Zwei junge Flüchtlinge in der Inobhutnahme in der Kernerstraße Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Mit dem wachsenden Flüchtlingsstrom kommen auch immer mehr Jugendliche und Kinder aus Krisenregionen in die Stadt. Um sie kümmert sich das Jugendamt – und ist überlastet.

Stuttgart - Im Erdgeschoss der Inobhutnahme der Jugendhilfe in der Kernerstraße sind Plakate aufgehängt. Darauf zu sehen sind zwei Fotos: Eines zeigt eine zusammengeknüllte Decke auf einem Bett, dahinter ist ein rotes Kreuz gemalt. Auf dem zweiten: eine ordentlich zusammengelegte Bettdecke und ein grüner Haken signalisiert, dass die Bewohner so verfahren sollen.

Es bestehen viele Hürden zwischen den momentan 17 Bewohnern des Heims und den Mitarbeitern. Die Sprache ist nur eine.

„Wir haben in Stuttgart einen notorischen Mangel an Plätzen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“, sagt Harry Hennig, Leiter des Jugendschutzheims. Für Flüchtlinge unter 18 Jahren ist das Jugendamt zuständig, es greift nicht das Asylrecht, sondern das Jugendrecht. Und so schärft die wachsende Zahl von minderjährigen Flüchtlinge die Situation beim Jugendamt Stuttgart weiter an. Mittlerweile sind rund die Hälfte aller in Stuttgart aufgegriffenen Flüchtlinge minderjährig. Im Jahr 2012, sagt Hennig, war es nicht mal jeder dritte. „Täglich kommt im Schnitt ein Flüchtling dazu.“

Neben dem Jugendamt kümmern sich fünf Träger kommen die Minderjährigen, zum Beispiel die Caritas und die Evangelische Gesellschaft.

Zahl der junge Flüchtlinge hat sich seit 2012 verdoppelt

Die Stadt verzeichnete in diesem Jahr bisher bereits 194 sogenannter unbegleiteter minderjährige Flüchtlinge. Damit hat sich die Zahl der jugendlichen Flüchtlinge seit dem Jahr 2012 mehr als verdoppelt. Von den 18 Bewohnern der Notaufnahme des Jugendschutzes in der Kernerstraße sind mittlerweile 17 Flüchtlinge.

Im obersten Stockwerk sitzt die Sozialpädagogin Tülay Senyürek hinter ihrem Schreibtisch. Sie organisiert Termine von Bewohnern mit der sogenannten Altersprüfungskommission. „In der Regel sind das drei Sitzungen hier im Haus, die je eine Stunde dauern“, sagt Senyürek. Die Kommission besteht aus drei Mitarbeitern des Jugendamts und einem Dolmetscher. Sie stellen Fragen zu Biografie, Herkunftsland und Familie. Auf dieser Grundlage und auf der Beurteilung des Äußeren setzen die Beamten ein offizielles Alter fest: So bekommen die jungen Menschen eine Art Jugendschutz-Identität.

Der Jugendhilfeausschuss diskutiert daher am heutigen Montag im Rathaus über Lösungen. Dabei soll die Frage im Mittelpunkt stehen, wo die Kinder und Jugendlichen künftig unterkommen. Bisher leben die meisten in der zentralen Inobhutnahme in der Kernerstraße.

Schulen müssen neue Klassen einrichten

SPD und Grüne wollen die Bildungschancen für Flüchtlingskindern verbessern und haben dazu unabhängig voneinander Anträge an den Gemeinderat eingereicht. Derzeit besuchen rund 500 neu Kinder und Jugendliche so genannte Internationale Vorbereitungsklassen. Dort lernen sie in erster Linie Deutsch. Die Stadt muss die Zahl der Klassen wohl innerhalb eines Jahres auf 72 verdoppeln. Die Grünen weisen in ihrem Antrag darauf hin, dass diese Kinder bisher nicht überall an den Betreuungsmöglichkeiten wie Schülerhäusern und Ganztagsschulen teilnehmen können, weil die Träger deren Aufnahme ablehnen würden.

In der zentralen Inobhutnahme in der Kernerstraße bekommen die Neuankömmlinge in den ersten Tagen Sprachunterricht von Studenten aus Ludwigsburg. Sie vermitteln die grundlegenden Kenntnisse. Später erfolgt ein regulärer Sprachkurs.

Momentan kommen die meisten Flüchtlingskinder in der Kernerstraße unter. Außerdem verfügt das Jugendamt über zwei Wohngemeinschaften in der Stadtmitte und Heslach, in denen jeweils vier Jugendliche leben, die schon selbstständiger sind.

Eine Rolle spielt aber nicht nur der Platz, sondern auch das Geld. „286 Euro kostet ein minderjähriger Flüchtling am Tag“, sagt der Leiter des Jugendschutzsheims Hennig. Darin enthalten sind Verpflegung und Reinigungsdienste. Zudem erhalten die Jugendlichen und Kinder ein Taschengeld von 1,30 Euro pro Tag. „Die Kosten können aber alle über die sogenannte Kostenerstattungsrichtlinie umgelegt werden“, sagt Hennig. Die Stadt bleibt auf ihnen nicht sitzen – solange die Buchhaltung sauber erfolgt.

„Wir brauchen innerhalb der Verwaltung in Stuttgart unbedingt effektive Strukturen dafür. Ansonsten droht, dass der Stadt Millionenbeträge durch die Lappen gehen“, sagt der Jugendschutzheims-Leiter.