Uta-Micaela Dürig von der Bosch-Stiftung will die Sprachbarriere bei Flüchtlingen überbrücken. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die Flüchtlingsfrage muss Europa gemeinsam angehen, findet der Sachverständigenrat für Migration und Integration. Wer sich einer fairen Verteilung verweigert, soll zur Kasse gebeten werden.

Stuttgart - 250 000 Euro. So hoch soll die von der EU-Kommission Ausgleichszahlung pro Flüchtling sein, wenn ein Mitgliedstaat dessen Aufnahme verweigert. Ohne eine Zahl zu nennen, hält das auch Thomas Bauer, Vorsitzender des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), für eine Möglichkeit. „Man könnte in Betracht ziehen, dass Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, pro Flüchtling bezahlen müssen“, sagte Bauer am Freitag bei der Robert-Bosch-Stiftung in Stuttgart, wo der Sachverständigenrat seinen Jahresbericht und seine Vorschläge zum Umgang mit den Themen Migration und Integration vorgestellt hat.

Die Anregungen streifen alle Verwaltungsebenen – vom Dorfbürgermeister in der Provinz bis zum EU-Funktionär in Brüssel. „Wir brauchen an dieser Stelle mehr Europa“, sagte Bauer. Das sei aber nur der erste Schritt. Denn untrennbar von der Verteilung der Geflüchteten ist laut dem Wirtschaftprofessor deren Integration. „Damit die gelingt, brauchen wir für Flüchtlinge mehr Freizügigkeit in der EU.“ Denn: Ein freier Zugang zum Arbeitsmarkt könne Flüchtlinge helfen, sich zu integrieren.

Dabei seien einige Anpassungen wünschenswert. „Zum einen brauchen wir eine einheitliche Zertifizierung von Berufsqualifikationen, die Migranten in ihren Herkunftsländern erworben haben“, sagte Bauer. Der SVR-Vorsitzende plädiert zudem dafür, das duale Ausbildungssystem zu erweitern. Zum Beispiel mit mehr Möglichkeiten zur Teilzeitausbildung: „Für viele Geflüchtete ist es wichtig, Geld zu verdienen, weil sie es an ihre Familien schicken wollen oder noch ihre Schlepper bezahlen müssen.“

Angst vor der Pisa-Studie

Noch größeren Bedarf nachzujustieren, sieht er im Bildungssystem in Bezug auf minderjährige Flüchtlinge. „Es ist vollkommen undurchsichtig, wie Flüchtlinge da integriert werden“, sagte Bauer und übt scharfe Kritik an den Ländern, die die Hoheit bei Bildungsfragen haben. „Aus Angst vor vergleichenden Studien, bei denen sie schlecht dastehen könnten, untersagen die Kultusministerien uns Forschern, wissenschaftlich zu erfassen, wie sich minderjährige Flüchtlinge in unserem Bildungssystem schlagen.“ Grund für die Angst sei noch heute die Pisa-Studie, die seit dem Jahr 2000 Diskussionen über die Bildungsqualität in den einzelnen Bundesländern entfacht hat.

Auch die Robert-Bosch-Stiftung sieht in Bildung den Schlüssel zum Gelingen der Integration. „Die Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass zu erfolgreicher Integration und gesellschaftlicher Teilhabe an erster Stelle der Erwerb der deutschen Sprache steht“, sagte Uta-Micaela Dürig, Geschäftsführerin der Bosch-Stiftung. Die Stiftung unterstützt den Sachverständigenrat, ein unabhängiges, interdisziplinär besetztes Gremium, das sich zur Aufgabe gemacht hat, die Politik handlungsorientiert zu beraten.