Claudia, Gawaher und Mariana (von links, auf eigenen Wunsch ohne Nachnamen) fanden in der Kontaktstelle Frau und Beruf in Stuttgart Hilfe. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Sie sind gut ausgebildet und wollen hier arbeiten: Drei Akademikerinnen aus Chile, der Ukraine und dem Jemen erzählen von ihrem Weg.

Die deutsche Wirtschaft braucht Fachkräfte aus dem Ausland. In Stuttgart hilft ein Projekt der Kontaktstelle „Frau und Beruf“ gut ausgebildeten Migrantinnen mit und ohne Kinder in den Arbeitsmarkt. Was erleben sie dabei? Das erzählen Claudia, Gawaher und Mariana (die Nachnamen bleiben auf Wunsch der Frauen ungenannt).

 

Claudia, Sie haben in Santiago de Chile als Rechtsanwältin gearbeitet. Wie wichtig ist es für Frauen in Ihrem Heimatland zu arbeiten?

Claudia: In Chile ist es ganz normal, dass Frauen arbeiten. Sie brauchen auch meist das Geld, vor allem als Alleinerziehende. Das Unterhaltssystem ist sehr schlecht. Ich bin nach Deutschland gekommen, um hier meinen Master in Rechtstheorie auf Englisch zu machen. Vor zwei Jahren habe ich meine Tochter bekommen und musste lange auf einen Kitaplatz warten. Jetzt habe ich einen. Eine Bekannte hat sich in ihrer Kita für mich eingesetzt.

Ist das in Chile anders?

Claudia: M an bekommt einfacher einen Platz. Ab vier Jahren müssen die Kinder in die Kita gehen, das ist wie Schulpflicht. Mir gefällt, dass Eltern hier ein Jahr lang Elterngeld bekommen und auch diese Kinderkrankentage.

Wie ist es im Jemen, Ihrem Herkunftsland, Gawaher?

Gawaher: Im Jemen arbeiten die Frauen, bevor sie Kinder bekommen. Danach ist es ihre Entscheidung. Manche arbeiten, manche nicht. Meine Mutter war immer berufstätig, sie hat uns Kinder so erzogen.

Mariana: In meiner Heimatstadt Kiew arbeiten viele Frauen, die Kinder gehen normalerweise ab einem Jahr in die Kita, davor ist es vielen Eltern zu früh. Oft helfen die Großmütter bei der Kinderbetreuung.

Warum sind Sie nach Deutschland gekommen?

Mariana: Ich bin vor dreieinhalb Jahren vor dem Krieg in der Ukraine geflohen. Sonst wäre ich nicht gekommen. Ich vermisse Kiew, die Großstadt. Aber Stuttgart bietet gute Jobmöglichkeiten.

Claudia: Ich kam mit meinem Mann nach Deutschland. Hier gibt es eine starke juristische Tradition an den Universitäten. Ich habe erst in Frankfurt einen Master auf Englisch in Rechtstheorie studiert. Wir sind nach Stuttgart gezogen, weil mein Mann Familie und Freunde hier hat. Mittlerweile bin ich alleinerziehend. Stuttgart gefällt mir. Ich wohne in Weilimdorf. Das ist wie ein Dorf, grün und schön.

Gawaher: Ich wollte meinen Master in Deutschland machen, weil ich mich sehr für Infrastruktur und Stadtplanung interessiere. Die Universität Stuttgart hat mich für diese Studiengang akzeptiert. Für meinen Abschluss fehlt mir noch die Masterarbeit.

Hofft, dass das Projekt „Empowerment für zugewanderte und geflüchtete Frauen“ weiter finanziert wird: BeFF-Geschäftsführerin Inge Zimmermann. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

 Was erleben Sie auf dem Stuttgarter Arbeitsmarkt?

Gawaher: Stuttgart bietet viele Möglichkeiten, aber die deutsche Sprache ist sehr wichtig, um arbeiten zu können! Ich habe mich zum Beispiel für ein Praktikum im Verkehrsministerium beworben. Sie sagten: Gern, aber du brauchst erst C1-Niveau (C1 bedeutet „Fachkundige Sprachkenntnisse“, Anm. d. Red.). Ich bin gerade im B2-Sprachkurs, danach kommt C1. Aber ich habe einen Job als Werksstudentin bei Porsche. Ich arbeite als Bauzeichnerin viel am Computer. Mit meinen Kolleginnen und Kollegen spreche ich Deutsch. Aber sie sprechen auch Schwäbisch, das ist manchmal schwer zu verstehen.

Claudia: Wenn du nicht Deutsch sprichst, ist dein Leben im Alltag sehr schwer, das war ein Schock für mich. Ich dachte, mit Englisch komme ich gut durch. Auch in meinem Beruf ist die Sprache der Schlüssel. Ich möchte als Anwältin für Migrationsrecht oder Familienrecht arbeiten. Dafür brauche ich C2-Niveau (C2 bedeutet „Annähernd muttersprachliche Kenntnisse“, Anm. d. Red.). Derzeit bin ich im C1-Kurs und das ist schon echt „wow“! Die Sprache ist momentan mein Fokus. Daneben arbeite ich freiberuflich für die Organisation Arrival-Aid. Ich berate Geflüchtete.

Mariana, Sie arbeiten bereits in der Verwaltung einer Organisation. Wie haben Sie diese Stelle bekommen?

Mariana: Mir hat geholfen, dass ich schon eine Weile als Job- und Integrationscoach mit ukrainischen Geflüchteten gearbeitet habe, ich hatte Erfahrungen. Die Stellenanzeige habe ich auf Instagram gesehen und mich beworben. Es hat geklappt. Im Bewerbungsprozess hat mich BeFF sehr unterstützt.

