Leyla Demirhan ist in Waiblingen geboren. Die Eltern stammen aus der Türkei Foto: Kovalenko

Seit ein paar Jahren wandern immer mehr junge, qualifizierte Deutschtürken in die Türkei aus, weil sie keinen Job finden und sich mit Diskriminierung konfrontiert sehen. Auch in Stuttgart.

Stuttgart/Istanbul - Leyla Demirhan ärgert besonders ein Satz, der oft fällt, wenn es um Menschen mit Migrationshintergrund geht. „Es heißt immer, wir sollten endlich ankommen. Aber ich muss nicht ankommen – ich bin schon immer da“, sagt die junge Frau, deren Eltern aus der Türkei stammen und die 1978 in Waiblingen geboren wurde.

Lange Zeit war es allerdings fraglich, ob sie auch bleiben würde. Nicht, weil sie es nicht wollte oder weil sie Deutschland nicht als ihre Heimat betrachtet, sondern weil sie hier keinen Job fand. Rund vierzig Bewerbungen hat sie 2013 geschrieben.

Demirhan hat Politikwissenschaft, BWL und Anglistik an der Universität Stuttgart studiert. Für ihre Magisterarbeit hat sie die Note 1,3 und den Preis des Fördervereins für Politikwissenschaft der Uni Stuttgart bekommen. Sie wollte promovieren und hatte sich zunächst gezielt an Unis in Deutschland beworben. Später bewarb sie sich auch im öffentlichen Dienst, bei verschiedenen Ministerien, bei Stadt und Land.

Doch sie bekam über ein Jahr hinweg keine Zusage. „Deshalb hatte ich meine Bewerbung auch ins Türkische und ins Englische übersetzt“, sagt Demirhan. „Ich wollte lieber hier bleiben – aber ohne Stelle hier, wäre ich woanders hin gegangen – da hätte sich die Türkei angeboten.“

So wie Leyla Demirhan geht es vielen jungen Menschen mit türkischem Migrationshintergrund. Laut Statistik zieht es viel mehr Türken aus Deutschland weg als in das Land hinein. Im Migrationsbericht 2012 – einen aktuelleren gibt es noch nicht – ist nachzulesen, dass es 28 105 Zuzüge aus der Türkei nach Deutschland gab, aber 32 752 Fortzüge aus Deutschland in die Türkei.

Insgesamt haben rund 225 752 in Deutschland lebende Türken in der Zeit zwischen 2007 und 2011 das Land wieder Richtung alter Heimat verlassen. Zahlen für Stuttgart liegen leider weder der Stadt noch der türkischen Botschaft vor.

Wie die türkisch-deutsche Stiftung für Bildung und wissenschaftliche Forschung (TAVAK) herausgefunden hat, wandern verstärkt junge Migranten türkischer Herkunft in die Türkei aus, weil sie in Deutschland mit Arbeitslosigkeit und Diskriminierung konfrontiert werden und bessere wirtschaftliche Chancen in der Türkei sehen.

Die überwältigende Mehrheit von ihnen ist gut ausgebildet, hat in Deutschland studiert. Jeder dritte türkischstämmige Akademiker will Deutschland verlassen – am liebsten in Richtung Türkei, ermittelte schon im Jahr 2008 die TASD-Studie über türkische Akademiker und Studierende in Deutschland.

Damla Melek ist bereits zurück in die Türkei gegangen. Sie wurde 1989 hier geboren, ist hier aufgewachsen und hat in Tübingen Ethnologie und Kulturen des Nahen Ostens studiert. Nachdem sie ihre Bachelorarbeit abgegeben hatte, fand sie in Deutschland keine Volontariatsstellen oder geeignete Praktika. Deshalb ging sie nach Istanbul. Momentan arbeitet sie in einer türkisch-deutschen Stiftung für Bildung und Forschung, auf Praktikumsbasis. Der Geldfaktor sei nicht der Grund, warum sie dort ist. Vielmehr möchte Melek, die Redakteurin werden will, in Istanbul Erfahrungen sammeln. Heißt das Deutschland ade? „Gewiss nicht!“, sagt Melek. „Wenn es in Istanbul bessere Jobs gibt, kann ich mir vorstellen, dort zu leben. Aber das heißt nicht, dass ich Deutschland für immer den Rücken kehre.“

