Stolze Tannen waren es, Baumstümpfe sind es nun. Foto: Leif Piechowski

Noch immer ist das Mineralbad Berg in Stuttgart nicht als Kulturdenkmal anerkannt und geschützt. Entsprechend weckt jeder Eingriff auf dem Areal die Sorge, das Gesamtkunstwerk könne Investoreninteressen geopfert werden. Aktuell sorgt ein als radikal empfundener Baumschnitt für Aufregung.

Noch immer ist das Mineralbad Berg in Stuttgart nicht als Kulturdenkmal anerkannt und geschützt. Entsprechend weckt jeder Eingriff auf dem Areal die Sorge, das Gesamtkunstwerk könne Investoreninteressen geopfert werden. Aktuell sorgt ein als radikal empfundener Baumschnitt für Aufregung.

Stuttgart - Der weitläufige Park prägt den ganz eigenen Charakter des Mineralbades Berg wesentlich mit. Wer sich an Bäume, Sträucher oder gar die Rosenbeete wagt, muss wissen, was er damit anrichten kann. Selbst wenn der Eingriff nicht zu vermeiden ist, wie einst bei der stolzen Rotbuche auf einer der Liegewiesen.

Jetzt wird wieder debattiert, werden wieder Köpfe geschüttelt. Die Tannen sind weg. Die Tannen im rückwärtigen Bereich des Parks. Jahrzehnte markierten sie den Übergang zwischen Bad und angrenzender Wohnbebauung. Nein, gefallen sind sie nicht. Aber doch in einer Weise gestutzt, die stutzig macht.

Lange hatten die Anwohner geklagt – gegen die Sichtbehinderung durch die Nadelbäume. Jetzt begegnet man Resten. Man könnte sie für Reste eines Racheaktes halten. Weniger an den fürwahr hohen und dichten Tannen selbst denn am Mineralbad Berg im Gesamten. Das Mineralbad Berg, Stuttgarts einziges gültiges Gesamtkunstwerk, am Marterpfahl. So kann man es sehen.

Der Hofgärtner Friedrich Neuner gründete das Mineralbad einst, 1856 war das, und vor der Übernahme durch die Stadt Stuttgart im Jahr 2006 war das Bad über fünf Generationen in privater Hand. Paul Blankenhorn vor allem ist das vom „Neuner“ zum „Berg“ mutierte Mineralbad in seiner heutigen Struktur zu verdanken. 1997 ist er gestorben, und doch reicht schon die Erinnerung an ihn, um beim Blick auf das Mineralbad Berg vor falschen Sepia-Farben und beifallheischender Melancholie zu warnen.

Paul Blankenhorn, das war der Mann im dunkelblauen Anzug, darunter das hellblaue Hemd mit stets geschlossenem oberstem Knopf und ein dünner Pullover mit V-Ausschnitt, war ein Herr auf Bad-Wache, leicht vornübergebeugt schreitend, die Hände hinter dem Körper. Blankenhorn aber war es auch, der Max Ackermann mit dem 1959 eingebauten Glasfenster für sein Bad beauftragte und der weit mehr Freude an den Rosenbeeten denn an der durch die Verkleinerung des Außenbeckens gewonnenen Rasenfläche hatte. Die Rosen im Berg, jetzt noch im Warteraum neuen Glanzes, haben eine eigene Magie, sie überträgt sich – auch auf die Mitarbeiter des Städtischen Gartenbauamtes. Behutsam bewegen sie ihre Scheren durch die Rosensträucher. Liebevoll fast und mit einer Haltung, die ein der Gegenwart fremdes Wort spürbar macht – Demut. Freude, diese Schönheit mit sichern zu können.

Behutsam ging man dagegen mit den Tannen, die Paul Blankenhorn einst gekauft hatte und in Reih und Glied formieren ließ, nicht um. Auch jetzt, da sich der Rauch verzogen hat, wirkt das Aktionsfeld eigentümlich roh. Seelenlos reihen sich die gerupften Stämme, zersägte Äste übersäen die angrenzende Wiese.

Was aber ist das Mineralbad Berg, dem das bange Warten auf die angedrohte Umwandlung in einen profitablen Gesundheits(hotel)betrieb in den vergangenen fünf Jahren Zeit geschenkt hat? Zeit, die ausreichte, um die alte Mannschaft des Paul-Blankenhorn-Neffen Ludwig mit den städtischen Mitarbeitern zu versöhnen. Zeit, welche die städtischen Mitarbeiter zu Verbündeten gemacht hat, zu Menschen, die den Ort achten, auf den sie achten und die entsprechend geachtet werden.

Das Mineralbad Berg ist eine Bühne der Wortbilder. Joe Bauer, Kolumnist unserer Zeitung, schreibt in seinem Erfolgsbuch „Stuttgart – my Cleverly Hills“, „das Mineralbad Berg wurde erfunden, um uns zu trösten“. Tatsächlich lassen uns viele belebte Orte ungemein allein, während im Mineralbad Berg noch das solistische Eintauchen in den 21 Grad frischen Berger Urquell wärmt.

Dieses Wasser aber verträgt kein Gemütlichkeitsumfeld, kein Becken mit abgesoftetem Überlaufrand. Dieses Wasser weiß auf eigene Art um das Echo einer nicht weniger einmaligen, von Kastanien bestandenen Terrasse und von Duschen, die Eleganz nicht durch eilends verwestes Design ausdrücken, sondern durch die gebotene Bewegungsfreiheit und den unmittelbaren Schock, heißes Wasser und Mineralwasserdusche einander direkt folgen zu lassen. Und das Wasser weiß um die Bedeutung der Holzkabinen, um den Wandelgang, der es verdient hätte, seinem Dornröschenschlaf wieder entrissen zu werden. Das Wasser weiß um das Ganze, weiß um seinen Ort, weiß um die Rosen, und so wäre das Wasser verloren, wenn es vermessen würde, um bequem zu sein. Ja, wir werden getröstet im Bad der Rosen. Und das ist fürwahr große Kunst.

Wer an diesem Sonnenwochenende das Mineralbad Berg besucht, darf von den Marterpfählen, die stolze Tannen waren, erschüttert sein. Die Bäume aber werden ihre Fühler wieder ausstrecken – als Teil eines Gesamtkunstwerkes, das als solches allen Schutz und allen Ernst im Verstehen seiner Ecken und Kanten verdient hat.