Ein Mitarbeiter des Hauptzollamts Stuttgart kontrolliert im Stadtteil Fasanenhof die Fahrer von Lieferwagen und Lkw, um die Einhaltung des Mindestlohns zu überprüfen Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Um das Mindestlohngesetz drehen sich nach wie vor viele Diskussionen. Doch die Kontrolle ist schwierig. Das liegt an der dünnen Personaldecke beim Zoll, aber auch an Schlupflöchern für schwarze Schafe unter den Arbeitgebern

Stuttgart - Es ist ein sonniger Morgen im Gewerbegebiet Fasanenhof. Auf den Straßen herrscht Betrieb. Lastwagen, Kleintransporter und Taxis sind reichlich unterwegs. Genau der richtige Ort für die Männer vom Hauptzollamt Stuttgart. Einsatzleiter Thomas Malcherowitz tritt auf die Straße und winkt einen Lkw auf einen großen Parkplatz. Eine Mindestlohnkontrolle ist angesagt. Mehrere Beamte stehen bereit.

Aus dem Führerhaus klettert ein Mann aus Bulgarien. Er fährt für ein Stuttgarter Unternehmen. Und versteht wenig bis nichts. „Wir viel verdienen Sie im Monat?“, fragt Malcherowitz. Als Antwort kommt nur Schulterzucken. „Lohn wie viel?“, hakt der Mann von der Finanzkontrolle Schwarzarbeit nach. „Ah, Lohn. Lohn gut“, entgegnet der Fahrer. Wie viel genau? „Lohn super.“ Nach einem mühevollen Dialog beginnt der Kraftfahrer, mit dem Finger Zahlen auf das staubige Gehäuse seines Lastwagens zu malen. Seit wann beschäftigt? Wie sehen die Arbeitszeiten aus? Nach und nach füllen Zahlen die grau-weiße Fläche.

„Es ist nicht immer einfach“, sagt Zollsprecher Thomas Seemann. Das liegt allerdings nicht nur an Sprachproblemen. Denn die Kontrolle des viel diskutierten Mindestlohngesetzes gestaltet sich schwierig. 8,50 Euro brutto pro Stunde müssen Arbeitnehmer seit Anfang vergangenen Jahres verdienen. Angekündigt worden sind engmaschige Kontrollen. Doch das Personal reicht für die zusätzliche Aufgabe vorn und hinten nicht. Zwar hat der Bund 1600 Stellen versprochen, doch davon ist noch nichts angekommen. Zeitgleich muss der Zoll viel Personal für Flüchtlingsthemen abstellen. „Separate Mindestlohnkontrollen machen wir nicht. Das ist immer nur ein Teil der Überprüfungen“, weiß Seemann. Bis jetzt habe man in der Region Stuttgart seit vergangenem Sommer „mehrere Dutzend“ Verstöße festgestellt, auch schon Bußgelder im vierstelligen Bereich gegen Arbeitgeber verhängt.

Verstöße konzentrieren sich auf wenige Branchen

In vielen Branchen sind die 8,50 Euro kein Problem, denn in Baden-Württemberg werden meist gute Löhne bezahlt. Allerdings gibt es Ausnahmen. Fündig werde man besonders im Taxigewerbe, bei der Gastronomie, im Transportwesen, in Sonnenstudios und bei Briefzustellern, sagt Seemann. Die Tricks sind vielfältig. Mal werden Unterbezahlte zu Scheinselbstständigen, mal handelt es sich um illegal hier lebende Ausländer, die sich wegen ihres Status nicht wehren oder gar nicht wissen, dass sie mehr verdienen müssten.

Am gängigsten ist es, die offizielle Arbeitszeit einfach dem Mindestlohn anzupassen und den Rest ohne Aufzeichnung abzuarbeiten. Seemann präsentiert die Unterlagen eines Taxifahrers. Der hat seine Fahrzeiten für einen Monat aufgeschrieben. Und danach die Stundenzahl an den letzten Tagen einfach wieder geschwärzt. Denn mit denen wäre er unter den Mindestlohn gerutscht. Mit der neuen Rechnung kommt er, oh Wunder, auf exakt 8,51 Euro pro Stunde.

