Eigentlich müsste eitel Sonnenschein herrschen bei Wirten und Schaustellern. Nach zähem Beginn der Saison verspricht das Frühlingsfest ordentliche Erlöse. Doch ihnen ist alles andere als festlich zumute. Durch das Mindestlohngesetz sehen sie sich in ihrer Existenz bedroht.
Stuttgart - Schausteller nennen sie sich, weil sie ihre Geschäfte und sich selbst zur Schau stellen. Natürlich stets gut gelaunt, freundlich und mit einem breiten Grinsen. Das freut den Kunden und dient dem Umsatz. So ist es in der Unterhaltungsbranche üblich, vor einem Ereignis zu trommeln und zu frohlocken, es sei selbstverständlich das „tollste“ und „allerbeste“, das es je gegeben habe.
Doch vor dem Auftakt des 77. Frühlingsfestes an diesem Samstag haben Schausteller und Wirte auf dieses Ritual keine Lust. Im Gegenteil, sie führen Klage und fürchten um ihre Zukunft. Und das will bei diesen hartgesottenen Damen und Herren, die rund um die Uhr sowie bei Wind und Wetter malochen, einiges heißen.
Nicht die Höhe des Lohnes, die Arbeitszeiten sind das Problem
Die Bürokraten in Berlin stellen sie vor Rätsel. Die Vorgaben zum Mindestlohn, genauer gesagt das Schwarzarbeiterbekämpfungsgesetz, bereiten ihnen Kopfzerbrechen „und gefährden unsere Existenz“. So sagt es Nico Lustnauer, Vizepräsident des Landesverbands der Schausteller und Marktkaufleute. Dabei geht es gar nicht um die Höhe des Lohnes. „8,50 Euro in der Stunde zahlen wir schon seit Jahren“, sagt Lustnauer, „das ist kein Problem.“ Doch es geht nicht nur ums Geld, sondern auch um die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes. Und das besagt, dass Arbeitnehmer nicht mehr als zehn Stunden am Tag und 48 Stunden in der Woche arbeiten dürfen.
„Wie soll das funktionieren?“, fragt Lustnauer. „Das Frühlingsfest geht 23 Tage am Stück, samstags haben wir 13 Stunden geöffnet“, sagt er. Vier Leute beschäftigt er an seinem Auto-Scooter bisher, „ich müsste zwei zusätzliche Leute einstellen, um in Schichten arbeiten zu können.“ Doch wie bezahlen? Die Preise könne er nicht erhöhen, „das zahlt kein Kunde“.
Weil die Schausteller wie die Gastronomen und die Baubranche offenbar als potenzielle Betrüger gelten, fallen sie zudem noch unter das Schwarzarbeiterbekämpfungsgesetz. Das heißt, sie müssen jede Minute Arbeitszeit ihrer Angestellten dokumentieren. Lustnauer: „Doch unsere Leute wohnen im Wohnwagen an ihrem Arbeitsplatz, was ist da Arbeitszeit? Was ist Freizeit?“
"Wir befinden uns am Rande der Illegalität"
Gebe er einem seiner Leute frei, und der stehe vor der Kasse und rauche, und in dem Moment komme der Zoll und kontrolliere, „dann glaubt der mir doch nicht, dass der Mann gerade Freizeit hat“. Und was sei, wenn man gemeinsam zu einem neuen Festplatz fahre? Sei das Freizeit oder Arbeitszeit? Sein Urteil: „Wir befinden uns am Rande der Illegalität. Dieses Gesetz ruiniert uns.“
Kollege Mark Roschmann ist Präsident des Schaustellerverbandes Südwest. Er betreibt einen Süßwarenstand und ein Kinderfahrgeschäft. Zwei Angestellte hat er, jeweils einen für jedes Geschäft. Auch er müsste zwei neue Leute einstellen. „Das funktioniert nicht“, sagt er. So geht es vielen Schaustellern. Also laufen die Standesorganisatoren Sturm. Mit Arbeitsministerin Andrea Nahles in Berlin spricht man, mit den Landesregierungen, mit den Abgeordneten.
Der Deutsche Schaustellerbund in Berlin hat es geschafft, dass das Ministerium begriffen hat, dass die Arbeit auf den Festplätzen ein Saisongewerbe ist. Das führt immerhin dazu, dass man bis zu zwölf Stunden am Tag arbeiten darf. Die Zeit muss aber ausgeglichen werden. Was bedeutet, dass die Schausteller ihre Arbeitnehmer einen Monat länger beschäftigen, damit sie die Zeit abfeiern können. Ihr Verdienst steigt aber nicht. Lustnauer: „Das ist das Absurde. Die Leute wollen nicht weniger arbeiten. Sie wollen viel arbeiten und viel Geld verdienen.“
Überstunden abfeiern wollen sie gar nicht
So wie die Aushilfen, die bei Festwirt Karl Maier im Göckelesmaier-Zelt arbeiten. Das sind meist Österreicher, die der Arbeit nachreisen. Sie arbeiten im Winter auf Skihütten, im Frühjahr und Herbst auf den großen Festplätzen, im Sommer in Hotels und Gaststätten an den Seen oder am Meer „Die beschäftige ich für 23 Tage, dann ziehen sie weiter“, sagt Maier.
Jetzt müsste er sie für eine Woche weiterbeschäftigen, damit sie die Überstunden abfeiern können. Maier: „Ich würde das machen, aber die Kellner wollen das nicht. Denn die wollen weiter an den Wörthersee und dort Geld verdienen. Die wollen nicht freimachen.“ Wie es nun weitergeht? Maier: „Ich weiß es nicht, ich habe mit sämtlichen Experten gesprochen. Aber die schütteln alle mit dem Kopf und streichen die Segel.“
Allem Irrsinn der Bürokratie zum Trotz stellen sich die Schausteller vom Samstag an wieder zur Schau. Bürgermeister Michael Föll sticht um 12 Uhr das erste Fass an. Stellt sich nur die Frage: Sind solche Überstunden für einen Kämmerer eigentlich erlaubt?
Das Frühlingsfest beginnt am Samstag um 12 Uhr. Es endet am 10. Mai. Es ist von Montag bis Donnerstag von 12 bis 23 Uhr geöffnet, freitags und vor Feiertagen von 12 bis 24 Uhr, samstags von 11 bis 24 Uhr, sonntags und an Feiertagen von 11 bis 23 Uhr.