Erstmals referiert ein baden-württembergischer Ministerpräsident vor der Synode. Winfried Kretschmann verteidigt die Abschiebungen nach Afghanistan und die gleichgeschlechtliche Ehe. Doch er spricht auch über die Kraft, die der Glauben ihm gibt.

Reutlingen - Premieren sind in der altehrwürdigen Synode der evangelischen Landeskirche Württembergs selten. Am Freitagnachmittag aber ist es so weit: Ministerpräsident Winfried Kretschmann referiert über die „Aktualität der Rechtfertigungslehre für unsere Gesellschaft“. So etwas gab es noch nie, doch das Reformationsjubiläum macht es möglich.

Lediglich zwei baden-württembergische Ministerpräsidenten haben bisher vor der Vertretung von rund 2,1 Millionen Protestanten geredet: Lothar Späth und Günter Oettinger brachten es freilich nur auf ein Grußwort. Der Grüne Kretschmann, der zum Zentralkomitee der Deutschen Katholiken gehört, nimmt sich mehr Zeit. Rund eine dreiviertel Stunde zeigt er nicht nur auf, welche Bedeutung die Botschaft von der unverdienten Gnade Gottes allgemein, vor allem aber welche Bedeutung sie für ihn und für seine Politik hat.

Dabei wird deutlich, dass der Glaube ihm Kraft und Mut schenkt, Risiken einzugehen und Misserfolge zu verarbeiten. „Wenn ich als Politiker scheitere, kann ich keine Gnade vom Wähler erwarten“, sagt der Ministerpräsident. Da zählten nur Ergebnisse. Als Christ dürfe er dagegen hoffen, dass er nicht vor Gott und seinen Lieben scheitere. „Das hat für mich etwas sehr Befreiendes und Entlastendes“, bekennt der 69-Jährige.

„Ich bin nicht der König von Baden-Württemberg

Dass Christentum und Politik aber nicht immer konfliktfrei miteinander zu verbinden sind, hat Kretschmann – wie er ausführt – bei den Abschiebungen nach Afghanistan erfahren. Die waren aus der Kirche zum Teil heftig kritisiert worden. Nun rechtfertigt sich der Ministerpräsident für sein Vorgehen. Er sei da an die Entscheidungen des Bundes und die Urteile der Gerichte gebunden. „Was ich persönlich von diesen Abschiebungen halte, ist erst mal nicht entscheidend.“ Er sei „nicht der König von Baden-Württemberg, sondern nur der Ministerpräsident“, sagt Kretschmann, um die Grenzen seiner Macht zu zeigen.

Ansonsten spricht der Landesvater den Synodalen oft aus dem Herzen. So streicht er die befreiende Wirkung des Glaubens heraus, beschwört die Verantwortung für die Gesellschaft und betont die Würde aller Menschen – unabhängig von ihrer Leistung, ihrer Abstammung oder ihres „Marktwertes“. Er verteidigt aber auch die „Ehe für alle“, die der Bundesrat kurz zuvor wie schon der Bundestag abgesegnet hat – die aber viele konservative Christen in Württemberg ablehnen. Das freilich tut der Freude der Synode über den hohen Besuch keinen Abbruch. Das Kirchenparlament dankt Kretschmann mit lang anhaltendem Applaus im Stehen und einem Strohhut als Geschenk.

Mitgliederverlust wird auf die Einnahmen durchschlagen

Zuvor hatte die Synode den zweiten Nachtragshaushalt 2017 beschlossen. Der hat ein Volumen von mehr als zehn Millionen Euro. Davon fließt das meiste Geld in langfristige Projekte. Zusätzliche Mittel gibt es zum Beispiel für die Stuttgarter Asylpfarrstelle und das Bibelmuseum. Knapp 700 000 Euro sind für die Verlängerung der Projektstelle „Innovatives Handeln und Neue Aufbrüche“ bis 2022 vorgesehen. Damit sollen Neuerungen in Kirchengemeinden gefördert werden. Angesichts des hohen Kirchensteueraufkommens kann die Kirche das gut finanzieren. Allerdings wies der Finanzdezernent Martin Kastrup auch auf Risiken in der Zukunft hin. So werde der Mitgliederverlust wohl auf die Einnahmen durchschlagen. Dafür gelte es Vorsorge zu treffen. Kastrup zeigte auch, dass die niedrigen Zinsen es nötig machten, mehr Geld für die Pensionen der in den Ruhestand gehenden Pfarrer zurückzulegen.