Schwindet das Mitgefühl für die Ukraine, fragte Frank Plasberg. Foto: obs/ARD Das Erste

Bei „Hart aber fair“ sehen Experten Verhandlungen im Ukraine-Krieg in weiter Ferne, und Moderator Plasberg überrascht mit einem Lob für den CDU-Politiker Norbert Röttgen.

Eine ganze Sendung ließ sich das Thema „Schwindendes Mitgefühl für die Ukraine“ bei „Hart aber fair“ in der ARD am Montagabend natürlich nicht durchhalten. Zumal zitierte Äußerungen von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), dass es einen Gewöhnungseffekt gebe und statt der Toten in der Ukraine im Sommer auch Themen wie Tankrabatt oder die Bundesliga die Menschen bewegten, auf heftigen Widerspruch der Studiogäste stieß.

Robert Habeck – der Erklärminister

Allein Moderator Frank Plasberg, der Habeck als „Obererklärminister der Bundesregierung“ bezeichnete, konnte die Worte des Grünen nachvollziehen – die anderen eher nicht. „Ein Abstumpfen und Gewöhnen an den Ukraine-Krieg sehe ich nicht“, sagte der frühere Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), es gebe in den Quartieren von Berlin viel Solidarität mit Ukrainern. Auch Norbert Röttgen, außenpolitischer Experte der CDU, berichtete von „vollen Veranstaltungen“ zur Ukraine, es gebe da „kein fehlendes Interesse“. Im übrigen sei es die Pflicht aller, gegen einen Gewöhnungsprozess anzuarbeiten. Er kenne einen russischen Oppositionellen, der jetzt im Gefängnis gelandet sei, und der ihm gesagt habe, das Schlimmste sei, vergessen zu werden. Man müsse die Dramatik und Brutalität des Krieges immer wieder deutlich machen, forderte Röttgen: „Wenn Putin gewinnt, wird dieser Kontinent ein anderer sein.“ Und die Militär- und Sicherheitsexpertin Claudia Major warnte, dass Russland auf Zeit spiele und natürlich darauf spekuliere, dass der Westen eines Tages wegschaue „und unsere Geschlossenheit bröckelt“.

Eine Gewöhnung an das Grauen

Aber dass es ein „Gewöhnen an das Grauen“ geben könne, wie es Plasberg formulierte, wurde vom Soziologieprofessor Armin Nassehi eigentlich nicht in Abrede gestellt: „Wenn sich schreckliche Bilder wiederholen – egal ob in der Pandemie oder im Krieg – gewöhnen wir uns daran, ihr Informationswert wird geringer.“ Die Aufmerksamkeitsspanne verringere sich, anders sei es vielleicht auch nicht auszuhalten, „ständig mit einer Krise konfrontiert“ zu werden.

Ukrainerin spricht von Existenzkampf

Rasch drehte sich die Debatte dann um das aktuelle Kriegsgeschehen, die Lieferung von Waffen und Verhandlungen. Zum einen machte die in Berlin lebende Ukrainerin Oleksandra Bienert klar, dass ihr Land nicht bereit sei, auch nur einen Quadratkilometer seines Territoriums zu opfern – es sei doch „absurd“, zu verlangen, dass man ein Fünftel der Staatsfläche hergeben solle: „Wir sind in einem Existenzkampf. Die Ukraine ist ein souveränes Land.“ Der Aggressor Russland aber habe schon eine Million Ukrainer zwangsdeportiert, darunter 180.000 Kinder: „Sie deportieren unsere Kinder nach Russland!“

