Die Mevlana-Moschee in Nürtingen Foto: Horst Rudel

Wie weit darf man gehen, um der Polarisierung zwischen Muslimen und Mehrheitsgesellschaft zu begegnen? Nürtingen lässt sich auf einen Austausch mit einer Moschee ein, die im Visier der Verfassungsschützer steht.

Stuttgart/Nürtingen - Das Urteil des Landesamts für Verfassungsschutzes (LfV) zu den Aktivitäten der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) steht fest: „Wir sehen eindeutig verfassungsfeindliche Tendenzen“, sagt LfV-Präsidentin Beate Bube. Daher wird die IGMG beobachtet. Weil sie in Deutschland den „Status einer Religionsgemeinschaft und eines anerkannten Ansprechpartners für die Politik in Fragen des Islams anstrebt“, so schreiben die Nachrichtendienstler im aktuellen Bericht, trete man nach außen hin „unpolitisch“ auf, habe aber den Zielen des Gründervaters Necmettin Erbakan keineswegs abgeschworen.

Auf der Grundlage des Islams gehe es der religiös-politischen Bewegung Milli Görüs (Nationale Sicht) um den Aufbau einer „Gerechten Ordnung“, „die alle anderen, als ‚nichtig’ erachteten politischen Systeme ablösen soll“. Die Experten definieren diesen „legalistischen Islamismus“ so: Milli Görüs hält sich zwar formal an die Gesetze, inhaltlich verfolgen sie aber islamistische Ziele. In Baden-Württemberg verfügt die länderübergreifend aktive IGMG über mehr als 60 Moscheevereine, in ganz Deutschland sind es rund 320.

Bei ihren Recherchen stießen die Nachrichtendienstler auch auf die Nürtinger Mevlana-Moschee. Und zwar weil dort unter anderem 2016 Nihat Altiparmak, ein türkischer Politiker der „Partei der Glückseligkeit („Saadet Partisi) auftrat – eine antiwestliche Gruppierung aus dem Orbit von Milli-Görüs, die ebenfalls die Abkehr von Europa und die Hinwendung zum Islam predigt. Zudem wirbt insbesondere der Co-Vorsitzende und Mevlana-Mitgründer Ibrahim Uslu wie auch die Moschee selbst, in den sozialen Netzen für türkischen Nationalismus im Sinne Präsident Recep Tayyip Erdogans, verbreitet antiisraelische und antiwestliche Propaganda. Selbst vor Bildern mit salafistischen Motiven schreckt Uslu nicht zurück.

Zeiten der Polarisierung

Trotzdem suchen die Stadt Nürtingen unter der Führung von Oberbürgermeister Otmar Heirich (SPD) und die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK), angetrieben von Dekan Michael Waldmann, den Dialog mit der Mevlana-Moschee. Die Stadt will den interkulturellen Dialog. „Es ist besser miteinander zu reden, als diese Menachen in die Ecke zu stellen“, meint der Integrationsbeauftragte Sven Singler. Auch diese Muslime gehörten zur Nürtinger Stadtgesellschaft. Man wolle Kritisches ansprechen. Dekan Waldmann stößt mit Blick auf den interreligiösen Dialog ins selbe Horn: „Wir führen das Gespräch mit Menschen, nicht mit der Bewegung Milli Görüs.“ In Zeiten der Polarisierung sei Austausch wichtig. So könne man einer Radikalisierung vorbeugen. Daher gibt es regelmäßig Kontakt. Die Kirchen denken für 2018 an ein Gemeinsames Wort zu Frieden und Gerechtigkeit. Und ein gemeinsames öffentliches Fastenbrechen soll es geben.

CDU-Integrationspolitiker Bernhard Lasotta hält das Vorgehen von Stadt und Kirchen für „blauäugig und gefährlich“. So werte man die Islamisten nur auf. „Solange sich Milli Görüs nicht von extremen Positionen distanziert, scheiden sie als offizielle Kooperationspartner kommunaler und staatlicher Institutionen aus.“

Lasotta verweist darauf, dass die Gruppierung nicht am „Runden Tisch der Religionen“ des Sozialministeriums teilnehmen darf. Insbesondere deren Bildungsarbeit ist ihm ein Dorn im Auge: „Damit werden vor allem Kinder und Jugendliche in eine gefährliche Parallelwelt gepresst.“

Integrationsfeindlich

Der Vorsitzende des Nürtinger Mevlana-Moscheevereins, Irfan Cakal, bestreitet radikale Aktivitäten in seiner Moschee. Von umstrittenen politischen Postings im Internet, sagt er, weiß er nichts. „Damit kenne ich nicht so gut aus.“ Ibrahim Uslu, behauptet gar, seine Mitgliedschaft im Vorstand des Moscheevereins „steht seit Anfang der 2000er Jahre nur noch auf dem Papier“. Bemerkenswert nur, dass er seine radikale politische Propaganda, die er in den sozialen Netzwerken im Internet verbreitet, mit der Internetseite der Moschee verlinkt. Interessant auch, was der Türke, der seit langem in Deutschland lebt, zur Integration zum Besten gibt: „Man muss sich nicht integrieren, nur zusammenleben. Ich bin gegen Integration.“ Von den Deutschen könne man allenfalls technologisch etwas lernen.

Das liegt nicht ganz auf der Linie des IGMG-Regionalverbands in Stuttgart, mit dem die Mevlana-Moschee nach Aussage des Vorsitzenden Cakal „ganz eng“ zusammenarbeitet. Den Vorwurf, ihre Bildungsarbeit fördere die Abgrenzung gerade ihrer jüngeren Anhänger weist ein Sprecher weit von sich. Überhaupt: Die Beobachtung der IGMG im Land sei „nicht haltbar“.

Trotz Kontroverse wollen Stadt und Kirchen nicht vom – wie manche meinen – unkritischen Dialog lassen. Gewisse Zweifel scheint es aber zu geben: „Dieser Prozess ist noch nicht beendet“, meint der Dekan. „Bleibt abzuwarten, ob wir uns wirklich auf ein gemeinsames Ergebnis einigen können.“