Hält nichts von Patentrezepten gegen die Flüchtlingskrise: Rainer Stickelberger. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Zuhören, erklären, standhalten. Mit diesem Kurs geht Justizminister Rainer Stickelberger durch die Flüchtlingskrise. Und er glaubt, dass die Bevölkerung für die aktuelle Lage Verständnis hat.

Stuttgart - Wer dem Volk aufs Maul schauen will, geht zum Winzerfest. „Dort sagen die Leute nicht erst beim dritten Glas, was sie denken“, weiß Rainer Stickelberger aus Erfahrung: Der Justizminister stammt aus Lörrach, besucht solche Ereignisse also aus Neigung. Am Wochenende war er wieder dort, und natürlich ging es um Flüchtlinge. Es kämen zu viele, man könne doch nicht allen Unterkunft bieten, hielt man dem SPD-Mann da vor.

 

Jetzt sitzt er am Konferenztisch unserer Zeitung und bekennt: „Wenn ich das dauernd höre, frage ich mich schon: Was können wir tun?“ Ein Patentrezept hat auch der 64-Jährige nicht. Er glaubt aber zu wissen, was die Politik vermeiden sollte: die Ängste der Menschen so auf den Sockel zu heben, dass alles andere dahinter verschwindet. Ein Kampfthema dürfe schon gar nicht daraus werden. Sonst ende alles wie 1992, als die Rechtsradikalen daraus Honig sogen.

Das klingt einigermaßen hilflos, und das nachgeschobene „Wir müssen das gemeinsam angehen“ verstärkt diesen Eindruck noch. Doch natürlich kennt Stickelberger die Stellschrauben, und er würde schon gern an der einen oder anderen drehen – auch wenn die Vorschläge seinem Naturell gemäß eher unspektakulär klingen.

Warum kann das die Schweiz?

So würde er zum Beispiel in den Balkanländern die Menschen mit einer Kampagne vor einer Flucht nach Deutschland warnen. Die seien dort nämlich in der Regel nicht politisch verfolgt, hätten also keinen Anspruch auf Asyl. Im Kosovo, wo man dies vor Monaten so kommuniziert hat, habe das Erfolg gehabt: Die Zahl der Asylanträge von dort sei gesunken.

Dass dies in den Flüchtlingslagern des Nahen Ostens verfängt, wo die Menschen nur ihr nacktes Leben haben, glaubt aber auch der SPD-Mann nicht: „Da würde ich auch abhauen, eher gestern als heute.“ Die Flüchtlingsströme von dort lassen sich seiner Meinung nach nur mit Kontingenten steuern und dadurch, dass man sie gerechter in der EU verteilt.

Auch die Asylverfahren könne man noch entschlacken: „Die Schweiz macht das mitunter in drei Tagen“, sagt der Südbadener, der die Verhältnisse bei den Eidgenossen gut kennt. Aber die hätten eben nicht das deutsche Asylrecht, schränkt er sofort ein. Und das sehe nun einmal eine individuelle Prüfung des Asylanspruchs vor.

Kein Rütteln am Asylrecht

Die lasse sich zwar auch schriftlich erledigen – anstatt in mündlicher Anhörung mit einem Dolmetscher: „Aber das ist schwierig bei Menschen, die kein Deutsch können.“

Und dann spricht ganz der Justizminister aus Stickelberger, wenn er betont, dass elementare Rechte wie das Akteneinsichtsrecht für Anwälte sich nicht einfach beschränken ließen – „nur, weil es sich um Asylbewerber handelt“. An Artikel 16 will er schon gar nicht rütteln lassen: „Mit der SPD ist das nicht zu machen.“

All die ach so eleganten Vorschläge zur Lösung des Flüchtlingsproblems schrumpfen also zu Miniaturen zusammen, sobald sie der Justizminister näher betrachtet. Selbst vom Vorschlag, man möge den Flüchtlingen doch das Taschengeld kürzen oder zu Sachleistungen übergehen, bleibt nicht mehr allzu viel übrig. „Das Bundesverfassungsgericht erwartet weitgehend einen Gleichklang bei der Versorgung von Asylbewerbern mit Hartz-IV-Empfängern“, sagt Stickelberger. „Das ist so, das haben wir zu respektieren.“ Bei Sachleistungen wiederum stoße man schnell an logistische Grenzen.

Auswirkungen auf die Landtagswahl

Doch was, wenn die Bevölkerung das alles als Kanzleitrost empfindet? Wenn die Menschen lieber hören wollen, welche Lösung funktioniert, anstatt Erklärungen darüber, was nicht geht? Erhält Grün-Rot dann die Quittung bei der nächsten Landtagswahl? Stickelberger glaubt nicht, dass die Mehrzahl der Menschen in Schwarz-Weiß-Manier denkt. „Wenn es gelingt, das Thema richtig zu erklären, schadet das bei der Landtagswahl nicht.“ Zumal Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ja nicht so weit weg sei mit ihren Argumenten.

Allerdings hält der SPD-Mann durchaus für möglich, dass bei der Wahl im Frühjahr noch mehr Bürger als bisher nicht zur Urne gehen, sondern sich der Stimme enthalten: „Weil sie vielleicht sagen, das politische System kann das insgesamt nicht lösen.“ Doch dann lehnt sich der 64-Jährige zurück und sagt in seinem typisch südbadischen Tonfall: „Wissen Sie, Regieren ist immer ein Risiko, das muss man akzeptieren.“ Der Satz hätte auch vom Schwaben Winfried Kretschmann stammen können.

Ganz und gar nicht gemütlich reagiert Stickelberger hingegen auf die rechtsextreme Hetze gegen Flüchtlinge in den sozialen Netzwerken. „Ich plädiere für einen rabiateren Kurs gegen Facebook“, sagt er und begrüßt es, dass Bundesjustizminister Heiko Maas kürzlich Vertretern des US-Unternehmens die Leviten gelesen hat. Gegen solche Auswüchse könne man, wenn überhaupt, nur auf EU-Ebene vorgehen. Als Plädoyer für die Vorratsdatenspeicherung will er seine Argumente auch nicht verstanden wissen: „Dafür wären die rechtlichen Voraussetzungen vielfach nicht gegeben.“

Wer fasst die Brandstifter?

Und was ist mit Brandanschlägen wie jüngst in Wertheim? Ja, da sei die Staatsanwaltschaft hellwach, sagt er. Aber leider ließen sich die Täter nur schwer ermitteln. Wichtig sei, die Flüchtlinge ausgewogen zu verteilen, so dass nicht ein Dorf mit wenigen Hundert Einwohnern Hunderte Flüchtlinge zugewiesen bekäme. Aber kommt nicht gerade das immer wieder vor?, wendet die Redaktion ein. „Das lässt sich nicht immer vermeiden“, sagt Stickelberger: „Aber wir haben doch jeden Tag eine neue Situation, auf die wir schnell reagieren müssen.“