personal der Diözese. Zudem spiele die Frage der Eignung für den Priesterberuf und die Ehelosigkeit bei der Priesterausbildung eine wichtige Rolle.

Der Missbrauchsskandal hatte im vergangenen Jahr zu einer Austrittswelle geführt. In der Diözese Rottenburg-Stuttgart kehrten 18000 Katholiken der Kirche den Rücken, 50 Prozent mehr als 2009. Die Kirchenkrise müsse als Chance für Reformen genutzt werden, fordert Christian Weiser von der Kirchenvolksbewegung. Bischof Fürst kündigte an, der neue Diözesanrat, dem Priester und Laien angehören, werde sich mit diesen Fragen intensiv befassen.