Melek glaubt, dass die jungen Türken ihre Zweisprachigkeit nutzen wollen. Der Meinung ist auch Leyla Demirhan. Sie weiß, dass viele türkische Unternehmen auch in Deutschland tätig sind und die Zweisprachigkeit der aus Deutschland kommenden Türken schätzen. „Wir haben oft eine gute sprachliche und interkulturelle Kompetenz“, sagt Demirhan. „Das sind Potenziale, die deutsche Unternehmen nützen sollten.“

Tatsächlich aber – dieser Verdacht drängt sich Demirhan auf – sei der Migrationshintergrund eines Bewerbers bei einigen Arbeitgebern noch immer ein Minuspunkt. „Ich will nicht in eine Migrantenecke geschoben werden – wenn es aber Probleme gibt, muss man die ansprechen“, sagt sie. Freilich sage einem kein potenzieller Arbeitgeber ins Gesicht, dass der Grund für die Absage die ausländischen Wurzeln seien – aber es gibt wissenschaftliche Studien, die das belegen. Etwa die Arbeit „Ethnic Discrimination in Germany’s Labour Market: A Field Experiment“ (Ethnische Diskriminierung auf dem deutschen Arbeitsmarkt: Eine Feldstudie) der Uni Konstanz von 2010. Für diese Studie wurde auf über 500 Stellengesuche geantwortet – an jede Firma wurden zwei ähnliche Bewerbungen geschickt, einmal unter einem deutschen Namen und einmal unter einem türkischen Namen.

Das Ergebnis: Die (fiktiven) Bewerber mit dem deutschen Namen erhielten 14 Prozent mehr positiven Rücklauf als die mit einem türkischen Namen, bei kleineren Betrieben lag die Quote sogar bei 24 Prozent.

Deshalb findet Demirhan, dass anonymisierte Bewerbungen, wie sie die Antidiskriminierungsstelle des Bundes vorschlägt, eine pragmatische Lösung wären. „Allerdings bringt es nichts, wenn ich dann in einem Unternehmen arbeite, das mich eigentlich nicht eingestellt hätte und mich nicht will“, sagt sie. Grundsätzlich müsse sich die Grundhaltung der Menschen verändern. Kerim Arpad, Geschäftsführer des Deutsch-Türkischen Forums, findet hingegen, dass „die Integration funktioniert“ – und zwar von beiden Seiten aus. „Es gibt inzwischen sogar viele türkischstämmige Führungskräfte“, sagt er. Dennoch kenne auch er junge Türken, die in die Türkei auswandern – allerdings seien es in Stuttgart seiner Einschätzung nach weniger als anderswo im Bundesgebiet. „Es gibt viele Firmen und nur wenig Arbeitslosigkeit“, sagt Arpad.

Doch Leyla Demirhan hatte noch mit anderen Problemen zu kämpfen: „Es geht ja nicht nur um Nationalität, sondern auch um das Geschlecht. Ich bin Türkin und Frau. Da geht es um Fragen wie Kopftuch und Schwangerschaft“, sagt sie. „Es sollte aber um die Person gehen.“

Letztlich hat Demirhan einen Arbeitgeber gefunden, dem es um die Kompetenzen der jungen Frau ging: Seit wenigen Wochen arbeitet sie beim Förderverein des Landesverbands für kommunale Migrantenvertretungen und ist für das Thema Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen im Zuge des Anerkennungsgesetzes zuständig. Leyla Demirhan bleibt Deutschland also erhalten – viele andere aber gehen.