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Mit Zuschüssen vom Staat gegen Entlassungen – doch nicht immer floss das Geld zu Recht. 

Stuttgart - Mit Kurzarbeit überbrücken Betriebe schlechte Zeiten. Dem Unternehmer erspart das Personalkosten, den Arbeitnehmern schlimmstenfalls die Kündigung. Oder auch nicht: Nach monatelanger Kurzarbeit entlässt manche Firma jetzt trotzdem. Das nährt den Verdacht, dass Probleme lediglich aufgeschoben wurden - auf Kosten der Steuerzahler.

Beim baden-württembergischen Getriebehersteller Getrag ist die Kurzarbeit vor wenigen Tagen ausgelaufen. Gerichte beschäftigt die Arbeitsverkürzung aber noch Monate: Im Sommer 2009 ordnete das Unternehmen für 141 Beschäftigte in Ludwigsburg Kurzarbeit null an, insgesamt anderthalb Jahre lang sollten sie nicht arbeiten und Kurzarbeitergeld beziehen. Dagegen klagten einige ältere Betroffene: Sie werfen dem Unternehmen vor, mittels Kurzarbeit Mitarbeiter der rentennahen Jahrgänge zum Ausscheiden bewegen zu wollen. Von den 141 Kurzarbeitern am Standort war die Hälfte älter als 59 Jahre.

Das Arbeitsgericht Stuttgart gab einem 64-jährigen Getrag-Beschäftigten recht, in der Urteilsbegründung heißt es, dass "eine Wiederaufnahme der vertraglichen Arbeit ernsthaft nicht angedacht wurde". Stattdessen habe der Getriebehersteller älteren Mitarbeitern offen angeboten, 18 Monate konjunkturelles Kurzarbeitergeld zu beziehen, danach 12 Monate Transferkurzarbeitergeld in einer Transfergesellschaft und anschließend 24 Monate Arbeitslosengeld bis zur Rente. Fazit des Gerichts: Der Arbeitsausfall war keineswegs nur konjunkturell vorübergehend, sondern schon zum Zeitpunkt des Abschlusses der Kurzarbeit "struktureller Art". Anspruch auf konjunkturelles Kurzarbeitergeld haben Firmen allerdings nur bei einer erheblichen, vorübergehenden Flaute.

Diese Woche hat Getrag nun mitgeteilt, dass nach 18 Monaten Kurzarbeit für 248 Mitarbeiter im Südwesten keine Perspektive zur Weiterbeschäftigung besteht. 90 davon waren bisher in Ludwigsburg beschäftigt, weitere rund 200 Beschäftigte am Standort arbeiten mittlerweile woanders. Betroffene sehen sich in ihrer Kritik an der Arbeitszeitverkürzung bestätigt: "Getrag hat Kurzarbeit null ausgenutzt, um den Kündigungsschutz für Ältere zu umgehen und die Restrukturierung zu finanzieren", klagt einer, der seine Wiedereinstellung erstreiten will. "Das ist ganz klar Sozialbetrug." Getrag weist die Vorwürfe zurück. Gegen das Stuttgarter Urteil hat das Unternehmen Berufung eingelegt, ähnliche Verfahren vor dem Ludwigsburger Arbeitsgericht hat die Firma gewonnen. Ob der Getriebehersteller Kurzarbeitszuschüsse der Arbeitsagentur zurückgezahlt hat, dazu gibt das Unternehmen keine Auskunft.

Bei Kurzarbeit null übernimmt die Arbeitsagentur zwischen 60 und 67 Prozent der Gehälter

Nicht nur bei Getrag hat die Brücke nicht gehalten: Ebenfalls diese Woche eröffnete der Autozulieferer Allgaier in Uhingen, dass 110 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz verlieren. Ende Oktober hatte der Stuttgarter Mahle-Konzern erklärt, sein Werk im fränkischen Alzenau noch dieses Jahr zu schließen. Ursprünglich hatte die Arbeitsagentur für die 320 Beschäftigten bis Juni 2011 Kurzarbeitergeld genehmigt. Nach einem "Report"-Bericht vom Juli über drei Firmen schaute die Behörde aber offenbar genauer hin. "Hier werden Arbeitsplätze vernichtet, und der Staat kriegt auch noch Geld dafür", schimpfte ein Mahle-Beschäftigter in der TV-Sendung. Überschrieben war sie mit dem Titel "Erst kassieren, dann kündigen: Der dubiose Einsatz von Kurzarbeit". Die Firma erklärte zur Schließung von Alzenau schlicht, dass die Voraussetzungen für Kurzarbeit zuletzt nicht mehr erfüllt waren. Bereits Monate zuvor waren Maschinen von Alzenau nach Rottweil, Polen und China verlagert worden, während die Mitarbeiter mit Kurzarbeitergeld zu Hause saßen. Bei Kurzarbeit null übernimmt die Arbeitsagentur zwischen 60 und 67 Prozent der Gehälter.