Sie haben an einem Projekt der Kontaktstelle Frau und Beruf, genannt BeFF, teilgenommen. Wie lief das ab?

Mariana: Meine Freundinnen haben mir BeFF empfohlen. Zuerst war ich im Sprach-Café alle zwei Wochen. Zusammen mit meiner Beraterin habe ich dann herausgefunden, welche Stellen und Positionen zu meiner Ausbildung und Berufserfahrung passen. Ich habe in der Ukraine zwei Diplome gemacht in Finanzmanagement und in Psychologie und 21 Jahre Berufserfahrung gesammelt. In Finanzabteilungen und Personalabteilungen.

Entspricht der jetzige Job Ihren Qualifikationen?

Mariana: Nein, ich habe niedriger angefangen. Aber das ist für mich okay, ich muss Erfahrungen sammeln und weiter Deutsch lernen. Ich denke, dann kann ich mich immer besser in den Arbeitsmarkt integrieren. Eine Beratung wie bei BeFF bekommt man zum Beispiel im Jobcenter nicht.

Was bräuchte es Ihrer Ansicht nach, um gut ausgebildete Leute schneller zu integrieren?

Mariana: Gut wäre, wenn es eine Stelle gäbe, die sich um alles kümmert und alle Informationen hat: Wo bekomme ich was? Welche Arbeit passt zu meinem Lebenslauf? Wie einen Integrationscoach. Es geht beim Jobcenter sehr darum, die Geflüchteten möglichst schnell in irgendeine Arbeit zu bekommen. Ich hätte mir zum Beispiel gewünscht, dass mein Lebenslauf analysiert wird und ich Sprachkurse finanziert bekomme.

Was hat Ihnen geholfen, Gawaher, so dass sie als Werkstudentin arbeiten können?

Gawaher: Ich habe bei BeFF Hilfe mit meiner Bewerbungsmappe bekommen. Mit der Beraterin habe ich auch das Bewerbungsgespräch trainiert, wie ich selbstbewusster sein kann. Ich habe einen Sohn. Er ist sieben Jahre alt und ich bin alleinerziehend. Es ging auch darum, wo ich eine Betreuung für ihn finde, zum Beispiel in den Sommerferien. Meine Integration geht Schritt für Schritt.

Claudia: Der Bewerbungsprozess ist in Chile ganz anders. Ich musste verstehen: Was ist wichtig, wie geht das? Ich will jetzt erst mal meine Deutschkurse fertig machen, auch einen speziell für Juristen. Aber zum Test habe ich schon ein paar Bewerbungen verschickt und fünf Anrufe mit Einladungen für Gespräche bekommen. Das hätte ich nicht gedacht!

Gawaher: Ich will als Werkstudentin und Praktikantin Erfahrungen sammeln. Das ist wichtig für Unternehmen. Danach mache ich meine Masterarbeit und fange an, mich für Stellen zu bewerben. Ich möchte in die Verkehrsplanung. Außerdem mache ich gerade meinen Führerschein. Das ist auch sehr wichtig. Mir fehlen nur noch die Prüfungen.

Weiterfinanzierung ungewiss

Frau und Beruf
Frauen, die nach einer längeren Auszeit beruflich Fuß fassen möchten, Migrantinnen, die sich im Arbeitsmarkt etablieren wollen, Existenzgründerinnen, Studentinnen, Auszubildende – der Verein BeFF Berufliche Förderung von Frauen bietet in seiner Kontaktstelle Frau und Beruf in Stuttgart vielfältige Unterstützung rund um das Thema Beruf.

Projekt
Das Beratungsangebot „Empowerment für zugewanderte und geflüchtete Frauen“ richtete sich seit November 2024 an gut ausgebildete Migrantinnen und läuft bis Ende dieses Jahres. Mit 1,2 Stellen wurden bislang 106 Frauen (fast alle mit akademischem Abschluss) in mehr als 300 Terminen beraten und begleitet, außerdem gab es Infoveranstaltungen zu beruflichen Themen, zum Beispiel wie Ingenieurinnen oder Pädagoginnen aus dem Ausland hier arbeiten können. Die Hälfte der beratenen Frauen hat Kinder, ein Drittel ist alleinerziehend. Der Großteil lebte zum Beratungszeitpunkt in prekären Situationen (Bürgergeld, Minijob, ALG 1).

Zukunft
Die Projektmittel wurden bislang von der Abteilung Chancengleichheit der Stadt finanziert. „Eine Verlängerung um weitere zwei Jahre ist offen“, sagt Inge Zimmermann, BeFF-Geschäftsführerin, vor dem Hintergrund des Sparkurses der Stadt im kommenden Doppelhaushalt sei das sehr fraglich. „Ich hoffe, dass das Projekt weiter geführt wird. Es ist wichtig, dass wir das Potenzial gut ausgebildeter Frauen für den Arbeitsmarkt nutzen“, so Zimmermann.

Interviewpartnerinnen
Claudia, 38, kam 2020 von Chile nach Deutschland, wo sie einen Master in Legal Theorie an der Universität Frankfurt am Main ablegte. Sie ist alleinerziehende Mutter einer zweijährigen Tochter. Gawaher, 32, studiert an der Stuttgarter Universität einen Master in Infrastructure Planning. Sie hat einen siebenjährigen Sohn und stammt aus Aden im Jemen. Mariana, 40, floh vor 3,5 Jahren vor dem Krieg aus Kiew nach Deutschland. Sie hat in der Ukraine Finanzmanagement und Psychologie studiert.