Liefern, was die Ukraine braucht

Von Claudia Major wurde die Analyse bestätigt: Putin wolle die Ukraine als eigenständigen Staat auslöschen, es gebe bei ihm kein ernsthaftes Interesse an Verhandlungen, er führe in den besetzten Gebieten die russische Sprache und russische Pässe ein. Majors Plädoyer war eindeutig für die Lieferung von schweren Waffen an Kiew: „Wenn die Ukraine keine westlichen Waffensystem bekommt, wird sie überrannt.“ Im übrigen beobachtete Major eine Änderung der russischen Kriegstaktik: „Wir laufen in einen Stellungskrieg hinein. Die Russen schießen alles platt, aber sie rücken nur langsam voran. Es ist ein unheimlich brutales Vorgehen, es entspricht einer anderen Rationalität.“ Man müsse den Ukrainern an Waffen liefern, was sie brauchten, forderte Major. Auf ein Artilleriegeschütz der Ukraine kämen zehn oder 15 russische Artilleriegeschütze. „Die können sich nicht wehren.“

Wenn die Methode Krieg Schule macht

Ähnlich äußerte sich auch Norbert Röttgen, der Krieg dürfe sich für Putin nicht lohnen, sagte er: „Wenn der Krieg als politische Methode in Europa Erfolg hat, dann wird er Schule machen.“ Röttgen warf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine „Chronologie der Ausreden“ bei der Nichtlieferung von schweren Waffen vor. „Da ist nichts verdaddelt worden. Da gibt es einfach nicht den politischen Willen, die Waffen zu liefern.“ Das liege vermutlich am „alten sozialdemokratischen Denken“, dass man mit Russland „immer reden“ müsse.

SPD-Politiker sieht Verbesserungsbedarf im Kanzleramt

Der SPD-Politiker Müller konnte eine solche Kritik natürlich nicht akzeptieren, er bescheinigte Kanzler Scholz, dass der abwäge, aber nicht zögere, konstatierte aber gleichwohl, dass die Kommunikation der Bundesregierung verbessert werden könne und „auch das Kanzleramt mehr erklären könnte“. In der Sache aber sprach sich Müller dafür aus, dass nicht nur ständig über Waffen sondern auch über Diplomatie gesprochen werden müsse: „Wir brauchen Gesprächsangebote – vielleicht auch über die Vermittlung einer dritten Seite.“

Kaum Chance für baldige Verhandlungen

Alle Hoffnungen auf baldige Verhandlungen – auch Plasberg hegte sie – machte der Ex-Polizist und Verhandlungsexperte Matthias Schranner allerdings ein Ende. Es sei ein Unterschied zwischen Diplomatie und Verhandlungen, so Schranner. Die Diplomatie sei sinnvoll, sie laufe jetzt auch in Gesprächen im Verborgenen zwischen der Ukraine und Russland. Verhandlungen aber seien offen sichtbar, sie könnten beispielsweise als erstes Ziel einen Waffenstillstand, später dann politische Themen und eine Friedenssicherung mit UN-Blauhelmen haben . Aber Verhandlungen seien nur wahrscheinlich, wenn beide Seiten daran glaubten, dabei etwas zu gewinnen – und das sehe er derzeit nicht. „Zur Zeit glauben beide Seiten noch, dass sie militärisch gewinnen.“

Wird Russland zum neuen Nordkorea?

Anstatt von Verhandlungen sieht Schranner andere Szenarien als wahrscheinlicher an: Dass Putin abgelöst werde, und ein Nachfolger den Krieg fortführe oder beende. Oder dass Putin an der Macht bleibe und der Krieg noch lange andauere, oder dass Russland ein neues Nordkorea werde, isoliert und verarmt.

Ungewöhnlich für „Hart aber fair“ war, dass Moderator Plasberg ein starkes Kompliment für Norbert Röttgen aussprach: Addressiert an Oleksandra Bienert, die der Meinung war, Deutschland müsse nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs „der beste Freund der Ukraine sein“, sagte Plasberg, dass Röttgen stets gegen die von der Ukraine abgelehnten Pipeline Nordstream 2 gewesen sei: „Einer der wenigen Politiker, die Kurs halten.“ Röttgen nahm es mit unbewegter Miene.