Ob das genügt, um von Jobabbau auf Kosten der Allgemeinheit oder Betrug am Staat zu sprechen, kann nur ein Gericht entscheiden. Dass Firmen in der Krise nach jedem Strohhalm greifen, dürfe man ihnen erst mal nicht vorwerfen, meint Hilmar Schneider vom Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit. Skeptisch sieht er allerdings die Verlängerung der Kurzarbeit auf bis zu 24 Monate, die Firmen ab Juni 2009 nutzen konnten. "Unternehmen, die in ernsthaften Schwierigkeiten waren, könnten versucht gewesen sein, Zuschüsse der Arbeitsagentur zu nehmen, obwohl sie keinen Ausweg gesehen haben", sagt Schneider. Dadurch gewinne der Betrieb Zeit und spare Lohnkosten. Allerdings sei es zwei Jahre im Voraus schwer zu beurteilen, "ob es mit der Überbrückung durch Kurzarbeit getan ist oder ob das böse Ende noch kommt". Entsprechend schwer dürfte es auch den Arbeitsagenturen gefallen sein, die Voraussetzungen für konjunkturelles Kurzarbeitergeld zu prüfen. Schneider: "Die waren teilweise völlig überlastet."

Im Fall von Getrag hat sich der Stuttgarter Fachanwalt für Arbeitsrecht, Uwe Melzer, sein Urteil gebildet. In Ludwigsburg habe die Kurzarbeit im Ergebnis dazu geführt, dass vielen Älteren gekündigt wurde: "Dass Kurzarbeitergeld bezogen wurde, obwohl die Kündigungen festgestanden haben dürften, ist ein Skandal."

Ein Indiz dafür sieht der Anwalt darin, dass das Unternehmen all jene Kurzarbeiter bestraft habe, die nicht anschließend in eine Transfergesellschaft eintreten wollten. Sie erhielten im Unterschied zu Wechselwilligen über das Kurzarbeitergeld hinaus keine Gehaltsaufstockung durch den Arbeitgeber. "Den Menschen wurde ein Butterbrot angeboten, damit sie in die Transfergesellschaft gehen", schimpft Melzer. Kommende Woche beschäftigt die Entlohnungspraxis das Ludwigsburger Arbeitsgericht.

Aus Sicht der IG Metall in Baden-Württemberg sind die jüngsten Entlassungen bei den Autozulieferern Einzelfälle. Zwar klemme es nach wie vor bei einigen Firmen. Insgesamt sei die Lage aber "durchaus positiv", sagte ein Sprecher. Kurzarbeit habe es den Firmen ermöglicht, mit möglichst vielen Beschäftigten durch die Krise zu kommen. In der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg arbeiten derzeit noch rund 30 000 Beschäftigte kurz. Weiteren Jobabbau erwartet der Gewerkschaftssprecher aus heutiger Sicht nicht.

Das sieht Arbeitsmarktforscher Schneider anders. Die meisten Firmen, die Kurzarbeit in Anspruch genommen haben, seien inzwischen zum normalen Geschäft zurückgekehrt. Wer das Instrument jetzt noch benötige, habe vermutlich "kaum noch Hoffnung". Bei solchen Firmen sei zu erwarten, "dass in größerer Zahl über Jobabbau nachgedacht wird". Oder schon wurde: Auf den "Report"-Beitrag meldeten sich zahlreiche Zuschauer, denen es ähnlich ergangen ist. Tenor: Mit Hilfe des Kurzarbeitergelds verlagerten Unternehmen Jobs ins billige Ausland. "Langjährige Beschäftigte werden auf Kosten der Allgemeinheit entsorgt."