Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit einer Maske in den Landesfarben schwarz und gelb. Foto: dpa/Christoph Schmidt

Der Regierungschef warnt: Ob es Mut war oder Verwegenheit, weiß man erst hinterher. Der Grünen-Politiker zeigt sich „hochgradig beunruhigt“ wegen der Demo auf dem Wasen.

Stuttgart - Ernst und verschlossen blickt er drein, nicht ein Anflug von Lächeln. Ministerpräsident Winfried Kretschmann trägt augenscheinlich schwer an der Verantwortung, die in diesen Tagen auf ihm lastet. Die Wirtschaft dringt zunehmend auf Lockerung des Corona-Korsetts, doch die Gefahren der Pandemie sind noch lange nicht gebannt – der Grünen-Regierungschef steht im Kreuzfeuer.

Da könnte die Pressekonferenz an diesem Dienstag ein Lichtblick sein, eine willkommene weitere Stufe zur Normalität. Vergangene Woche schon hat das Landeskabinett wieder real getagt anstatt wie lange Zeit zuvor nur über Videoschalten. Nun trifft die Landesregierung erstmals auch wieder direkt mit Vertretern der Medien zusammen.

Natürlich tragen die Journalisten Schutzmasken, die Minister – neben Kretschmann sind auch Edith Sitzmann (Finanzen), Nicole Hoffmeister-Kraut (Wirtschaft) und Manne Lucha (Soziales) dabei – haben trotz großen Sicherheitsabstands darum gebeten. Und natürlich ist nur eine kleine Runde hier im Medienzentrum des Landtags versammelt, wo ansonsten zu dieser Stunde dichtes Gedränge herrscht. Doch Kretschmann blickt ernst und verschlossen drein, auch als er den gelben Mund- und Nasenschutz abgenommen hat.

Bericht des Innenministers

„Ich bin hochgradig beunruhigt“, sagt er über einen mündlichen Bericht, den ihm am Morgen Innenminister Thomas Strobl (CDU) über die jüngste Großdemo auf dem Stuttgarter Wasen gegeben hat. Es könne doch nicht sein, dass die Menschen im ganzen Land peinlich genau die Corona-Schutzvorschriften einhielten, dann aber bei Gegnern des Lockdowns ein Infektions-Hotspot entstehe, wettert der Regierungschef.

In Bad Cannstatt waren am Samstag gut 10 000 Demonstranten zusammengekommen, um gegen die Corona-Verordnung und gegen alles Mögliche zu protestieren. Die Abstandsregeln wurden offenbar nicht überall eingehalten. Strobl soll ihm den Bericht jetzt schriftlich geben – als Diskussionsgrundlage und als Entscheidungshilfe für die Gerichte, wie Kretschmann anfügt. Offenbar gibt es ein juristisches Nachspiel.

Man wisse halt noch viel zu wenig über die Krankheit, räsoniert er dann wie zur Rechtfertigung seines vorsichtigen Kurses. Wann ist man immun? Welche Langzeitschäden gibt es ? Und wie steht es um die Übertragungsgefahr bei Kindern? Kretschmann, der Philosoph, weiß, dass er nichts weiß. Zumindest auf letzte Frage hofft die Landesregierung aber noch in dieser Woche eine Antwort zu erhalten, wenn die von ihr in Auftrag gegebene Studie zu Corona-Infektionen bei Kindern vorliegt. Wenn man ihm vorhält, dass selbst Wissenschaftler uneins sind über die Wirksamkeit der Maskenpflicht, zuckt der studierte Biologe mit den Achseln und sagt: „Ich halte mich an den Mainstream, nicht an die Dissidenten.“ Um dann halblaut hinzuzufügen, in der Wissenschaft könne sehr wohl auch der Dissident Recht haben.

„Selbsternannte Experten“

Das meiste, was am Samstag auf dem Wasen gepredigt wurde, kann er trotzdem nicht teilen. Er appelliert vielmehr an die Menschen, sich nicht „von selbst ernannten Experten beirren“ zu lassen. Die Lockerungen seien doch nur möglich, weil die Bürger sich verantwortungsvoll gezeigt hätten. „Nur deswegen können wir uns ein Stück Mut leisten“, zitiert er die Bundeskanzlerin – um säuerlich hinzuzufügen: „Ob es Mut war oder Verwegenheit, weiß man erst hinterher.“ Vorsicht, Umsicht und Rücksicht seien jedenfalls auch künftig nötig.

Notfalls gibt es ja auch noch die Notbremse, den regionalen Schutzmechanismus, den die Kanzlerin den auf Lockerung drängenden Ministerpräsidenten abgerungen hat: Treten in einem Land- oder Stadtkreis innerhalb einer Woche mehr als 50 Infektionen bei 100 000 Einwohnern auf, herrscht Alarmstufe Rot. Dann müsse man die Ursache herausfinden und „beschränkende Maßnahmen“ ergreifen, sagt Kretschmann, bleibt aber noch im Vagen. Erst will er das Ganze mit Landräten und Oberbürgermeistern bereden.

Später ergänzt man im Staatsministerium, man werde wohl schon bei 30 bis 35 Infizierten einschreiten. Dann springe die Ampel schon auf Gelb. Gehäufte Corona-Infektionen wie zuletzt bei Arbeitern von Schlachtbetrieben, die sehr beengt leben müssen, soll es dann nicht mehr geben.