Seniorenwohnanlage in Rastatt Foto: dpa

Unfassbares Martyrium einer Seniorin in Baden-Württemberg: Ein Bekannter soll die Frau rund 24 Stunden in seiner Gewalt gehabt und schwer missbraucht haben. Die Motive der Tat liegen noch im Dunkeln.

Unfassbares Martyrium einer Seniorin in Baden-Württemberg: Ein Bekannter soll die Frau rund 24 Stunden in seiner Gewalt gehabt und schwer missbraucht haben. Die Motive der Tat liegen noch im Dunkeln.

Baden-Baden/Stuttgart - Nach dem Missbrauch einer Frau in einer Altenwohnanlage in Rastatt stellt sich die Frage: Wie sicher sind die Altenheime in Baden-Württemberg? Fast 24 Stunden lang hat ein 42-Jähriger eine 80 Jahre alte Bewohnerin in seiner Gewalt gehabt und sexuell missbraucht, wie am Donnerstag bekannt wurde. Die Frau konnte schließlich entkommen. Der mutmaßliche Täter, ein Bekannter oder sogar entfernter Verwandter, ist in Haft.

Die Hintergründe der Tat sind noch unklar. Die Frau lebt eigenständig in einer betreuten Wohnung. Sie soll während ihres stundenlangen Martyriums sogar Kontakt mit Leuten der Anlage gehabt haben, rief aber offenbar aus Angst nicht um Hilfe – der Täter hatte sie mit einem Messer bedroht.

„Wir sind alle geschockt“, sagte am Donnerstag eine Sprecherin des Deutschen Roten Kreuz (DRK) in Baden. Einen solchen Fall habe es noch nie in einer Seniorenanlage des Verbandsgebiets gegeben, erklärte sie. Die Frau soll den Täter selbst in ihre Wohnung gelassen haben. Er hatte laut Staatsanwaltschaft Baden-Baden Klebeband und ein Messer dabei. Der Mann bedrohte die Seniorin, zerschnitt ihre Kleidung mit dem Messer und zwang sie den Ermittlern zufolge zwischen Montag und Dienstag „zur Vornahme und Duldung zahlreicher sexueller Handlungen“.

Der Horror endete für die Frau erst, als der betrunkene und übermüdete Täter eingeschlafen war. Das Opfer flüchtete unbekleidet mit dem Rollator aus der Wohnung. Wie es passieren konnte, dass trotz einiger Kontakte nach außen niemand das schreckliche Geschehen bemerkte, war zunächst unklar. Laut DRK gibt es mindestens einmal am Tag einen Kontrollgang in der Anlage, bei dem an die Tür der Senioren geklopft wird. Ob sich das Geschehen dazwischen oder in der Zeit abgespielt hat, wurde nicht bekannt.

Die Frau war auch noch zwei Tage nach der Tat im Krankenhaus; körperlich habe sie keine schweren Verletzungen. „Über die psychischen Folgen können wir aber noch nichts sagen“, sagte die DRK-Sprecherin. Die Wohnung des Opfers wurde inzwischen von der Staatsanwaltschaft versiegelt. Einzelheiten wurden aus ermittlungstaktischen Gründen nicht bekannt. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 42-Jährigen Geiselnahme und schwere Vergewaltigung vor. Das Gesetz sieht für solche Taten Haftstrafen von fünf bis 15 Jahren vor.

Peter Ruf von der Diakonie Baden-Württemberg betont, dass Heime grundsätzlich keine abgeschlossenen Einrichtungen seien. Die Bewohner von der Außenwelt abzuschotten, sei heute keine gängige Praxis mehr. Der Trend gehe dahin, Heime so zu gestalten, dass eine Begegnung zwischen Bewohnern und Besuchern möglichst einfach ist. Man freue sich darüber, wenn die Senioren Besuch empfingen und möchte das fördern. Es gebe zwar meist eine Pforte, an der sich Besucher anmelden. Eine Einlasskontrolle gebe es aber nicht.

Aus Sicht des Heimrechts sind in diesem Fall keine Konsequenzen zu erwarten. Da die Frau in einer betreuten Wohnanlage und nicht in einem Altenheim untergebracht war, gilt die staatliche Aufsichtspflicht nicht, sagt Anna Zaoralek aus dem Sozialministerium. Der Vorfall sei unter rechtlichen Gesichtspunkten wie ein Überfall auf eine private Wohnung zu werten.

Ein ähnlicher Fall hatte sich 2013 in Heidelberg ereignet. Ein 28-Jähriger war nachts in ein Altenheim geschlichen und hatte drei Seniorinnen sexuell missbraucht. Die Frauen waren zum Tatzeitpunkt 69, 76 und 99 Jahre alt. Das Landgericht Heidelberg verurteilte den psychisch kranken Täter zu vier Jahren und drei Monaten Haft.

In Stuttgart wurde in den vergangenen 13 Jahren lediglich ein Fall sexuellen Missbrauchs in Altenheimen vor Gericht verhandelt. Einem 49-jährigen Krankenpfleger war 2001 vorgeworfen worden, er habe eine 81 und eine 84 Jahre alte Dame bedrängt und unsittlich berührt. Die Frauen hatten die Heimleitung verständigt und Anzeige erstattet, allerdings unterschieden sich die beiden Täterbeschreibungen stark. Zudem soll der Angeklagte, Angestellter eines externen Pflegedienstes, am Tattag frei gehabt haben, so dass er letztendlich freigesprochen wurde.

Beim städtischen Eigenbetrieb „Leben& Wohnen“, der in Stuttgart neun Seniorenheime betreibt, verweist Geschäftsführerin Sabine Bergmann-Dietz auf den Hausnotruf: „Damit ist trotz der geschützten Häuslichkeit gewährleistet, dass sofort Kontakt aufgenommen wird.“ Wenn Gefahr in Verzug sei, werde auch ohne Alarm gehandelt.

Das Pflegepersonal hält sich „an ein klares Verfahren“, sagt Helga Hoffmann, Personalratsvorsitzende des städtischen Betriebs: „Wenn jemand seine Tür nicht öffnet, wird die Zentrale angerufen. Wir nennen dann einen Zeitpunkt, zu dem wir es noch mal versuchen. Bleibt die Tür dann immer noch zu, verständigen wir Angehörige und Kontaktpersonen, zuletzt aber die Polizei.“ Falls sich die Pflegerinnen einer kritischen Situation gegenüber sehen, können sie einen Alarmknopf drücken. Trotz allem: „Ich habe das Gefühl, dass unsere Bewohner sehr behütet leben“, sagt Hoffmann.