Aus dem Wasser geht der Blick über den Park und hinauf zur Gartenterrasse – und das nicht nur an warmen Tagen wie auf unserem Foto. In unserer Bildergalerie finden Sie Impressionen. Foto: Franziska Kraufmann

Der Sommer ist Erinnerung, der Herbst zögert mit seinem Gold, und noch liegt das Wasser nicht ständig unter Nebelschwaden. Letzte Tage, erste Tage sind es im Park des Mineralbads Berg.

Stuttgart - Ein wenig verschüchtert steht der Knabe auf seinem Sockel im Park des Gesamtkunstwerks Mineralbad Berg in Stuttgart – noch immer und schon wieder. Selbstbewusster sind da schon die zwei Damen. Seitlich lagern sie auf steinernem Grund, und jetzt, da sich die Blätter der Bäume und Büsche lichten und die Menschen die Wärme der Hallenbadhalle suchen, können sie hinüberschauen zu dem Jungen.

Alle drei verdanken sie ihre Existenz Formideen des einstigen württembergischen Hofbildhauers Johann Heinrich Dannecker (1758–1841). Stuttgarts früherer Staatsgaleriedirektor Christian von Holst hat Dannecker und sein Werk mit Bestandsaufnahmen der Skulpturen und Zeichnungen (1987) und einer Panoramaschau zum „Schwäbischen Klassizismus“ (1993) kurzzeitig dem Vergessen entrissen. Kräftig hat sich Dannecker an antiken Vorbildern bedient – die Damen und der Junge aber lassen wenig spüren von historischem Gewicht. Und so stehen und liegen sie da – nicht weniger zeitlos denn ganz und gar aus dieser und aus jeder Jetzt-Zeit, ein Realitätssinn, der Danneckers Figuren zu Idealfiguren auf der Gesamtkunstwerkbühne Bad Berg macht.

Der Hofgärtner Friedrich Neuner gründete das Mineralbad einst, 1856 war das, und vor der Übernahme durch die Stadt Stuttgart im Jahr 2006 war das Bad über fünf Generationen in privater Hand. Paul Blankenhorn vor allem ist das vom „Neuner“ zum „Berg“ mutierte Mineralbad in seiner heutigen Struktur zu verdanken. 1997 ist er gestorben, und doch reicht schon die Erinnerung an ihn, um im Erleben des Mineralbads Berg vor falschen Sepiafarben und beifallheischender Melancholie zu warnen.

Das Mineralbad Berg, schreibt Kolumnist Joe Bauer, „wurde erfunden, um uns zu trösten“

Paul Blankenhorn, das war der Mann im dunkelblauen Anzug, darunter das hellblaue Hemd mit stets geschlossenem oberstem Knopf und ein dünner Pullover mit V-Ausschnitt, das war ein Herr auf Bad-Wache, leicht vornübergebeugt schreitend, die Hände hinter dem Körper. Blankenhorn aber war es auch, der den Stuttgarter Maler Max Ackermann, neben Willi Baumeister führender Vertreter einer musikalisch geprägten Abstraktion, mit dem 1959 im Foyer eingebauten Glasfenster für sein Bad beauftragte – und der weit mehr Freude an den heute noch duftenden Rosenbeeten hatte denn an der durch die Verkleinerung des Außenbeckens gewonnenen Rasenfläche.

Für Joe Bauer, Kolumnist unserer Zeitung, sind die Verhältnisse klar: Das Mineralbad Berg, schreibt er in seinem Erfolgsbuch „Stuttgart – my Cleverly Hills“, „wurde erfunden, um uns zu trösten“. Es stimmt ja, viele belebte Orte lassen uns ungemein allein, während im Mineralbad Berg noch das solistische Eintauchen in den 21 Grad frischen Berger Urquell wärmt. Dieses Wasser aber, aus 45 Meter Tiefe nach oben drängend, verträgt kein Gemütlichkeitsumfeld, kein Becken mit abgesoftetem Überlaufrand. Dieses Wasser weiß auf eigene Art um das Echo einer nicht weniger einmaligen, von Kastanien bestandenen Terrasse und von Duschen, die Eleganz nicht durch eilends verwestes Design ausdrücken, sondern durch die gebotene Bewegungsfreiheit und den unmittelbaren Schock, heißes Wasser und Mineralwasserdusche einander direkt folgen zu lassen.

Und das Wasser weiß auch um die Bedeutung der Holzumkleidekabinen

Mancher belächelt die einfache Zugvorrichtung wie auch die freiliegenden Zuleitungsrohre. Es ist ein voreiliges Lächeln, das nicht darauf achtet, wie funktional gerade zurückhaltende Gestalt sein kann.

Und das Wasser weiß auch um die Bedeutung der Holzumkleidekabinen. Ein Seebad mitten in der Stadt, das ist es. Mit einem Wandelgang zur Quelle, der allein als Begründung reichen sollte, die historischen Schichten des Bads offenzulegen, statt darüber nachzudenken, welcher verwertbare Rest in einem möglichen Wellness-Konzept noch eine Rolle spielen kann.

Das Wasser weiß um das Ganze, weiß um seinen Ort, weiß um die Rosen, und so wäre das Wasser verloren, wenn es bequem sein müsste. Ja, wir werden getröstet im Bad der Rosen. Und das ist allein schon große Kunst. Wie aber entsteht dieser Trost? Keine Röhren, acht Schirmlampen erhellen das Hallenbad. Vielleicht sollte man eher sagen – sie wärmen die zum Außenbecken hin transparente Halle. Ein Wohnlicht ist es ja weit eher als ein Nutzungslicht eines Dienstleistungsorts. Der Blick von außen dann zeigt die Schirmlampen als Signale eines Orts der Begegnung, an dem und in dem man sich auch dann wohlfühlt, wenn man nahezu alleine ist.

Danneckers Damen können sich ein mildes Lächeln nicht verkneifen

Und der Park mit den Dannecker-Figuren und mit seinen Rosen, die gerade jetzt stolz, nicht trotzig, noch einmal die Blütenköpfe recken? Der ungenutzte Wandelgang bis hin zur Quelle (inklusive so feiner wie zurückhaltender Freibadkassenhäuschen, die ein monumentales Drehkreuz rüde zur Seite drängt) setzt sich im Außenbereich fort. Zunächst an den Gartenschauhängen Richtung Park Berg, dann die Treppen hinauf auf die „Gartenterrasse“ mit dem „Caférestaurant“ (Paul Blankenhorn). Aktuell ist der Boden – wie auch das Faustballfeld – mit Kastanien übersät. Handschmeichler zuhauf, Körper und Köpfe für unzählige Kastanienfiguren.

Von den Kastanien aus geht es weiter, an den Rosen vorbei und wieder dicht ans Wasser. Kastanien am Meer. Das Mineralbad Berg macht es möglich, und Danneckers Damen können sich ein mildes Lächeln nicht verkneifen. Unter Max Ackermanns Farbentanz hindurch geht es ganz zuletzt wieder hinaus. Man hat den Rosensteinpark vor sich, mit zahllosen weiteren Kastanienbäumen. So bleibt man Wandler zwischen den Zeiten und lächelt über das wärmende Kribbeln auf der Haut.