Ägyptens Präsident Präsident Abdel Fattah al-Sisi hat schon aufgrund der Verfassung weitreichende Rechte. Foto: dpa/Soeren Stache

Präsident Sisi hebt das seit 1967 geltende Sonderrecht auf, allerdings nicht wegen der Menschenrechte. Die USA drohen ihm mit Geldentzug.

Kairo - Der Ausnahmezustand gehört in Ägypten seit Jahrzehnten zum Alltag: Die Sicherheitsbehörden haben weitgehend freie Hand bei der Verfolgung von Regierungskritikern und laut Menschenrechtlern rund 65 000 von ihnen eingesperrt. Kritiker werfen Präsident Abdel Fattah al-Sisi vor, jeden Widerspruch unerbittlich zu unterdrücken. Deshalb ist es bemerkenswert, dass Sisi den Ausnahmezustand jetzt aufgehoben hat. Allerdings bedeutet der Schritt nicht, dass die Demokratisierung beginnt. Sisi zielt mit seiner Entscheidung vor allem auf den mächtigen Unterstützer USA, der von ihm Fortschritte bei den Menschenrechten sehen will.

Von wenigen Unterbrechungen abgesehen, leben die Ägypter seit 1967 unter dem Ausnahmezustand. Wie andere Präsidenten vor ihm sprach Sisi von einer Notwendigkeit zur Terrorismus-Bekämpfung, als er das Sonderrecht 2017 nach einer vierjährigen Pause als Reaktion auf Anschlägen islamistischer Extremisten auf koptische Christen verhängte. Den gewalttätigen Extremismus gibt es nach wie vor. So kämpft die ägyptische Armee auf der Sinai-Halbinsel gegen einen Ableger des Islamischen Staates (IS), und im Wüstengebiet entlang der Grenze zu Libyen sind Dschihadisten aktiv. Dennoch verzichtete Sisi auf die Verlängerung des Ausnahmezustandes. Ägypten sei zu einer „Oase der Sicherheit und Stabilität in der Region“ geworden, erklärte er.

Das Militär hatte erst weitere Sonderrechte bekommen

Der autokratisch regierende Ex-Offizier hatte noch im vergangenen Jahr der Armee das Recht gegeben, Zivilisten festzunehmen und vor Militärgerichte zu stellen. Meinungs- und Versammlungsfreiheit waren eingeschränkt. Der Menschenrechtler Hossam Bahgat begrüßte Sisis Entscheidung deshalb als gute Nachricht. Von nun an könne niemand mehr vor Sondergerichten angeklagt werden, schrieb er auf Twitter, fügte aber hinzu, das gelte nicht für die Fälle von Beschuldigten, die bereits angeklagt seien.

Ob Ägypten nach dem Ende des Ausnahmezustandes ein freieres Land wird, ist fraglich. In der Praxis blieben viele Vorschriften in Kraft, kommentierte Amr Magdi von Human Rights Watch. Auch die Nahost-Expertin Amy Hawthorne schrieb auf Twitter, Sisi habe selbst ohne Ausnahmezustand „alle repressiven Vollmachen, die er braucht“. Das Ende des Kriegsrechts sei deshalb „rein kosmetisch“. Die Verfassung gibt dem Präsidenten ohnehin die Oberaufsicht über die Justiz und spricht der Armee eine Rolle als Hüterin des Staates auch im Innern zu.

Menschenrechtler fordern die Freilassung politischer Häftlinge

Wenn Sisi es ernst meine mit den Menschenrechten, müsse er die politischen Häftlinge entlassen, forderte die Organisation Dawn, die sich für Demokratie und Menschenrechte im Nahen Osten einsetzt. Gesetzesänderungen und ein anderer Umgang mit der Zivilgesellschaft seien nötig.

Um Demokratisierung geht es Sisi aber nicht. Washington hatte im September einen Teil der amerikanischen Militärhilfe für Ägypten von rechtsstaatlichen Reformen abhängig gemacht. Obwohl Ägypten ein wichtiger US-Partner im Nahen Osten ist, will Präsident Joe Biden „keine Blankoschecks mehr“ für Sisi ausstellen, wie er sagt. Zwar hielt Biden lediglich 130 Millionen Dollar für Ägypten zurück – ein Zehntel der US-Hilfe von 1,3 Milliarden Dollar pro Jahr. Doch das Signal wurde in Kairo verstanden.

Nun hofft Sisi nach Angaben von Beobachtern auf ein Treffen mit Biden beim Weltklimagipfel in Glasgow, der am Wochenende beginnt. Bisher hatte Biden den ägyptischen Präsidenten gemieden.