Die Container auf der Waldau sollen demnächst in Betrieb gehen und Asylbewerber aufnehmen Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Obwohl wegen der geschlossenen Balkanroute weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen, wissen Städte und Landkreise kaum noch, wohin mit all den Leuten. Signale des Landes machen jetzt Hoffnung.

Stuttgart - Bilder von geschlossenen Grenzen in Europa gehen um die Welt. Immer weniger Flüchtlinge schaffen es derzeit über die Balkanroute nach Deutschland. Bei den Stadt- und Landkreisen ist diese Entwicklung bisher aber nicht angekommen. Zwar leeren sich nach und nach die Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder, doch die Kommunen fragen sich nach wie vor bei jedem einzelnen Asylsuchenden, der ihnen zugewiesen wird, wo er unterkommen soll.

Jetzt kommt eine hoffnungsvolle Botschaft aus dem Integrationsministerium. Man wolle „die Verlegung von Flüchtlingen aus Erstaufnahmeeinrichtungen in Unterkünfte der Stadt- und Landkreise drosseln und diese dadurch entlasten“, sagt Ministerin Bilkay Öney. Auf Nachfrage unserer Zeitung konkretisiert ihr Sprecher Nikolai Worms: „Im Vergleich zum März können die Kreise im April mit einem deutlichen Rückgang der Verlegungen um etwa die Hälfte rechnen.“ Für Stuttgart würde das eine Zahl von rund 300 neuen Flüchtlingen bedeuten.

Die Stadt hat bisher noch keine neuen Zahlen vom Land bekommen. „Wir rechnen wie immer am 1. des Monats damit, also am Freitag“, sagt Sozialamtsleiter Stefan Spatz. Die Signale aus dem Integrationsministerium, im nächsten Monat weniger Leute zuzuweisen, sind für ihn „gute Nachrichten“. Denn trotz der Meldungen, dass weniger Flüchtlinge nach Deutschland strömen, ist die Lage in den Kommunen nach wie vor mehr als angespannt. Denn die Unterkünfte sind voll, und jeder Asylsuchende, der hinzukommt, muss zusätzlich untergebracht werden. „Wir sind dankbar, dass das Land der kommunalen Familie die dringend notwendige kleine Atempause gibt“, sagt Spatz. Er erhofft sich von der neuen Prognose einen Fingerzeig für die Zukunft: „Dafür brauchen wir allerdings auch die Erwartungen für den Mai.“

8581 Asylsuchende in Stuttgart

Aus gutem Grund. Denn in Stuttgart sind Unterkünfte nach wie vor äußerst knapp. Derzeit leben 8581 Flüchtlinge in der Landeshauptstadt. Fast 2300 davon sind allein in diesem Jahr gekommen. 863 waren es im Januar, 802 im Februar und voraussichtlich 621 noch im März. Kalkuliert hat die Stadt für 2016 mit einem Monatsschnitt von 600. Man liegt derzeit also deutlich über der Rechnung und braucht dringend einen Rückgang der Zahlen.

Verschärfend hinzu kommt, dass in den nächsten Monaten diverse Interimsunterkünfte geräumt werden müssen. Allein in einem angemieteten Gebäude in der Borsigstraße und in Nebenräumen der Schleyerhalle verliert die Stadt etwa 900 Plätze. Für mehrere Waldheime ist bereits abgemacht, dass sie bis zum Sommer geräumt, danach aber aufs Neue genutzt werden, etwa die Ferienwaldheime Sonnenwinkel im Dachswald und Schlotwiese in Zuffenhausen. „Wir würden uns gerne von vielen Interimsunterkünften verabschieden, können derzeit aber auf keine einzige verzichten“, sagt Spatz. Dazu gehören auch die fünf als Notquartiere genutzten Turnhallen.

Derzeit errichtet die Stadt an allen Ecken und Enden neue Systembauten und stellt Containerdörfer auf. „Das läuft gut“, weiß Spatz. Allerdings wird ein guter Teil der Kapazitäten notwendig sein, um Leute aus den Interimsquartieren aufzunehmen. Nach derzeitiger Berechnung des Sozialamts fehlen deshalb trotz aller Anstrengungen bis Jahresende in Stuttgart noch zwischen 1000 und 1500 Plätze.

Keine Prognosen über April hinaus

Da wäre es für die Stadt Gold wert, wenn der Rückgang der Zuweisungen von Dauer wäre. Doch auf eine solche Zusage lässt man sich beim Integrationsministerium nicht ein: „Die tatsächliche Zuweisung bleibt nach wie vor von der Anzahl der nach Baden-Württemberg kommenden Asylbewerber abhängig, über die das Land keine Prognose abgeben kann“, sagt Sprecher Worms. Ob die Entwicklung von Dauer ist, kann derzeit wohl ohnehin niemand sicher sagen.

Klar ist derzeit nur: Die Erstaufnahmestellen leeren sich allmählich. Im Moment sind noch gut 10 000 Plätze im Land belegt, das ist etwa ein Viertel. „Die Gesamtkapazität liegt derzeit noch bei rund 40 000 Plätzen, allerdings verliert das Land zum Monatsende aufgrund auslaufender Nutzungsverträge 4000 davon“, sagt Worms.

Seit Jahresbeginn sind rund 28 000 Asylsuchende neu nach Baden-Württemberg gekommen. Die Zahlen gehen klar zurück. Sind es im Januar noch 15 198 und im Februar 10 180 Menschen gewesen, rechnet das Ministerium für den März nur noch mit 3100. Über die Osterfeiertage sind kaum Flüchtlinge angekommen, danach allerdings wieder mehr. Auch deshalb halten sich die Beteiligten mit zu viel Zuversicht erst einmal zurück.

Christliche Flüchtlinge ziehen nach Neugereut

In den nächsten Tagen werden die beiden neuen Systembauten am Sturmvogelweg in Neugereut bezogen. 156 Asylsuchende sollen dort unterkommen. Derzeit läuft die Auswahl der künftigen Bewohner.

Nachdem immer häufiger christliche Flüchtlinge über Diskriminierung durch andere Bewohner geklagt hatten, hat die Stadt auf Bitte der assyrischen Gemeinde angeboten, in Neugereut maximal 30 Christen unterzubringen, die anderswo weg wollen. Auf dieses Angebot gibt es jetzt Resonanz. Vor allem die assyrische und die chaldäische Gemeinde haben der Stadt Namen von Interessierten genannt. Die ersten zehn sollen nun einziehen. Es handelt sich dabei um drei Syrer, eine fünfköpfige Familie aus dem Iran sowie eine Frau und einen Mann aus dem Irak. Zudem bringt die Stadt noch acht Jesiden in Neugereut unter. Einige Plätze für Christen oder Jesiden sind damit noch frei.

Die Betroffenen werden alle im selben Gang wohnen – dort werden somit nur religiöse Minderheiten untergebracht. Der Freundeskreis der christlichen Flüchtlinge begrüßt das – dort wird die Entscheidung der Stadt als „Ostergeschenk“ bezeichnet. (jbo)