Die Stuttgarter Zöllner sehen jede Menge Schlupflöcher. „Gerade die Aufzeichnungspflicht ist sehr arbeitgeberfreundlich gestaltet“, sagt Einsatzleiter Malcherowitz. So müssen Unterlagen erst sieben Tage nach der Kontrolle vorgelegt werden: „Da hat man viel Zeit, sich für Unstimmigkeiten was auszudenken. Das ist unglücklich geregelt.“ Wegen der dünnen Personaldecke des Zolls müssen Unternehmen auch nicht allzu häufig mit einer Überprüfung rechnen: „Im Hotel- und Gaststätten-Bereich ist jeder Betrieb durchschnittlich alle zwei Jahre mal dran. Das legt die Arbeit dort nicht lahm“, sagt Sprecher Seemann. Und er weist darauf hin, dass es auch vorher schon Arbeitsschutzgesetze gegeben hat: „Denen ist jetzt nur neues Leben eingehaucht worden.“

Hoteliers und Wirte beschweren sich massiv

Die Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart verzeichnet inzwischen kaum noch Klärungsbedarf ihrer Betriebe bei diesem Thema. „Offenbar haben die Unternehmen ihren Weg gefunden“, sagt eine Sprecherin. Es stehe allerdings die Frage im Raum, was passiere, wenn sich die Konjunktur abschwäche. Und besonders aus der Hotel- und Gaststättenbranche kommen nach wie vor massive Beschwerden. „Die Regelungen sind nicht branchengerecht“, sagt Daniel Ohl vom Verband Dehoga. Laut Umfragen führen Bürokratie und Beschränkungen unter anderem dazu, dass es mehr Ruhetage und kürzere Öffnungszeiten gibt.

Der bulgarische Lastwagenfahrer im Fasanenhof hat inzwischen das gesamte verdreckte Führerhaus seines Brummis mit Zahlen vollgekritzelt. 2300 Euro netto verdient er wohl, steht da unter anderem zu lesen. „Lohn gut“, sagt er, lacht und hebt den Daumen. Wenn das so stimmt, ist auch der Zoll zufrieden. Doch für die Männer in Uniform beginnt die Arbeit jetzt erst richtig. „Der Außendienst ist der kleinere Teil, danach folgt die Ermittlungsarbeit im Büro“, sagt Malcherowitz. Jede Angabe muss überprüft und mit anderen Behörden abgestimmt werden. Viel Arbeit für wenig Leute.

Hintergrund: Mindestlohngesetz

Seit dem 1. Januar 2015 gilt in Deutschland für Arbeitnehmer flächendeckend ein Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro brutto pro Stunde. Ausnahmen gibt es nur in ganz geringem Umfang, sie sollen zudem durch Anpassung in den nächsten Jahren komplett verschwinden. Der Mindestlohn soll in Zukunft regelmäßig neu bewertet und bemessen werden. Das nächste Mal ist dies zum 30. Juni der Fall, dann soll festgelegt werden, ob sich vom 1. Januar 2017 an etwas an der Höhe ändern muss. Der flächendeckende Mindestlohn verdrängt ausdrücklich nicht bereits bestehende Mindestlöhne für einzelne Branchen, sofern diese höher liegen als 8,50 Euro.

Für viele Branchen, die als besonders anfällig für Schwarzarbeit gelten, etwa das Baugewerbe und die Gastronomie, gilt eine umfassende Dokumentationspflicht. In einigen Branchen ist das bisher schon so gewesen, in anderen ist das neu. Der Arbeitgeber muss Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit seiner Angestellten binnen einer Woche aufzeichnen und mindestens zwei Jahre lang aufbewahren.

Nicht alle Arbeitnehmer fallen unter das Mindestlohngesetz. Es gibt einige Ausnahmen. Minderjährige ohne Berufsabschluss, Pflichtpraktikanten, Absolventen des Freiwilligen Sozialen Jahres, Azubis oder Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten einer Beschäftigung gehören dazu. Genauso Untersuchungs- oder Strafgefangene, die innerhalb des Gefängnisses arbeiten.

Das Gesetz war von Anfang an umstritten. Während die Gewerkschaften es begrüßt haben, hat sich bei vielen Arbeitgebern Widerstand geregt. Meist ging es dabei weniger um die Höhe des Mindestlohns als um Dokumentationspflichten und Arbeitszeitbeschränkungen. Zum 1. August 2015 ist deshalb leicht korrigiert worden. Derzeit steht vor allem die Diskussion darüber, ob Flüchtlinge eine Ausnahme bilden sollen, im Mittelpunkt der Diskussionen. (jbo)